Lieber rot als tot? Die älteren Semester erinnern sich vielleicht noch an diese Parole aus den Anfangsjahren der Republik, als es um die Wiederbewaffnung ging. Nie wieder! hatten viele unserer Väter geschworen nach dem Krieg. Heftig war die Auseinandersetzung zwischen Konrad Adenauers CDU und der oppositionellen SPD unter Kurt Schumacher. 1950 bis 1955 wurde dann das Amt Blank(offizieller Name: Dienststelle des Bevollmächtigten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen) geschaffen, so hieß der Vorgänger des Bundesverteidigungsministeriums, Dienstsitz war zunächst im Museum König, später in der Ermekeilkaserne in der Bonner Südstadt. Lieber rot als tot? Das antikommunistische Schlagwort beherrschte viele Debatten, weil ja der Russe vor der Tür stand. In Berlin und in Polen, der CSSR, Ungarn, im Baltikum. Damals.
Vor kurzem redeten wir im Bekanntenkreis über den Krieg Russlands gegen die Ukraine und landeten bei der Parole: Lieber rot als tot. „Niemals!“ habe ich reagiert auf die Meinung einer Zeitgenossin, die sich lieber ergeben würde. Aber ein Leben ohne Freiheit, was ist das für ein Frieden? Unser Land müsse im Falle eines Überfalls durch Russland verteidigt werden, sagte ich, Jahrgang 1941. Ich bin damals gemustert und für tauglich befunden worden, wurde aber nicht zum Bund, wie wir sagten, eingezogen. Und doch bin ich dafür, für die Demokratie notfalls unser Leben einzusetzen. So las ich es auch gerade in der Kolumne von Axel Hacke im Magazin der „Süddeutschen Zeitung.“
Hacke, Jahrgang 1956, hat gedient, war Zeitsoldat für zwei Jahre, bekennt, dass er kein Pazifist ist. (Ich auch nicht, obwohl ich von Waffen keine Ahnung habe.) Hacke nennt in seinem SZ-Beitrag die Bundeswehrzeit „fürchterlich“, vor allem „wegen der Sauferei, des Feldwebelgeschreis und des ständigen Exerzierens auf dem Kasernenhof“. Er sei kein guter Soldat gewesen, „als Panzerkommandant eine Fehlbesetzung“. Wie gesagt, ich kann da nicht mitreden, habe eine Kaserne als Journalist später quasi nur mal besichtigt, ohne das berüchtigte Innenleben erfahren zu haben. Gehört habe ich damals davon, Freunde erzählten in ihrer Stammkneipe zu Hause ihre Geschichten vom Spieß, vom Oberfeldwebel. Aber ich kenne auch gute Freunde, die wurden Offiziere, studierten dann und lehrten später an der Universität. Mit ihnen bin ich der Meinung wie Hacke heute noch, „für die Demokratie notfalls mein Leben einzusetzen“. Diese Bundesrepublik, davon bin ich überzeugt, ist es wert, dass man, dass wir alle sie verteidigen.
Bisher blieben unseren Generationen Kriegseinsätze erspart, es wurde in Europa über Jahrzehnte kein Krieg geführt. Das war die Lehre aus zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten, mit Verwüstungen auf dem ganzen Kontinent, Flüchtlingen, Elend ohne Ende. Nie wieder! hatten viele geschworen, die überlebt hatten. In Frankreich, in der CSSR, in Italien, auf dem Balkan, in Russland, Onkel in meiner Familie waren in Panzern im Krieg, auf Kriegsschiffen. Welch ein Glück hatten wir, die Jahrgänge ab Mitte der 30er Jahre, dass keiner an die Front musste. Welche Ausmaße diese „Scheißkriege“(Helmut Schmidt sprach das mal so aus) hatten, können wir auf den Kriegerdenkmälern sehen oder den Soldaten-Friedhöfen.
Die Wehrpflicht wurde in der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel ausgesetzt. Es war kein Thema, der Dienst an der Waffe als Pflicht. Ewiger Frieden, lautete der Traum nach dem friedlichen Ende der UdSSR, der Auflösung des Warschauer Paktes. Damals gab es ja sogar den Vorschlag, Russland in die NATO aufzunehmen. Andere plädierten wegen des Friedens dafür, man könne doch auch auf das westliche Verteidigungsbündnis verzichten. Es gab ja keinen Feind mehr. Milliarden Gelder wurden eingespart, weil Verteidigung nicht der Ernstfall war, man glaubte, auf sie verzichten zu können. Man hatte, wir hatten den Satz von Gustav Heinemann vergessen: Der Frieden ist der Ernstfall.
Und dann der Überfall Russlands auf Befehl von Kreml-Herrscher Wladimir Putin auf die Ukraine. Plötzlich musste sich der Westen, die Bundesrepublik wieder Fragen stellen nach ihrer Verteidigungsfähigkeit. Ein General stellte ernüchtert fest: „Wir sind blank.“ Er meinte damit u.a. die Tauglichkeit unserer Waffen, von denen wir alles Mögliche in die bedrängte Ukraine liefern sollten. Aber manches funktionierte nicht einmal, anderes hatten wir gar nicht mehr im Bestand. Und ein Teil der Nation schreckte auf, als der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nach wenigen Wochen im Amt Bilanz zog: „Wir sind nicht verteidigungsfähig.“ Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen, vom Kanzler kurz nach der Invasion Russlands in die Ukraine zugesagt, würden nicht ausreichen, so Pistorius. Dass der Wehr-Etat ausgeweitet wird, hatte Scholz ebenfalls in seiner Zeitenwende-Rede zugesagt, mehr als 2-vh vom Bruttosozialprodukt, das sind zig Milliarden Euro mehr für Waffensysteme und anderes, was Soldatinnen und Soldaten brauchen für die Verteidigung des Landes. Unserer Freiheit. Geld, das in anderen Bereichen fehlen wird, wie der Sozialpolitik, der Gesundheit, beim Klimaschutz.
Seit 1945 kein Krieg in Deutschland, in Europa, wenn man mal Jugoslawien ignoriert. Freundschaft mit Frankreich, aus Feinden wurden Partner, ziemlich beste Freunde, vergessen die Kriege, die sie früher gegeneinander geführt und sich immer wieder die Köpfe eingeschlagen hatten. 70/71, 1914/18, 1939/45. Die Rote Armee hatte im 2.Weltkrieg mitgeholfen, das verhasste deutsche Nazi-System zu besiegen und zu beseitigen. Über 25 Millionen Tote hatten die Völker der Sowjetunion zu beklagen, die meisten Verluste hatte damals die Ukraine, die jetzt, da sie sich gen Westen wendet, von Russland überfallen wurde. Der Traum von der Vernunft, die über den Krieg siegt, weil der doch alles zerstört, sinnlos ist, teuer ist, weil er tötet und kaputt macht, dieser Traum ist geplatzt. Weil einer wie Putin es nicht ertragen will, dass der einstige Nachbar mehr Gefallen findet an einer Demokratie mit Freiheit und Unabhängigkeit als ein Leben in einer Herrschaft von Putins Gnaden.
Nein, das mit der Ruhe, in der unsere Generation über Jahrzehnte lebte, ist erstmal vorbei. Der Wohlstand, den wir genossen, ist mehr als gefährdet, unser wohliges Leben, das Krisen mehr aus dem Kino kannte denn aus dem wahren Leben, erstmal vorbei. (Wobei ich noch gar nicht an die Krisen des Klimawandels denke, an die Dürre, die Italien befallen hat und die auch unsere Quellen trockenlegen kann.) Auch wenn es falsch ist, was die Außenministerin Annalena Baerbock etwas leichtfertig gesagt hat, dass wir uns im Krieg mit Russland befänden- das tun wir nicht, weil unsere Soldaten dort nicht kämpfen, nur unsere Panzer und andere Waffen. Aber der Krieg geht uns alle an, weil er Geld kostet, Leben, weil er Zerstörungen in einem Land hinterlässt, dessen Bewohner verzweifelt gegen den übermächtigen Gegner kämpfen. Sie kämpfen um ihre und ja doch um unsere Freiheit. Olaf Scholz hat Recht: Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Deshalb unsere Waffen, unser Geld, unsere Hilfe für die Ukraine. Insofern ist es auch unser Krieg.