“Rolle rückwärts“, schrieb der Spiegel Mitte 1992, als der damalige Chefredakteur der überregionalen Tageszeitung “Die Welt“, Manfred Schell, “gefeuert“ wurde und von dem Oldie Claus Jacobi, der sich damals mit 65 Jahren auf die Rente vorbereitete, ersetzt wurde. Schell hatte sich 1985 daran gemacht, das Blatt auf einen besseren Zukunftskurs zu bringen. Die Auflage bewegte sich damals um 212.000 und ist bis heute trotz aller Experimente – etwa mit der Welt kompakt – gesunken.
Manfred Schell, 1944 in Höflingen im Neckar-Odenwald-Kreis geboren, war ein Journalist, der das Metier von der Pike auf erlernte. In jungen Jahren arbeitete er in der Redaktion von United Press International (upi) unter dem damaligen Chef Rüdiger von Wechmar. 1975 wurde er Korrespondent bei der Welt, 1994 Chefredakteur. Schnell gewann er kundige Mitarbeiter als qualifizierte Journalisten in den Bereichen Politik und Wirtschaft, aber auch renommierte “Schreiber“ aus der Wissenschaft, Literatur und anderen Bereichen. Mit der “Geistigen Welt“ sprach er in jeder Woche besonders ausdrucksvolle Leser an. Von Ratzinger über Popper bis Kroetz waren alle Autoren für das von Schell geführte Blatt tätig.
Die Zeitung war unter dem Chefredakteur Schell frischer, jünger und auch besser geworden. Bei einer konsequenten Weiterentwicklung hätte die “Welt“ die damals ungeahnte Chance gehabt, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, von der Axel Caesar Springer “träumte“, die große Hauptstadtzeitung in Berlin zu werden. Mit Schells Abberufung wurde diese Chance indessen im Hause Springer leichtfertig vertan.
Manfred Schell war danach als Mitglied der Chefredaktion beim Nachrichtensender „ntv“ tätig. Für seine herausragenden informativen Interviews mit Spitzenleuten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wurde er mit dem Quandt-Preis ausgezeichnet. Auch als Buchautor machte er sich einen Namen – u. a. 1978 mit dem Werk “Verrat in Bonn – der Sturz Brandts durch den Spion Guillaume“, 1986 mit dem Buch “Die Kanzlermacher“ und 1981 mit “Stasi und kein Ende“ sowie 1994 mit „Tage, die Deutschland und die Welt veränderten“ (Co-Autor Theo Waigel).
1994 wechselte Manfred Schell in die Finanzbranche, zunächst als Direktor zur Deutschen Vermögensberatung AG, dann ab 1996 zur Aachen Münchener Versicherung und zum Generali-Konzern, wo er Mitglied des Vorstandes wurde.
Heute lebt er in Sankt Augustin bei Bonn und ist wieder journalistisch aktiv.