Auch ihm sei manchmal mulmig, räumte NRW-Innenminister Ralf Jäger(SPD) in einer Fragerunde mit Rundfunkhörern aus seinem Land ein paar Tage nach den tödlichen Anschlägen von Paris unumwunden ein. Damit nahm der sonst eher als forsch bekannte Politiker die Diskussion auf, die landauf landab geführt wird und niemanden kaltlässt. Wie denn auch! Mehr Polizeipräsenz, mehr Aufmerksamkeit gegenüber den sogenannten Gefährdern und deren Umfeld, im Sprachgebrauch der Sicherheitsleute heißt es dazu ergänzend: Man werde alles tun, damit nichts passiert. Also gehen Sie ruhig ins Fußballstadion und auf die Weihnächstmärkte, so versuchen diese Kreise den Bürgerinnen und Bürgern ihre Sorgen und Ängste zu nehmen. Aber sie geben auch zu: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, nicht in Paris, nicht in Hamburg, Düsseldorf, München, Berlin oder Bonn.
Das Leben geht weiter, könnte man einen früheren Fußballtrainer aus dem Hessenland zitieren, ohne dessen Dialekt hier anzuwenden. Es geht weiter, es wird wieder Fußball gespielt am Freitag, Samstag und am Sonntag, Busse und Bahnen fahren, die Menschen gehen einkaufen und danach ein Bier oder einen Wein trinken, um sich zu entspannen. Wir dürfen uns von den Terroristen nicht unsere Art zu leben nehmen lassen, lauten die Ratschläge aus Politik und Sicherheit.
„Diese Terroristen führen Krieg gegen die Menschlichkeit und damit auch gegen den Islam“, erklärt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek. „Terror ist im Islam eine Todsünde“. Nicht erst seit Paris müssen sich die Muslime in Deutschland verteidigen gegen etwas, was sie nicht getan haben und was sie selbst verurteilen. Angst und Schrecken wollten diese Unmenschen verbreiten in ihrem Kampf gegen Freiheit und Selbstbestimmung. Der Zentralrat sieht sich selbst als Teil des Landes und unserer Gesellschaft. Und doch fühlen sich seine Vertreter oft genug zu Unrecht in die Ecke gestellt. Die Terroristen sind Verbrecher, Kriminelle, sie handeln doch nicht im Namen von Allah. Keine Religion ermächtigt ihre Gläubigen zum Töten von Menschen.
Ein ungutes Gefühl schleicht sich ein
Alles richtig, aber es kann ja niemanden verwundern, dass sich ein ungutes Gefühl bei nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern einschleicht. Es war ja eine Liveübertragung des Fußball-Länderspiels Frankreich gegen Deutschland, als plötzlich Böllerschüsse zu hören waren, die zunächst nicht identifiziert werden konnten. Ausgerechnet in Frankreich, wo im nächsten Jahr die Fußall-europameisterschaft ausgetragen wird. Endspiel im Stade de France in Paris. Dann konnte der Fußballfan während der gesamten weiteren Übertragung die Unsicherheit mitbekommen, die den Fernseh-Reporter erfasste. Man erfuhr, dass Frankreichs Präsident Hollande das Stade de France verließ. Alles Weitere ist bekannt, die Toten, die Verletzten, Horrorstunden in Paris und nicht nur da. Das Spiel wurde zu Ende gespielt, zum Glück fielen die ohnehin völlig überflüssigen Interviews mit den verschwitzten und oft sprachlosen Spielern aus. Die deutsche Mannschaft blieb im Stadion, wohl aus Unsicherheit, die französische Elf hielt es mit ihr und blieb auch in den Katakomben der Fußball-Arena.
Welch´eine Anspannung, die sich auch Tage danach nicht löste. Kann sich jemand erinnern, dass die Rückkehr einer Fußballmannschaft zur Nachricht wurde? Der Flug von Paris nach Frankfurt oder München dauert doch höchstens eine schlappe Stunde. Ja, sie alle kamen wohlbehalten nach Hause. Aber Unsicherheit hat sie erfasst, sie lässt sie nicht los. Dann die Vorgänge um das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Holland in Hannover. Es sollte stattfinden, auf jeden Fall, wir lassen uns von den Terroristen nicht unser Leben diktieren und ein Fußballspiel gehört zumindest für ein paar Millionen Deutsche dazu. Bundeskanzlerin Angela Merkel und das ganze Kabinett der großen Koalition wollten sich demonstrativ diesen fußballerisch unwichtigen Kick anschauen. Doch plötzlich wurde es abgesagt, die Menschen waren schon auf dem Weg ins Stadion, es soll eine Bombendrohung gegeben haben. Eine Bombendrohung? Innenminister de Maiziere und sein niedersächsischer Kollege Pistorius und Liga-Präsident Rauball traten vor die Presse, um die Absage zu erklären, ohne Einzelheiten nennen zu wollen. Fragen von Journalisten wurden ausweichend beantwortet. Maiziere bat um einen Vertrauens-Vorschuss, Motto: Glauben Sie mir einfach, dass wir gute Gründe hatten, das Spiel abzusagen, im Sinne des Wohlergehens der Zuschauer.
Der Winter beginnt und die Glühweinzeit
Das Leben geht weiter, so hörte man am Tag danach. Ja, das Leben geht weiter, aber mit dem besagten Terror-Thema. Brüssel rückt ins Zentrum der Berichterstattung. Einige Terroristen sollen im Vorort Molenbeek gelebt haben, schwer bewaffnete Polizei fährt auf, Durchsuchungen. Ortswechsel nach Paris, in St. Denis, einem Vorort im Nordwesten der Hauptstadt wird einer der Drahtzieher vermutet. Wieder Polizei, Schüsse, Tote, Verwundete, die Bilder der im Fernsehen gezeigten Wohnungen lassen vermuten, dass Fenster rausgesprengt wurden. Der Drahtzieher sei erwischt worden, hieß es zunächst, dann wieder nicht. Und jetzt bestätigt der Staatsanwalt, dass der gesuchte Attentäter getötet worden sei. Gestern Abend Meldungen aus Bonn, der U-Bahn-Bereich im Hauptbahnhof sei gesperrt. Es wurde in den Berichten daran erinnert, dass vor nicht langer Zeit ein Anschlag im Bonner Hauptbahnhof gescheitert war, weil man schlicht Glück gehabt habe. Bonn gilt als eine der Hochburgen der Salafisten.
Das Leben geht weiter, die Meldungen im Rundfunk beginnen jeweils mit dem Thema Terror, die Top-Nachristen im Fernsehen handeln auch davon. Und in den Sport- wie den Regionalnachrichten wird darauf hingewiesen, dass die Bundesliga-Spiele am Wochenende stattfinden. Schalke trifft am Samstagabend auf die Bayern. Es ist die Zeit der Gänseessen von Freunden, von Kegelklubs, von Betrieben. Der Weihnachtsmarkt beginnt. Und damit die Glühweinzeit. Der Wetterbericht meldet den ersten Wintereinbruch.
Bildquelle: Wikipedia, Maya-Anaïs Yataghène from Paris, France – Paris Shootings : The day after Le Petit Cambodge / Carillon November 2015 Paris attacks, CC BY 2.0
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