1. Die CO2-Regulierung von Kfz-Flotten
Im Rahmen des Green Deal hatte die EU die etablierte CO2-Regulierung von Kfz-Flotten in Europa deutlich verschärft. Für 2025 ist dabei eine Anhebung von Anforderungen programmiert worden, zugleich ist eine Überprüfung (für 2026) vorgesehen. Angesichts der aktuellen Krise der Hersteller und Zulieferer in Europa hat die Kommission angekündigt, die Überprüfung zeitlich vorzuziehen. Mit Blick auf dieses Gelegenheits-Fensters positionieren sich Akteure. Das alles ist professionell und normal.
Die Regulierung sieht Folgendes vor. Verantwortlich sind bzw. adressiert werden Hersteller von PKW, genau genommen Unternehmen, die PKW „in Verkehr bringen“, also auf dem europäischen Markt absetzen, also auch Importeure. Sie haben für die von ihnen abgesetzte „Flotte“ von Neuwagen je durchschnittliche CO2-Emissionswerte einzuhalten, die mit jedem Jahr sinken. Abgerechnet wird spitz „pro Jahr“. „Emission“ ist dabei eng zu nehmen, entsprechend den (Sektor-)Vorgaben des Klima-Regimes. Es geht, sach- und systemgerecht, allein um das CO2, das dem Auspuff nach der Verbrennung entströmt. Für den Fall, dass die Unternehmen in einem Jahr versäumen zu tun, was sie müssen, sind Ausgleichs-Zahlungen in potentiell erheblichem Umfang vorgesehen. 2025 mit dem Sprung in den Anforderungen ist insofern eine besondere Herausforderung – aber die Vorgabe ist seit langem bekannt. Und aus ähnlichen Situationen aus der Vergangenheit, mit einem Anforderungssprung, ist bekannt, dass die PKW-Hersteller sich erst auf den letzten Metern so richtig bewegen, um die Latte nicht zu reißen – sie agieren eben nach wirtschaftlichen Kalkülen
2. Die Debatte um die drohenden “Strafzahlungen” für PKW-Hersteller für 2025
Im Zentrum der aktuellen politischen Debatte, in Deutschland aber auch in weiteren Staaten der EU, stehen diese Ausgleichszahlungen. Sie werden konsequent, das ist das sprachliche Phänomen, auf das es hier ankommen soll, als „Strafzahlungen“ tituliert. So tut es der zuständige Bundesminister Habeck, so auch der grüne Ministerpräsident aus der Landeshauptstadt Stuttgart mit dem Stern. Beide werben dafür, die Unternehmen von den angeblich drohenden Strafzahlungen zu entlasten, etwa indem die Bemessungsbasis dafür zeitlich gestreckt wird, ausnahmsweise nur für den Durchschnitt des Absatzes in den Jahren 2025 bis 2027 gelten soll.
Eine wirklich putzige Variante einer Rabatt-Gewährung hat die EVP, die europäische Dachpartei von CDU/CSU, vorgeschlagen. Demnach sollen nicht nur „in Verkehr gebrachte“ PKW angerechnet werden, sondern auch lediglich „produzierte“, also auf den unternehmenseigenen Parkplätzen stehende, aber noch nicht verkaufte Fahrzeuge. Das Argument dafür: Sie seien ja Ausdruck dessen, wie sehr die Hersteller investiert und sich ins Zeug gelegt hätten, es seien, so wird insinuiert, lediglich die Kunden, die sich dem Kauf verweigern. Wie dieser Vorschlag in einem offenen PKW-Markt funktionieren soll, in dem produzierte Fahrzeuge sowohl exportiert als auch importiert werden, wird nicht verraten. Die Idee ist offenkundig unpraktikabel. So etwas vorzuschlagen, mit der Chuzpe, es sei ernst gemeint – ist das schon Lüge?
Beiden Vorstößen gemeinsam ist die Vorstellung, die Hersteller böten ja an, aber die Kunden nähmen es nicht – der anscheinend unzureichende Absatz sei den sich verweigernden Kunden anzulasten. Diese Unterstellung aber übergeht die besonderen Bedingungen, die auf dem speziell aufgestellten Absatzmarkt für Neuwagen herrschen.
Da werden, die Abbildung zeigt es, überwiegend „In-House“-Absätze getätigt – nur knapp 30 % gehen wirklich an Private. Insofern haben die Unternehmen nicht wirklich ein Problem, Neuwagen in einer Höhe, die ihren Interessen entspricht, zuzulassen. Ein Problem ist eher das Weiterreichen als Gebrauchtwagen, die erst gehen zu über 90% an Private. Da erst geht es um ausgehandelte Preise.
Das ist ein Hinweis auf den einfachen Sachverhalt: Die Hersteller haben kein Problem, den Absatz zu steigern – sie müssen nur die Preise senken; und solange sie damit Ausgleichszahlungen vermeiden, haben sie einen finanziellen Anreiz, das auch zu tun. Ausgleichszahlungen zu sistieren, nimmt ihnen den Anreiz, Preise zu senken und damit den Absatz anzukurbeln.
Zudem gilt: Im kritischen Falle, dass Unternehmen ihre Verpflichtungen verfehlen, sind sie nicht gezwungen, Strafen in eine staatliche Kasse zu zahlen. Von dem wirtschaftsliberal denkenden europäischen Regulierer haben sie vielmehr die Option eingeräumt erhalten, von konkurrierenden Unternehmen, die relativ zu ihren Mindestverpflichtungen übererfüllen, Erfüllungspunkte zuzukaufen. Da wurde ein Markt geschaffen. Auf diesem Markt gelten erfahrungsgemäß niedrigere Preise als der abschreckend gemeinte Höchstpreis der Abführung an den Staat. Das Geschäftsmodell von Tesla in Europa basiert weitgehend auf Erträgen in diesem Markt.
Die Forderung der Grünen, Habeck und Kretschmann, die „Strafzahlungen“ zu lockern, impliziert also: Sie wollen denjenigen Unternehmen, die sich eine Strategie der Übererfüllung vorgenommen haben, den Ertrag ihres Geschäftsmodells nehmen – und das, obwohl der Eigentumsschutz auch ihnen wichtig ist. Dass dieses Geschäftsmodell bedeutsam ist, zeigt sich auch daran, dass der Unternehmensverband ACEA zu keiner gemeinsamen Position kommt, die unterschreibt, was Habeck und Kretschmann fordern. Dass die angeblich Begünstigten die Gunst nicht wollen, gibt einem Beobachter zu denken.
In Wahrheit betreiben Habeck und Kretschmann Klientelpolitik. Sie suchen ausgewählte unter den Automobilunternehmen finanziell zu unterstützen. Diesen ausgrenzenden Charakter ihres Anliegens vernebeln sie mit ihrer Wortwahl „Strafzahlung“. Wenn es sich bei dem, was sie sistiert sehen wollen, tatsächlich um eine Strafzahlung handelte, dann müssten alle Unternehmen in gleicher Weise zahlen, dann gäbe es keine Verlierer ihrer Forderung. Das ist nicht der Fall.
3. Was ist Lüge in der Politik?
Politik und Lüge bilden ein Spannungsfeld. Gernot Böhme hat es in einem Vortrag einmal so (in etwa) auf den Begriff gebracht: Politik will gestalten. Ihre Aussagen sind performativ kalkuliert – ob dabei faktisch alles stimmt, ist nicht nur relativ unwichtig. Es ist vom Sprecher auch abzuwägen gegen die Intention, das Ziel, etwas zu erreichen (an öffentlicher Unterstützung).
Weil das so ist, ist die Rolle der Medien, einen solchen performativen bias in Aussagen politischer Akteure zu erkennen und für die öffentliche Diskussion sichtbar zu machen. Das drückt sich aus in einer Distanzierung von der Sprechweise, welche Akteure vorgeben. Nur dann ist eine aufgeklärte Debatte einer demokratischen Öffentlichkeit möglich. Mit reinem Meinungsjournalismus ist dem Phänomen nicht beizukommen, im Gegenteil, das performativ Kalkulierte wird dann noch bestätigt und verstärkt.
Mit dem Rückzug des Fachjournalismus, der zunehmenden Fokussierung auf den allein „politischen“ Journalismus, nimmt die Substanz öffentlicher Debatten deutlich ab. Dann wird, so die zunehmende Gefahr, allein in den kalkulierten sprachregelnden Vorgaben der politischen Akteure debattiert – an der Sache ggfls. vorbei.
Was ist performative „Lüge“? Was unterscheidet sie von anderen Lügen? Und: Ist sie wirklich illegitim? Oder muss man nicht sagen: Auch Politik ist Wettbewerb, ausgetragen mit Worten. Wer in diesem Wettbewerb mangels geringer mentaler Vorbereitung und Kompetenz nicht mithalten kann und deshalb faktisch getäuscht wird, muss sich dieses Versagen selbst zurechnen. Ein (moralisches) Verbot performativer „Lüge“ wäre wettbewerbswidrig. Nicht umsonst leben wir in einer repräsentativen Demokratie. Darin drückt sich das Zutrauen aus, dass die gewählten Repräsentanten Profis sind und damit weit klüger sind in diesem politischen Spiel als ihre Wähler.