„Lovely“ Rita nannten sie ihre Freunde in den 80er Jahren. Tatsächlich konnte Rita Süßmuth schön lächeln, aber wer sie darauf minimieren würde, läge vollkommen daneben. Denn die CDU-Politikerin und Erziehungswissenschaftlerin war weit mehr als das. Sie war eine politische Persönlichkeit, die für ihre Anliegen- und das waren nicht nur die Fragen der Frauen- kämpfte. CDU-Generalsekretär Heiner Geißler kannte sie und der empfahl sie dem Chef der Union in Bonn, dem Bundeskanzler Helmut Kohl. Geißler verband mit der Einbindung von Prof. Rita Süßmuth in die Führungsarbeit von Regierung wie Partei den dringenden Wunsch, die männerdominierte und zu konservative CDU aufzumöbeln, sie zu modernisieren. Geißlers Wunsch ging in Erfüllung, Kohl wird sich später so seine eigenen Gedanken über diese gewiss nicht einfache Frau gemacht haben, die ihren eigenen Kopf hatte. Und die, wenn sie sich etwas vorgenommen und als richtig erkannt hatte, dieses auch mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen versuchte. Niemals aufgeben, so ein Fazit ihrer Kämpfe im politischen wie gesellschaftlichen Bereich.
„Lovely“ Rita, von wegen werden ihre Gegner urteilen, die es nicht leicht hatten mit ihr. Und sie dachte auch nie daran, es den anderen leicht zu machen, wenn es darum ging, Hürden wegzuräumen, um ein Ziel ins Auge zu fassen. Jahre kämpfte die CDU-Politikerin für die Mütterrente, es dauerte Jahre, ehe sich für ihre Idee eine Mehrheit fand. Übrigens: Auch ihre früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fanden sie nicht nur „lovely“, sie stöhnten schon mal unter dem Arbeitseinsatz ihrer Chefin.
Wer sie erlebte, konnte mit ihr herrlich diskutieren. Sie war offen für Argumente, weil sie mit ihrem Eintritt in die CDU ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen nicht an der Eingangstür zum Konrad-Adenauer-Haus abgegeben hatte. Gerade hat sie erneut ein Einwanderungsgesetz gefordert. „Wir haben in Deutschland immer gesagt: Wir sind kein Einwanderungsland. Wir sind es aber bereits seit langem“, so Rita Süßmuth in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“. Wobei sie es vermied, den damals Schuldigen beim Namen zum nennen. Es war Helmut Kohl, der in seiner langen Amtszeit stets jeden Gedanken an ein Einwanderungsgesetz mit den Worten vom Tisch fegte: „Wir sind kein Einwanderungsland.“ So war eben Kohl, auf seine Art auch ziemlich stur. Und als Kohl von Gerhard Schröder(SPD) abgelöst wurde und Schröders rot-grüne Regierung eine Einwanderungskommission beschloss, fragte der SPD-Kanbzler wie selbstverständlich Rita Süßmuth, ob sie denn den Vorsitz übernehmen werde. Sie tat es und löste heftige Proteste bei den Unions-Männern aus. Das wird ihr nicht imponiert haben, zumal sie in der Sache Recht hatte. Wir hätten damals schon ein Einwanderungsgesetz gebraucht, wir brauchen es heute umso dringender. Zur Begründung Rita Süßmuth: „Wir brauchen eine geordnete Einwanderung. Schaffen wir das oder wird die Zahl der brennenden Heime zunehmen.“
Zur erfolgreichen Integration von Ausländern gehört natürlich auch die deutsche Gesellschaft, mit der man diese Fragen diskutieren muss. Man muss ihr sagen, was anders wird und was nicht. Rita Süßmuth: „Wir müssen vermeiden, dass es zu einem Kulturkampf, zu einer gespaltenen Gesellschaft kommt.“ Wir müssen darüber reden, wie diese Gesellschaft zusammengehalten werden kann, was sie gemeinsam hat, was sie eint.
1985 wurde sie Bundesministerin für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit, Gedöns, wie Schröder später mal gespottet hat bezüglich der Themen, aber nicht mit Blick auf Süßmuth. Als die Grünen und die SPD eine Quotenregelung beschlossen, um Frauen den Weg in die Politik, aber auch in die Wirtschaft zu ebnen, ihnen einen Aufstieg zu erleichtern, wurde das von der Union rundweg abgelehnt. Oft mit der Begründung, vorgetragen selbstverständlich von den Männern: Das hätten doch Frauen gar nicht nötig. Wenn sie qualifiziert wären, würden sie auch auch ohne Quote ihren Weg nach oben machen. Ja, so diskutierten die Männer der CDU und der CSU. Dabei wussten alle, wie vor allem in der Politik hinter den Kulissen gemauschelt wurde, wie man Kandidaturen verhinderte und wie man sie steuerte. Die CDU-Politikerin Süßmuth reagierte auf den Vorstoss der Grünen und der SPD positiv, weil sie sich davon Druck auf ihre eigenen Partei versprach, Frauen den Weg in die Spitze der Politik freizumachen. Sie hat für Letzteres immer gekämpft. Wer weiß, ob Angela Merkel je Vorsitzende der CDU, wer weiß, ob sie je Bundeskanzlerin ohne die Vorarbeit von Rita Süßmuth geworden wäre!?
Sie hatte schwierige Themen anzupacken, die in ihrer Zeit noch keinen breiten gesellschaftlichen Konsens hatten. Zum Beispiel die Behandlung der Krankheit „Aids“. Damals wurde das Problem als Schmuddelthema behandelt, auch in den Medien schob man AIDS zunächst nach hinten. Homosexualität und die damit verbundenen Probleme, das war nichts für die feine Gesellschaft. Süßmuth stellte sich dem Thema und zog nicht nur zustimmende Blicke in ihrer Partei auf sich.
Für liberale Abtreibunspolitik
Sie propagierte eine liberale Abtreibungspolitik, ihre Gegner in der Union schäumten vor Wut und Empörung. Davon ließ sie sich nicht beeindrucken. Am Ende behielt sie Recht. Auch in der Drogen-Politik suchte sie den Weg der Hilfe für die Süchtigen, auch wenn das nicht jedem passte, und forderte Hörte gegen Dealer.
Für die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung kämpfte die CDU-Frau, die jahrelang Vorsitzende der Frauen-Union war, an vielen Fronten. Ich kann mich noch an ein Interview mit ihr erinnern, indem sie vorschlug, die Öffnungszeiten der Kindergärten den Anfangszeiten berufstätiger Frauen anzupassen. Also Öffnung der Kindergärten um 8 Uhr oder gar etwas früher, damit Frauen ihrem Beruf als Lehrerin nachgehen konnten. Aber so einfach war das nicht, sie musste auch hier zunächst eine Mehrheit organisieren, weil ein Teil der Männerwelt einfach abwinkte. Ja, es waren noch Überbleibsel aus der Zeit vorhanden, als Frauen in der Küche ausharren, kochen und die Kinder erziehen sollten. Welch eine Verschleuderung gesellschaftlichen Vermögens, gut ausgebildete Frauen, die ein Studium mit Erfolg abgeschlossen hatten, dem Arbeitsmarkt zu entziehen.
Ja, auch das ist wahr. Rita Süßmuth gehörte zu jener kleinen Schar führender CDU-Politiker um Lothar Späth und Heiner Geißler, die auf dem berühmt-berüchtigten Bremer Parteitag der CDU Helmut Kohl den Parteivorsitz streitig machen wollten. Kohl bekam Wind von den geheimen Plänen, Geißler war seinen Generalsekretärs-Job los, Späth scheiterte bei der Wahl ins Präsidium der Partei und Süßmuth wurde, wie das damals hieß, auf den Posten der Bundestagspräsidentin abgeschoben. Doch der „Riese von der Pfalz“ hatte seine Rechnung ohne Rita Süßmuth gemacht. Sie beließ es nicht beim Repräsentieren, sie machte weiter Politik. Sie organisierte zusammen mit Klaus Töpfer den Umzug nach Berlin und warb für ein gutes deutsch-polnisches Verhältnis, an dem ihr immer lag. Sie kannte die gemeinsame schwere Geschichte zwischen Deutschland und Polen, wusste, wie der Nachbar im Osten unter den Nazis gelitten hatte. Und sie wusste auch um die nicht leichte Rolle der Polen unter sowjetischer Vorherrschaft.
Der Berliner ‚Tagesspiegel“ hat die Professorin, die aus Wuppertal stammt, verheiratet ist mit Prof. Hans Süßmuth und eine Tochter hat, einen „Querkopf“ genannt, die „Süddeutsche Zeitung“ bescheinigte dem Geburtstagskind „souveränen Eigensinn“. Dass sie das Land weitergebracht gebracht hat, diese Leistung ist ihr nicht abzusprechen.
Bildquelle: Wikipedia, Foto: CC-BY-SA Stephan Röhl