Der 10. Dezember ist ein denkwürdiges Datum. Jahr für Jahr überreicht das norwegische Nobelkomitee an diesem Tag den Friedensnobelpreis. Er ist zugleich der Tag, der an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor nunmehr 75 Jahren erinnert. Beides hat in der Vergangenheit das Streben nach einer friedlicheren und gerechteren Welt symbolisiert. Doch die deprimierende Wirklichkeit von Krieg und Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung verdrängt die Zuversicht durch Verzweiflung.
Die diesjährige Preisträgerin, die iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi, musste sich bei der feierlichen Verleihung in Oslo von ihren Kindern vertreten lassen. Sie selbst sitzt in Teheran im Gefängnis. Das iranische Regime ließ sie 13 Mal verhaften und zu insgesamt 31 Jahren Haft sowie 154 Peitschenhieben verurteilen. Sie gibt nicht auf, sondern kämpft – wie es das Nobelkomitee würdigte – weiter „gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“.
Von dem Gedanken, dass Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden sind, ließ sich 1946 die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen leiten. Unter dem Vorsitz der Menschrechtsaktivistin Eleanor Roosevelt, der Frau des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, entstand die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEM), die 1948 von den Vereinten Nationen beschlossen wurde. Sie umfasst 30 Artikel, die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte begründen, und stellt direkt zu Beginn in Artikel 1 fest: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“
Zu den Menschenrechten gehören unter anderem das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, die Religions-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz ebenso wie die Rechte auf Arbeit, Wohnen, Gesundheit oder Bildung. Seit 2010 gehört auch das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung dazu, und aktuell gibt es Bestrebungen, das Recht auf eine saubere Umwelt als Menschenrecht anzuerkennen, wie von der Generalversammlung 2022 gefordert.
Die Menschenrechte sind universell und unteilbar, das heißt, sie gelten weltweit und für jeden Menschen. Rechtlich verbindlich sind sie allerdings nicht, solange sie nicht in UN-Konventionen bekräftigt sind. Völkerrechtlich für alle Unterzeichner verbindliche Abkommen wie den Sozialpakt und den Zivilpakt gibt es inzwischen unter anderem auch für Kinderrechte und Frauenrechte, für den Schutz von Flüchtlingen und Wanderarbeiter, die Rechte von Behinderten, gegen Völkermord und Folter. Im deutschen Grundgesetz sind – wie in vielen Verfassungen anderer Länder – die Menschenrechte verankert. Für Europa sind sie seit 1950 in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben, und auch auf anderen Kontinenten gelten regionale Menschenrechtsverträge.
Dennoch ist das Ideal – der Mensch ist das Maß aller Dinge, nicht der Staat – weit von der Verwirklichung entfernt. Massive Menschenrechtsverletzungen sind weltweit an der Tagesordnung und in der internationalen Debatte greifen Autokraten den historischen Konsens zunehmend offen an. Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, stellt dazu in der aktuellen Ausgabe der APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) vom 1. Dezember fest: „Auch durch kulturalistische Konzepte und nationalistische oder völkische Ideologien sind Menschenrechte zunehmend bedroht.“ Diese „propagieren die Ungleichheit von Menschen, indem sie ihre Ungleichbehandlung fordern, Gruppen durch Zuschreibungen von Eigenschaften konstruieren und abwerten oder indem sie sie zu Sündenböcken machen und Hass und Gewalt schüren, um Menschen auszugrenzen, zu vertreiben oder gar zu töten.“
Als die am weitesten verbreiteten „Ideologien der Ungleichheit“ nennt Rudolf den Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Antiziganismus und Rassismus gegen Schwarze Menschen. „Mit solchen Ideologien der Ungleichheit verwandt sind Ideologien, die es als Aufgabe des Staates ansehen, „traditionelle Werte“ zu verteidigen“, schreibt die Autorin weiter und führt als Beispiel die „Anti-Gender“-Bewegung an.
Beate Rudolf schließt mit einem Plädoyer, Menschenrechte nicht nur von allen Staatsorganen, von Politik und Parteien einzufordern, sondern sie auch „im Alltag zu leben, indem wir Abwertung, Ausgrenzung und Hass klar entgegentreten, Menschen als Individuen wahrnehmen und einander als Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten achten“.