Ein Titel angesichts der bevorstehenden Präsidentschaft von Donald Trump, der mit seinen aktuellen Aussagen die Begriffe „Lüge“ und „Wahnwitz“ in eine neue Dimension katapultiert hat. Ein Titel, der auch zu den Regierungen und Regierungsbildungen in Österreich, Ungarn, der Niederlande oder Israel passt, um nur einige Staaten zu nennen, in denen die Säulen der Demokratie wie Menschenrechte, Rechtssaat, Sozialstaat, Teilhaberechte und Grundrechte extrem bedroht sind. Nein, es ist in Wirklichkeit die Erstveröffentlichung einer Schrift von Bruno Frank aus dem Jahr 1939. Es ist eine brutale wie geistreiche Abrechnung mit Hitler und seinem nationalsozialistischen Regime, einschließlich seiner alle Dimensionen menschlichen Verhaltens sprengenden Mittätern, nur wenige Wochen vor dem Beginn des 2. Weltkriegs und den beispiellosen Menschlichkeitsverbrechen deutscher „Nationalisten“.
Ein absolut empfehlenswertes Buch. Ein Glücksfall, dass diese scharfsinnige Analyse und Anklage der unmenschlichen Schreckensherrschaft des deutschen Nationalsozialisten jetzt aus einem Archiv aufgetaucht ist und einer wunderbaren Ausgabe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Eher eine Kaufverpflichtung als nur eine Empfehlung für jeden, der sich um die Demokratie sorgt. Zugleich ein beispielloses Zeitdokument.
Wenn man diese schonungslose Abrechnung liest, fallen einem nicht nur sofort aktuellen Parallelen auf, sondern das Buch liest sich genauso verständlich wie eindringlich, wenn man Namen wie Höcke, Chrupalla, Weidel, Trump, Musk oder Orban (und viele andere mehr, ich würde aktuell gerade Zuckerberg anfügen) in den Text einsetzt. Nur ein Beispiel: „Er“, hier ist von Hitler die Rede, „schreibt da, in dem eitrig gedunsenen Deutsch, das sein Geheimnis ist: ‚In der Größe einer Lüge liegt immer ein gewisser Faktor des Geglaubtwerdens, da die breite Masse eines Volkes bei der primitiven Einfalt ihres Gemüts einer großen Lüge leichter zum Opfer fällt als einer kleinen, da sie selber ja wohl manchmal im Kleinen lügt, jedoch vor zu großen Lügen sich schämen würde…‘ Die wird an die Möglichkeit einer so ungeheuren Frechheit nicht glauben können. … Daher denn auch die frechste Lüge immer noch etwas übrig- und hängenbleiben wird – eine Tatsache, die alle großen Lügenkünstler und Lügenvereine dieser Welt nur zu genau kennen und deshalb auch niederträchtig zur Anwendung bringen‘“.
Wem fallen da nicht die ganzen Hetzen gegen Ausländer, gegen Muslime, gegen Juden, gegen Andersdenkende, Menschen mit anderen Lebensentwürfen, Kranke oder aktuell ja gerne auch Bürgergeldempfänger ein. Verschwörungstheorien, Fakenews, Hass und Hetze. All dies entstammt nicht dem Instrumentenkoffer der Social Media oder des Internet-Zeitalters, nein, es sind alte Techniken, die von Feinden der Demokratie immer schon eingesetzt wurden, aber noch nie eine so furchtbare Wirkung entfacht haben wie im Nationalsozialismus. Bis jetzt. Fassungslos stehen wir vor der Entmenschlichung von Gegnern, der Preisung von Krieg als Mittel der Politik, „Remigrationsplänen“, den schamlosen Eingriffen in den Rechtsstaat, die Okkupierung und Instrumentalisierung der Medien, vor allem der so wirkmächtigen Plattformen von Zuckerberg & Co und vielem anderen mehr. Neue Technologien, aber alte Instrumente. Populisten (und da muss man aktuell leider gerade Merz, Söder, Linnemann (auch hier noch v.a. mehr) der kommenden Kanzlerpartei) einbeziehen, aber vor allem die radikalen und extremistischen Kräfte greifen schamlos in den Werkzeugkoffer der Diktatur. Auch heute gilt, die Lüge ist eine mächtige Waffe gegen die Wirklichkeit. Und weil Lügen einfacher sind als die oft komplizierte Realität, werden sie so schnell geglaubt und entfalten eine ungeheure Dynamik und zerstörerische Kraft.
Franks schonungslose Analyse ist natürlich aus historischer Sicht ein wirklich außerordentliches Dokument und schon deshalb absolut lesenswert. Eine fast unheimliche Wirkung erzielt dieser gerade mal 32 Seiten umfassende Text, weil er etwas beschreibt, was wir aktuell um uns herum erleben und ohne wirklich große Übertreibung auch wieder als möglich befürchten müssen. Die letzten Jahre haben uns völlig überrumpelt, weil ein Angriffskrieg in Europa wieder möglich wurde, die Menschenrechte offenbar zu einem wertlosen Stück Papier verkommen sind, die Grenzen des Sagbaren unermesslich überdehnt wurden bzw. Unsagbares zum Markenkern angeblich „neuer“ politischer Bewegungen und Parteien geworden ist. 1933 kam – aus historischer Sicht – wirklich nicht überraschend. Es hatte eine sichtbare Vorgeschichte. Das wir heute wieder so überrascht sind, dass Demokratie eine Staats- und Lebensform ist, für die wir ganz offensichtlich viel mehr tun müssen als es für uns bequem ist, haben zu wenige in den (mindestens) letzten 10 Jahren kommen sehen.
Dass diese Analyse aus dem Jahr 1939 uns auch heute viel zu sagen hat, ist erschreckend. Es sollte uns aufrütteln. Das Buch hat aber noch viel mehr zu bieten. Es enthält einen Beitrag aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg mit dem Titel „Von der Menschenliebe“, eine wunderbare Einführung mit vielen Information zu Bruno Frank, dessen Werke unverständlicherweise in kaum einer Buchhandlung zu finden sind, und einen noch ganz besonderen Anhang, nämlich Tagebucheinträge und Briefe von und an Thomas Mann, Erika Mann und Heinrich Mann. Ein tolles Buch, das nachdenklich macht.
Kaufen und Lesen! Und Handeln. Nie wieder ist jetzt!
Bruno Frank: Lüge als Staatsprinzip. Verlag Das kulturelles Gedächtnis, Berlin 2024, 22.- EURO