Im britischen Unterhaus rumort es. Um die Abgeordneten zu bändigen, die empört aus der Sommerpause zurückkehren, droht Premierminister Boris Johnson mit vorgezogenen Neuwahlen. Nach der verordneten Zwangspause für das Parlament zeigt der rechtspopulistische Regierungschef ein weiteres Mal seine Verachtung für die demokratischen Spielregeln. Standhaft bleiben, lautet der Appell der Stunde, sowohl an die britischen Abgeordneten als auch an die Europäische Union.
Johnson hat den Brexit zum 31. Oktober versprochen – komme, was wolle, notfalls auch ohne Vertrag mit der EU. Er setzt auf Nachverhandlungen mit Brüssel, um die Backstop-Regelung zu kippen. Die soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland eine neue EU-Außengrenze entsteht. Die EU lehnt jegliche Nachverhandlungen des vorliegenden Vertrags ab. Der war von Theresa May ausgehandelt worden und ist bereits dreimal im britischen Parlament gescheitert. Zugleich hat das Unterhaus aber auch mehrheitlich bekräftigt, dass es einen ungeregelten EU-Austritt ablehnt. Mays Nachfolger, der durch eine innerparteiliche Wahl der konservativen Torys ins Amt kam, setzt sich darüber hinweg.
Johnson setzt alles daran, Brüssel zu zeigen, dass es ihm mit dem No-Deal-Szenario ernst ist, um die Europäer zum Einlenken zu bewegen. Daher legt er das Unterhaus für fünf Wochen lahm, in denen er selbstherrlich schalten und walten kann. Er schafft sich die parlamentarische Kontrolle bis zum 14. Oktober vom Hals. Bis zum derzeit gültigen Austrittsdatum bleiben nur wenige Sitzungstage, in denen die Abgeordneten ihrer Arbeit nachkommen könnten.
Das ist ein Affront gegen das Parlament und seine Wähler, und auch in den Reihen der Konservativen gibt es einige Abgeordnete, die sich das von ihrem Premier nicht bieten lassen wollen. Johnsons Mehrheit ist außerordentlich knapp und überhaupt nur durch die Unterstützung der nordirischen DUP gesichert. Durch die Tory-Fraktion geht in der Brexit-Frage ein tiefer Riss. Rückhalt für einen halsbrecherischen Austritt ohne Abkommen hat Johnson nur bei den verantwortungslosen „harten Brexiteers“. Die mögen sich sogar von der demütigenden Kaltstellung unbeeindruckt zeigen. Doch viele sind nicht bereit, diese Schmach auf sich sitzen zu lassen. Sie kehren mit dem festen Vorsatz aus der Sommerpause zurück, den Premier in die Schranken zu weisen.
Das könnte zusammen mit der Opposition gelingen. Die Zeit für ein Gesetz, das den No-Deal-Brexit ausschließt, ist knapp, aber es wäre machbar. Das sieht Johnson offenbar genauso, weshalb er nun einerseits Zweifel an der Verbindlichkeit eines solchen Gesetzes streut und andererseits mit Neuwahlen droht. Dabei macht er den widerständigen konservativen Abgeordneten klar, dass sie nicht erneut kandidieren werden, falls sie sich ihm entgegenstellen. Das ist maximaler Druck nach Gutsherrenart.
Auch für die Opposition hat Johnson mit vorgezogenen Neuwahlen ein bedrohliches Szenario entworfen. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat zwar als Oppositionsführer während der drei zähen Brexit-Jahre stets auf Neuwahlen gesetzt, doch könnten sie ausgerechnet jetzt dem Premier zu freier Hand für einen Chaos-Brexit verhelfen. Denn Johnson wäre Herr über den Terminplan, könnte das Parlament über den 31. Oktober hinaus ausschalten und den Austritt Großbritanniens aus der EU vollziehen. Gegen den Willen der Wähler. Gegen das Parlament. Gegen jede Vernunft. Es lohnt sich, standhaft zu bleiben und für den Exit vom Brexit zu kämpfen.
Bildquelle: Wikipedia, Robert Mandel, UK, CC BY 4.0