Die Geschichte einer Stadt ist immer auch die Geschichte des Wassers. Sicher kann man Stadtentwicklung anders erfahren als sich Wasserspeicher, Aquädukte und Wassermuseen anzuschauen, aber es macht gerade den Reiz aus diese Perspektive zu wählen, denn Wasser ist Kultur und darum geht es ja bei einem Städtetripp. Deshalb habe ich mir für meine künftigen Reisen das „Wasser“ auf die Agenda geschrieben. Das Ziel meiner ersten Reise war Lissabon. Ich gestaltete folglich den Besuch der portugiesischen Metropole am zweiten April-Wochenende 2016 rund um die Geschichte der Wasserversorgung dieser wunderschönen Stadt, die sich wohl nicht mehr allzu lange überaus gastfreundschaftlicher Menschen, fairer Preise und ruhiger Wohngegenden erfreuen wird. Denn Lissabon ist „in“.
Drei Etagen Lissabonner Wassergeschichte: Museu da Água
Es gehört sicher nicht zum touristischen Standardprogramm, aber statt eines der vielen Museen zu besuchen, die die 530.000 Einwohner-Stadt am Tejo zu bieten hat, wählte ich das Wassermuseum. Das Museu da Água, ein früher als Pumpwerk genutztes Gebäude mit seiner leuchtend gelben Fassade liegt am Ostrand des historischen Stadtteils Alfama.
Mara empfing mich mit einem freundlichen Lächeln an der Rezeption und kassierte die fünf Euro Eintrittsgeld. Sie hatte die Ausstellung entwickelt, wie sie stolz berichtete, und vertrat ihren erkrankten Kollegen der vom staatlichen Wasserversorger EPAL für den Museumsbereich arbeitete. Erfreut von meiner Wasser-Reise nach Lissabon zu hören, weil ich so viel fragte, glaubte sie mir einen Gefallen zu tun, in dem sie mir mit einem Augenzwinkern einen Seniorenrabatt für Besucher über 55 anbot. Diesen nahm ich natürlich gerne an, musste ihr aber eingestehen, dass ich schon ein wenig betrübt sei, dass sie mein Alter so gut geschätzt habe. Nach diesem kleinen inter-kulturellen Lerneffekt startete ich mit den Rundgang durch die Ausstellung.
Ich genoß die gleichermaßen lebendige wie gut verständliche Beschreibung der Wasserversorgung in Lissabon. Von historischen Dokumenten und Fotos unterstützt, finden sich in der Ausstellung viele anschauliche Beschreibungen der geschichtlichen Entwicklung. Angefangen in der Römerzeit über die Gegenwart bis zum Ausblick in die Zukunft. Modern und multimedial geht es in den Ausstellungsräumen zu. Auf drei Ebenen werden die Wege des Wassers auf dem Erdball und im Lissabonner Haushalt beschrieben. Wo kommt das Wasser her, wo geht es hin und wie kommt es wieder zurück. Stationen, die wir auch aus deutschen Wassermuseen kennen. Auch die historischen Stationen sind gut und leicht verständlich beschrieben – vorausgesetzt man beherrscht die portugiesische oder englische Sprache. Die vielen anschaulichen Quellen zeugen von einem guten historischen Archiv. Nach etwa einer Stunde ist der Rundgang beendet. Am Ausgang fragte mich Mara dann, ob ich weitere Teile des Museums besuchen möchte: einen Wasserspeicher und die Galerien von Lissabon. Ein unter- und überirdisches Leitungssystem auf dem 18. Jahrhundert. Natürlich will ich!
Wie das Wasser zu den Menschen kam
Viele Lissabon-Touristen kennen ihn vermutlich, den alten Stadtteil Alfama, der 1755 vom katastrophalen Erdbeben verschont geblieben war und sich wachsender Beliebtheit – auch vieler Immobilieninvestoren – erfreut. Die Bezeichnung kommt vermutlich aus dem Arabischen „al-hamma“, was so viel wie „Quellen“ oder „Bäder“ bedeutet.
Diese natürlichen Vorkommen ermöglichten es den Bewohnern unterhalb des Castelo de São Jorge sich an den dortigen Wasserquellen zu bedienen. Aber nicht alle Stadtviertel konnten sich lokaler Quellen bedienen. Das Wachstum der Stadt uog sich in den folgenden Jahrhunderten am Teijo entlang. Die Bevölkerung und Seidenindustrie brauchten Wasser- Mangels Quellen musste dieses herangeleitet werden. Und wie das funktionierte, besichtigte ich an den folgenden zwei Tagen.
Am nächsten Tag fuhr ich dann mit der Metro zur Station Rato. In unmittelbarer Nähe steht das Mae d’Água das Amoreiras, ein öffentlich zugänglicher monumentaler Wasserspeicher an dessen Oberseite ein Reststück des oberirdischen Aqueduto des Águas Livree (Freies Wasser) endet, der mit natürlichem Gefälle das Wasser aus nördlich gelegenen Flüssen in den 5.500 Kubikmeter fassenden Speicher führte. Beide Bauwerke speisten ab 1799 die verzweigten Wasser-Galerien der wachsenden Stadt.
Der Eintritt in Höhe von fünf Euro ist sein Geld wert. Im Inneren des mit großen bogenförmig verlaufenen Säulen versehenen Speichers herrscht eine anmutige Atmosphäre. Zwar ist der Zufluss vom Aquädukt nicht mehr aktiv, aber aus ein Delphinmaul als Wasserspeier läuft ein angenehm klingendes Rinnsal den darunter liegenden Felsblöcken aus 7,50 Metern Höhe hinunter und speist die durch seitlich einfallendes Sonnenlicht angestrahlte, leuchtende Wasseroberfläche.
Über eine schmale Treppe geht es auf das Dach des Wasserspeichers. Bevor man dort ankommt und einen überwältigenden Blick über Lissabon genießen kann, sieht man durch ein Gittertor hinein in das Aqueduto des Águas Livree, das jetzt nach etwa 150 Metern an einem Hochhaus endet, aber später als Nationaldenkmal mehrere Kilometer durch die Landschaft zieht. Vor 200 Jahren lag der Zufluss des Aquädukts in Mãe de Água Velha in Belas Region, in den Bergen von Sintra, rund 14 Kilometer nördlich von Lissabon.
Vom Wasserspeicher wird das Wasser unterirdisch über weit verzweigte unterirdische Galerien, wie die Aquädukte hier auch genannt werden, weitergeführt. Diese dritte Attraktion des Lissabonner Wassermuseums ist ebenfalls für Besucher zugänglich. Ich schloss mich am nächsten Tag einer kleinen Gruppe an und begab mich bei strahlendem Sonnenschein in den Untergrund der portugiesischen Metropole. Wer jetzt an stinkende, dunkle Kanäle denkt, der irrt, denn der Zustand der aus Granitstein gemauerten Grotten würde wohl auch heute noch sauberes Trinkwasser transportieren.
Der Brunnen am Largo do Rato ist ein Eingang in die „Leitungsgeschichte“ der Stadt. Durch eine eiserne Seitentür an der Rua de Eicola Politecnica konnten wir den mehrere hundert Meter langen Abschnitt der insgesamt 14 Kilometer langen unterirdischen Galerien besteigen. Die sympathische Besucherführerin der EPAL erläuterte mit viel Enthusiasmus die städtische Wassergeschichte. Die Gäste aus Portugal und Deutschland, neben mir hatte noch ein deutsches Ehepaar die Wärme der Sonne gegen die Dunkelheit der feuchten Trinkwasserleitungen getauscht, wurden auf dem etwa eine Stunde dauernden Spaziergang nicht enttäuscht.
So erfuhren wir, dass im 18. Jahrhundert die Galerien an 30 in der Stadt verteilten öffentlichen Brunnen endeten, um die Menschen mit Wasser zu beliefern. Kaum zu glauben, dass diese an zentralen Plätzen gelegenen Bauwerke vor 150 Jahren so etwas wie den heutigen Wasserhahn darstellten. Dort konnten sich die Städter entweder das Wasser selber abholen oder sich dieses von einem der 3 000 Wasserlieferanten, die überwiegend aus Galizien stammten, bringen lassen. Diese Lieferanten waren Beschäftigte der Stadt und durften nur in ihren Gebieten die Auslieferung vornehmen. Der damalige Wasserverbrauch soll nach überlieferten Berichten bei 6 Litern täglich gelegen haben – pro Familie, und die bestand zumeist aus acht bis zehn Personen. Besonders privilegierte Bürger duften sich einen direkten Zugang zum Leitungssystem bauen. Mit Hilfe von Pumpen, die im Untergrund von Hand betrieben werden mussten, wurde das Wasser in Haustanks geleitet und bildete damit die ersten Hauswasserleitungen. Ihr Wasserverbrauch dürfte sicher deutlich höher gewesen sein. Unser Marsch durch die Wasserleitung endete wieder an einem zentralen Platz. Zur Überraschung der anwesenden Parkbesucher öffnete plötzlich ein Tor am Brunnen am Jardim de São Pedro de Alcântara und die Gruppe der Leitungswanderer verließ das Gewölbe. Der Ausstieg aus dem System belohnte die Teilnehmer. Auch hier bot sich wieder ein wunderschöner Blick über Lissabon.
Wasserversorgung und die Politik
Bis in die 1960er Jahre war das Águas Livree Aqueduct-System in Betrieb. Es umfasste zu Schluss rund 58 Kilometer. Mitte des 19. Jahrhunderts wollte man zunächst die Investitionen in eine Wasserversorgung vermeiden, für Gas gab es das schon. Es waren die Gelbfieber- und Cholera-Epidemien in den Jahren 1856/57 mit 9.000 Toten unter den 160.000 Einwohnern, die den Bau einer Wasserversorgung unumgänglich machten. Die Regierung forcierte daraufhin den Bau eines Versorgungssystems durch das neu gegründete Ministerium für Öffentliche Versorgung. Die Empires de Auges de Lisboa (EAL) wurde als erste Wassergesellschaft gegründete. Sie sollte die Entwicklung vorantreiben. Der Franzose Louis-Charles Mary erhielt als leitender Ingenieur den Auftrag für den Bau eines Versorgungssystems, das aus einem Leitungsnetz und vier Reservoirs bestehen sollte. Knapp 100 Liter Trinkwasser täglich waren jedem Lissabonner versprochen worden. Das war eine wirkliche Innovation im Vergleich zu den laufenden galizischen Wasserlieferanten. Das Wasser wurde zum Commodity, jeder Lissabonner ein Kunde der EAL.
Aber die gesetzten Ziele wurden nicht erreicht. Schon 1863 brannten Proteste auf, weil in den heissen Sommern mal gerade acht Prozent der versprochenen Wassermengen zur Verfügung standen. Das Ministerium für Öffentliche Versorgung übernahm die Zuständigkeit für das Trink- und Abwassersystem. Letzteres war gebaut worden, weil man gemerkt hatte, dass die Abwässer geordnet abgeführt werden müssen oder erneut Epidemien drohen würden. 1867, nur wenige Jahre später, fand die Erweiterung des Versorgungssystem um eine 100 Kilometer lange Transportleitung statt, den Alecia Kanal. Dieser sollte die notwendigen Wassermengen liefern. Die Pumpen standen in dem Gebäude, das heute das Museum da Água beherbergt und ich an meinem ersten Tag besichtigt hatte.
Ende des 19 Jahrhunderts wurde eine revolutionäre Entwicklung eingeführt, die in England erst in diesen Tagen erhält: der Wasserzähler. 1873 war der nach seinem Entwickler Pinto Bastos benannte Messgerät für den Wasserverbrauch auf der Weltausstellung in Wien vorgestellt worden, wenige Jahre später erhielt jedes Haus in Lissabon einen „Bastos-Wasserzähler“. Mit ihm konnten die Wassermengen den Kunden in Rechnung gestellt werden.
In den folgenden Jahrzehnten musste die Wasserversorgung die Herausforderungen von Dürren und wachsender Bevölkerung sowie mehreren Epidemien bewältigen. Zwischenzeitlich war die Verantwortung wieder in die Hände einer Wassergesellschaft gelegt worden. Diese war wegen der Unzufriedenheit der Bevölkerung sogar das Ziel von Anschlägen. Wasser war, und ist ja auch heute noch, ein Politikum. Um die Qualität des Wassers auf seinem langen Weg zu erhalten, wurde wenige Jahre später die Chlor-Behandlung eingeführt. Auch dagegen bildete sich Widerstand. Zu Unrecht, denn die Zahl der Typhus-Toten wegen des Verzehrs von verkeimten Wasser lagen mit 13 Toten auf 100.000 Einwohner um den Faktor 10 höher als die Typhus-Todesfälle, die in anderen europäischen Metropolen zu beklagen waren.
Eine Ursache fand man auch in den veralteten Aquädukten. Wieder einmal wurde die Regierung aktiv. Dazu trugen auch politische Umwälzungen bei. Der Diktator Oliveira Salazar, der 1933 mit dem „Neuen Staat“, eine konservativ-autoritäre Diktatur begründete, nahm sich auch der Infrastruktur an. Wenngleich das Regime die Zentralisierung der Infrastruktur und deren Kontrolle forcierte, so fürchtete Salazar doch um die portugiesischen Werte. Glaubte er doch, dass wenn die alten Frauen sich nicht mehr an den Wasserbrunnen träfen, würde die portugiesische Tradition zugrunde gehen. Vergleiche mit der Rolle der Frau bei der Trinkwasserversorgung in afrikanischen Ländern in der Gegenwart sind sicher nicht abwegig, aber es wird kaum jemand behaupten können, dass dies aus kulturellen Gründen wertvoll ist.
Entwicklungsschub durch Portugals EU-Beitritt
Wenn wir einige Jahrzehnte überspringen, gelangen wir in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Trotz des Fortschreitens der Zeit blieb der Fortschritt aus. Mit Beginn der 1990er Jahre wurde die anhaltend schlechte Trinkwasserqualität ein öffentliches Thema. Die Probleme waren aber weitaus weitreichender: Verschmutzung der Flüsse und Strände, fehlende Abwasserbehandlung, Grundwasserverunreinigung und Übernutzung der Grundwasserreserven, aber auch ineffiziente Wassernutzung, all diese Unzulänglichkeiten fanden ihren Weg in die Medien. Doch Portugal bekam Unterstützung. Der Beitritt in die EU im Januar 1986 öffnete den Weg zu einem wirklichem Entwicklungsschub. Das Land erhielt Finanzmittel für dringend benötigte Investitionen in die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, Technologien wurden eingeführt und wasserpolitische Regeln und Institutionen begründet. Heute sind Portugal und seine Hauptstadt Lissabon auf dem Weg in eine moderne Wasserwirtschaft. Viele Etappen dieses Weges und geschichtliche Entwicklungsschritte der Versorgung kann sich der Besucher in den Wassermuseen der Stadt erschliessen.
Aber wo Licht ist, muss auch Schatten sein. Obwohl Portugal angesichts des Klimawandels und des mit 150 bis 180 Litern je Einwohner und Tag vergleichsweise hohen Wasserverbrauchs noch Entwicklungsbedarf beim Wasser sparen zu haben scheint, so wird dem Thema Wasserkonsum in den Museen und den Führungen nur wenig Raum geboten. Auch die Wertigkeit des Wassers als Lebensmittel fand überraschenderweise kaum Berücksichtigung. Trotzdem findet man in Lissabon wie auch in anderen europäischen Städten viele öffentliche Trinkbrunnen. Wenngleich auch nicht alle funktionieren. Auch preist EPAL seit kurzem Trinkflaschen für Leitungswasser an, um der überbordenden Mengen an Einmalflaschen Herr zu werden. Aber gesehen habe ich sie nirgendwo im Stadtbild. Auch wenn die Beschreibungen der Wasserzählertechnologien in der Ausstellung und der Apps mit denen man den Verbrauch mobil und jederzeit ablesen kann, wie 21. Jahrhundert anmuten, das Stadtbild ist von alten Gebäuden und nicht viel jüngeren Hausanschlüssen
geprägt. Vielleicht ist man ja doch ein bisschen in den Anfängen des 19 Jahrhunderts stecken geblieben. Aber dieser morbide Charme ist ja wiederum auch das, was mich angezogen hatte.
Wer Lissabon nicht nur für ein Wochenende besucht, dem kann ich den Besuch des Museum da Água und der Aquädukte wirklich empfehlen. Der Besucher wird mit viel Wassergeschichte, Einblicke in die Entwicklungsstationen einer Stadtentwicklung und schönen Aussichten belohnt. Auch sonst hat Lissabon natürlich vieles zu bieten, das eine Reise lohnenswert macht. Festes Schuhwerk und flexible Kleidung sind genauso empfehlenswert, wie die Liebe zur mediterranen Küche und aufgeschlossenen Menschen. Lissabon, das zeigen die vielen Sprachen die im Stadtbild zu hören sind und die vielen jungen Menschen die in selbigen bewegen, besitzt viele Reize, die so gar nichts mit Wasser zu tun haben.
Hier geht es zu meinem ersten Bericht über Lissabon und Wasser: The Sexiest WC on Earth
Hier geht es zur Website des Wassermuseums
Bevor ich es vergesse: Die deutschsprachige Version des Museumsführers belegt, welchen Unsinn die Übersetzung eines Internet-Tools erzeugt. Vermutlich hat man etwas ganz anderes gemeint.
(Fotos: Siegfried Gendries (c) – soweit nicht anders gekennzeichnet)
Dieser Beitrag wurde zuerst auf LebensraumWasser veröffentlicht