Die Ankündigung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) klingt kraftvoll und entschlossen. „Mit dem Job-Turbo bringen wir Geflüchtete jetzt in Arbeit“, sagte er nach dem Arbeitsmarktgipfel, zu dem Heil im November die Bundesagentur für Arbeit, die Spitzenverbände der Wirtschaft, Gewerkschaften, Unternehmen und die kommunalen Spitzenverbände in sein Ministerium eingeladen hatte.
In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigten alle Teilnehmer des Treffens ihre Bereitschaft, den von der Bundesregierung gestarteten Turbo zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aktiv zu unterstützen. Mittelfristiges Ziel sei, „Geflüchtete nachhaltig und potenzialadäquat in den Arbeitsmarkt zu integrieren“. Dazu sollen praxisnahe Qualifizierungsangebote, Sprachtrainings und eine „Willkommenskultur in Betrieben“ beitragen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
Schon der Weg zu der Verabredung mit einer Familie aus Afghanistan zeugt von Ausgrenzung statt Willkommensein. Es geht über eine schmale, holprige Straße entlang einer Bahnbrache ins Niemandsland. Kilometerweit entfernt vom Zentrum der Kleinstadt im Märkischen Kreis, fernab von der nächsten Bushaltestelle, vom Supermarkt oder Arztpraxen. Wer hier wohnt, muss gut zu Fuß sein. Das Haus am Ende der Sackgasse ist das einzige weit und breit. Es ist das neue Zuhause der Familie, die ihre Heimat verlassen musste, weil sie um ihr Leben fürchtete. In Deutschland findet sie Zuflucht vor den Taliban, doch willkommen fühlt sie sich nicht.
Als afghanische Ortskräfte, die die Bundeswehr während ihres Einsatzes in Afghanistan unterstützt haben, galten die Eltern nach der Machtübernahme der Taliban als gefährdet und durften vor gut einem Jahr nach Deutschland kommen. Die Mutter hatte als Köchin gearbeitet, der Vater als Fahrer. Beide sind Ende Vierzig und sprechen wenig Deutsch. Auf einen Sprachkurs müssen sie lange warten, er soll in der Kreisstadt Lüdenscheid stattfinden. Die Verkehrsanbindung ist schlecht, der Dauerstau nach der Sperrung der Rahmedetalbrücke erschwert die Anfahrt zusätzlich. Und doch hoffen beide, dass es endlich losgeht, dass sie Deutsch lernen und sich neu beheimaten können.
Sie wissen, ohne Sprachkenntnisse gelingt das nicht. Aber auch mit guten Deutschkenntnissen gibt es keine sichere Perspektive. Das ist die Erfahrung der beiden jungen Frauen, die mit der Familie ins Sauerland kamen. Sie haben in Afghanistan den höchsten Schulabschluss erworben und auch schon studiert. Gefragte Potenziale, sollte man angesichts des Fachkräftemangels meinen. Doch die Talente liegen brach. Ein halbes Jahr lang hat die 21-Jährige in einem unbezahlten Praktikum Supermarktregale aufgefüllt, nun macht sie das gleiche als Minijobberin. Wie der Weg zu einer Qualifizierung aussehen könnte, wie sie ihr Studium fortsetzen und sich ihren Fähigkeiten entsprechend weiterbilden könnten, wissen beide nicht. Niemand hat sie dazu beraten und sie haben nicht einmal gewusst, wie sie sich über ihre Möglichkeiten informieren können.
Nur der Jüngste blickt inzwischen zuversichtlich in die Zukunft. Nach acht Wochen Wartezeit konnte er endlich zur Schule gehen, besucht die achte Klasse und freut sich jeden Tag auf den Unterricht und die Begegnung mit den anderen 14-Jährigen. Sein Ziel ist das Abitur, danach Universität oder eine Ausbildung, da legt er sich noch nicht fest. Er konzentriert sich aufs Lernen und darauf, nicht mehr der Exot in seiner Klasse zu sein.
Beim Arbeitsgipfel hat Hubertus Heil um Praktika, Ausbildungsplätze und Arbeitsstellen geworben. „Arbeit bedeutet Integration. Deshalb setzen wir mit dem Job-Turbo jetzt alle Hebel in Bewegungen, um Geflüchtete verstärkt in Arbeit zu bringen“, sagte er mit Blick auf 200.000 Ukrainer, die gerade aus dem Integrationssprachkurs kommen oder ihn bald abschließen. Hinzu kämen 200.000 geflüchtete Menschen aus anderen Herkunftsländern. „Dieses Potenzial wollen wir nutzen“, sagte Heil und forderte, dass Wirtschaft, Sozialpartner und Geflüchtete an einem Strang ziehen: „Wir brauchen Unternehmen, die Geflüchtete auch mit Grundkenntnissen in Deutsch einstellen und auf pragmatische Lösungen beim Spracherwerb setzen.“
Der Appell sollte angesichts der zunehmenden Klagen über Personalmangel auf offene Ohren stoßen, und vereinzelt ist ja auch von unternehmerischer Eigeninitiative zu hören, die Beschäftigten sprachlich fit für den Job zu machen. Zusätzlich braucht es aber, wie das Beispiel der afghanischen Neubürger zeigt, ein Willkommensklima nicht nur in den Betrieben, sondern in der ganzen Gesellschaft.
Es geht nicht nur um wirtschaftliche Nützlichkeit, sondern um Menschlichkeit. Die jedoch kommt, wie aktuell die Aushöhlung des europäischen Asylrechts zeigt, zunehmend unter die Räder. Die Hetze von Rechts hinterlässt ihre Spuren – zum Schaden der Menschen in Not genauso wie zum Schaden des gesellschaftlichen Zusammenhalts insgesamt.