Es liest sich ungeheuer sympathisch, geradezu kuschelig, was die Grünen am Wochenende als Außenpolitik beschlossen haben. Man kann eigentlich nichts dagegen einwenden: Abrüstung, UN stärken, restriktivere Rüstungsexporte, Ablehnung des Zieles, 2% des BSP für Rüstung auszugeben, Diplomatie, Dialog und Multilateralismus. Alles gut! Möchte man sagen.
Konsequente Ausrichtung der Außenpolitik an den Menschenrechten klingt auch sehr sympathisch.
Aber, was bedeutet das eigentlich? Wie verträgt sich die Forderung nach dem Schutz von Menschenrechtsaktivisten durch deutsche Botschaften mit dem Grundsatz der Krisenprävention und der Regel, dass sich Botschaften nicht in die sogenannten inneren Angelegenheiten der Gaststaaten einzumischen haben? Wie wird Dialog praktikabel, wenn den Dialogpartnern erst einmal eine Art Bekenntnis zur UN-Menschenrechtscharta abverlangt wird und sowieso eine deutsche Bundeskanzlerin Baerbock zukünftig entscheidet, ob die Charta jeweils hinreichend umgesetzt ist oder nicht?
In einem Nebensatz wird „dem Westen“ Doppelbödigkeit unterstellt; die moderne Kritik am Westen zielt viel eher auf den Hegemonialanspruch des Werteverständnisses selbst. Dass im politischen Westen die geforderten Werte außerdem oft selbst nicht umgesetzt werden, kommt dieser Kritik allenfalls erschwerend hinzu.
Das Klagen über den UN-Sicherheitsrat ist wohlfeil. Er kann nur wirksam agieren, wenn sich die Vetomächte (notabene die frühere Anti-Hitler-Koalition des II. Weltkrieges!) auf eine Entscheidung einigen können. Eine antirussische Konfrontationspolitik, wie sie die harsche Russlandkritik des Wahlprogramms und der Baerbocksche Widerstand gegen russische Gaslieferungen (sie nennt NordStreamII „geopolitisch fatal“) nach sich ziehen muss, wird solche Verständigungen eher nicht erleichtern. Der geforderte ständige Sitz der EU im Sicherheitsrat, so illusorisch derzeit die Akzeptanz einer weiteren Vetomacht ist, würde nichts daran ändern, dass man sich einigen muss.
China kommt überhaupt nicht vor in der grünen Programmatik für das Internationale. Die Verschlagwortung des gesamten Kapitels unter „Europa“ könnte als Ausrede dafür dienen, aber dann hätte der Nahe Osten ebenso ignoriert werden müssen. Zweifellos ist es einfacher, die Bürger- bzw. Stellvertreterkriege in Syrien und im Jemen zu beklagen, als schlüssige Aussagen zu den zukünftigen europäisch-chinesischen Beziehungen zu machen. Aber angesichts der aktuellen Entwicklungen eines neuen Blockdenkens auf die Adressierung Chinas völlig zu verzichten, ist ein Armutszeugnis. Spannend wäre dagegen der Entwurf einer an den Menschenrechten orientierten Chinapolitik gewesen. Kaum etwas ist empörender als die Gleichschaltung Hongkongs – schlimmer als die Krim-Annexion, weil den Menschen in Hongkong Rechte genommen werden, die sie bereits hatten; das gilt, mit Verlaub, für die Bewohner der Krim nicht. Natürlich ist das keine Rechtfertigung der Annexion sondern nur ein Hinweis darauf, dass es auch beim Thema Menschenrechte sehr viel mehr Grautöne gibt als vermeintliche Eindeutigkeiten.
Antje Vollmer, grünes Urgestein, hat die außenpolitische Rechthaberei – das betrifft nicht nur ihre eigene Partei – einmal treffend als „Menschenrechtsbellizismus“ bezeichnet. Will sagen: Wir leben immer noch im Zeitalter der atomaren Bewaffnung. Nicht nur deshalb gibt es eine außenpolitische Priorität, nämlich der Friedenserhaltung und -gestaltung. Egon Bahr, der große deutschlandpolitische Stratege hat das einmal so ausgedrückt: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.
Gerade analysiert das Friedenforschungsinstitut Sipri, dass die Zahl der einsatzfähigen Atomsprengköpfe (im Gegensatz zur Gesamtzahl der Atomsprengköpfe) steige und die Verringerung der Zerstörungskraft von Sprengköpfen die Hemmschwelle für deren Einsatz senke.
Zwar ist das allgemeine Bewusstsein dafür praktisch nicht vorhanden, aber wir leben in einer kriegsgefährlichen Zeit. Waffen sind genügend vorhanden und die Atmosphäre zwischen wichtigen globalen Akteuren ist ziemlich vergiftet. Friedenspolitische Aufgabe wäre also die Suche nach den Interessen und Möglichkeiten, des Ausgleichs, damit die Konfrontationen nicht weiter eskalieren und die Akteure wieder von ihren hohen Rössern herunterkommen. Die Klärung der Frage nach den Schuldigen für die Entwicklungen, erinnert nicht nur an den Kindergarten („der da hat aber angefangen!“) sondern droht auch die gesuchten Möglichkeiten zu verschütten bevor sie noch gefunden werden können.
Manche Nebelkerze unter den Programmformulierungen wäre noch zu nennen, So hätte man gerne gelesen, welche „strengen Maßstäbe“ für den Auslandseinsatz der Bundeswehr gelten – erst recht nachdem der grüne Parteitag den Kampfdrohnen seine Genehmigung erteilt hat. Dass Herr Habeck schon Defensivwaffen (es gibt fast nichts, dass nur zur Verteidigung eingesetzt werden kann) an die Ukraine liefern wollte, stellt natürlich auch die Ernsthaftigkeit der Rüstungsexportrestriktion in Frage – oder die sachlich-fachliche Eignung des Co-Vorsitzenden für diese Themen. Da auch in der Union „Menschenrechtsbellizisten“ und Waffenlobbyisten breiter gesät sind, als außenpolitisch erfahrene Politiker*innen, lässt mich die Aussicht auf schwarz-grün genauso erschauern wie die auf grün-schwarz.
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