Frage: Beim ersten Lockdown im Frühjahr haben Sie festgestellt, dass von einer Einsamkeitspandemie durch Kontaktbeschränkungen und soziale Distanz keine Rede sein konnte. Ist das jetzt auch wieder so?
Bücker: Das kann ich nicht sagen, weil unsere Datenerhebung ja noch läuft. Beim ersten Lockdown war es so, dass das Einsamkeitsniveau nicht kontinuierlich anstieg, sondern nur in den ersten zwei Wochen zunahm, danach war es tendenziell rückläufig.
Frage: Kann man diese Entwicklung darauf zurückführen, dass die Menschen sich allmählich an die neue Normalität mit Kontaktbeschränkungen und sozialer Distanz gewöhnt haben?
Bücker: Ja. Viele Menschen haben sich alternative Kontaktformen gesucht, etwa mit Hilfe digitaler Medien. Außerdem haben sie den ersten Schockzustand überwunden, der mit den teilweise drastischen Einschränkungen verbunden war. Das aber waren eher kurzfristige Effekte, die wir beobachtet haben. Deswegen wird es spannend sein, wie sich nun der zweite Lockdown auswirkt…
Frage: … und was die längere Phase der Entspannung im Sommer und Frühherbst verändert hat?
Bücker: Genau. Es haben sich zum Beispiel die finanziellen Ressourcen von vielen Menschen verändert, und da wissen wir aus der Einsamkeitsforschung, dass geringere Einkommen oder Arbeitslosigkeit das Einsamkeitsrisiko erhöhen. Die Pandemie hat für viele Menschen finanzielle Einbußen mit sich gebracht, die sich im ersten Lockdown noch nicht so drastisch ausgewirkt haben müssen. Das kann sich jetzt zugespitzt haben. Darüber werden wir Anfang des nächsten Jahres mehr wissen, wenn wir die aktuellen Daten auswerten.
Frage: Interessant an den Ergebnissen des Frühjahrs war, dass sich in den verschiedenen Altersgruppen signifikante Unterschiede im Einsamkeitsgefühl ergeben haben: Während sich die Älteren in der Pandemie kaum einsamer fühlten als vorher, war es bei den Jüngeren umgekehrt. Wie erklären Sie das?
Bücker: Das hat mich nicht überrascht. Wir wissen aus der Forschung schon länger, dass es zwei vulnerable Perioden im Leben des Menschen gibt, nämlich im jungen Erwachsenenalter zwischen 18 und 29 Jahren sowie im hohen Lebensalter ab 80 Jahren. Die Jüngeren wiesen erhöhte Einsamkeitswerte während der Pandemie auf, zum Beispiel weil sie in dieser Phase der Identitätsentwicklung besonders den Kontakt mit gleichaltrigen Freunden aufbauen und Partnerschaften knüpfen. Das war während des Lockdowns natürlich nur eingeschränkt möglich.
Frage: Und die Alten?
Bücker: Im Durchschnitt kommen ältere Menschen schon mit weniger Kontakten aus, sie konzentrieren sich auf Angehörige und haben vielleicht noch ein, zwei enge Freunde. Das soziale Netzwerk ist nicht mehr so groß, da machen sich Beschränkungen nicht ganz so stark bemerkbar wie bei den Jungen. Dennoch sind natürlich auch für ältere Menschen gemeinschaftliche Aktivitäten wichtig für das Wohlbefinden.
Frage: Die Politik lässt sich in der Corona-Krise vor allem von Medizinern und Virologen beraten. Wünschen Sie sich, dass auch Psychologen und Soziologen einbezogen werden, weil die Folgen der Pandemie für die Psyche und für die Gesellschaft doch gravierend sind?
Bücker: In erster Instanz sind natürlich die Virologen und Epidemiologen gefragt. Aber es ist durchaus sinnvoll, jetzt auch die psychischen und sozialen Folgen der Pandemie in den Blick zu nehmen. Das passiert zunehmend. In Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich eine Enquete-Kommission des Landtags mit den Folgen von Einsamkeit für die physische und psychische Gesundheit, und da spielt Corona eine wichtige Rolle. Auch auf Bundesebene beschäftigt sich die Politik inzwischen mit den mittel- und langfristigen Folgen der Pandemie im Gesundheitswesen.
Erstveröffentlichung in der Südwestpresse(Ulm)
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