Zugegeben, ich habe bis vor ein paar Tagen noch das Gegenteil gedacht. Höcke in die Staatskanzlei von Erfurt? Niemals. Ein schrecklicher Gedanke. Ausgerechnet Thüringen, das schon 1925 als erstes Land in der Weimarer Republik eine Nazi-Regierung hatte, acht Jahre vor 1933, sollte wieder der Vorreiter auf dem Weg nach rechts sein? Um Himmels Willen! Nein!
Aber jetzt habe ich meine Meinung geändert. Angesichts der Blockaden und der argumentativen Verrenkungen, die nicht nur Thüringen, sondern der Republik insgesamt drohen – und sogar auf die Gefahr hin, dass alle, die mich kennen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und denken: Jetzt ist er endgültig reif für die Heil- und Pflegeanstalt – sage ich: Lasst Björn Höcke regieren!
Wenn er im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen gewählt wird und alle anderen Parteien (auch Sahra Wagenknecht, auch Mario Voigt und seine CDU) sich an das halten, was sie vor dem Wahltag versprochen haben, dann wird der Spuk recht bald vorbei sein. Im Raum steht nämlich nicht nur der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU. Es stehen im Raum auch die Schwüre der anderen, der „demokratischen“ Parteien, dass nämlich niemand mit der AfD koalieren, kooperieren oder ins sonst irgendeiner Form zusammenarbeiten will. Wenn es also dabei bleibt, soll er doch bitteschön einziehen in die Staatskanzlei und sein Kabinett bilden, der Höcke. Dann wird er, wenn er zum Fenster hinausschaut, auf die Brandmauer gucken, und in Thüringen wird es eine absolute Minderheitsregierung geben, die „minderste“ sogar, die es je gab.
Und wenn nicht? Wenn Sahra Wagenknecht umfällt und sich in eine Koalition mit Höcke locken ließe? Dann kann sie einpacken und ihr Bündnis wird schnell vergessen sein. Und die CDU? Wenn die plötzlich mitmacht? Dann wäre das Gerede von dem „Bollwerk“ gegen rechts endgültig als dreiste Lüge entlarvt, herzlichen Glückwunsch, Herr Merz!
Wie will Höckes Finanzminister den nächsten Landeshaushalt aufstellen? Gegen eine Zweidrittel-Opposition bekommt er nur, was auch die anderen Parteien wollen. Und wie will er den personellen Notstand an den Schulen beseitigen, den öffentlichen Personennahverkehr auf dem Lande flott machen, die Kindergärten, die Krankenhäuser die gesamte Infrastruktur am Laufen halten? Spätestens nach ein paar Monaten wird sich zeigen, dass der Mann zwar Ministerpräsident ist, aber nichts, rein gar nicht durchsetzen, besser oder anders machen kann als seine Vorgänger.
Nicht mal einen Verfassungsrichter seiner Couleur kann er dann wählen lassen und die Landesverfassung ändern schon gar nicht. Denn dazu braucht er eine Zweidrittelmehrheit – die aber hat dann die Opposition. Es gäbe weiterhin eine funktionierende Gerichtsbarkeit. Es gäbe weiterhin Betriebsräte und Gewerkschaften, es gäbe freie Medien und es gäbe Unternehmer, die sich nicht scheuen würden, die Unfähigkeit dieser Regierung zu beklagen.
Höcke will, hat er versprochen, den Staatsvertrag mit den öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten kündigen. Kann er das überhaupt? Und mit welchen Fristen? Alle drei Stunden, hat er versprochen, soll ein Flugzeug mit Migranten an Bord vom Flughafen Erfurt starten und Leute abschieben! Gibt es überhaupt noch Migranten in Thüringen, die man abschieben kann? Haben die nicht schon längst einen Bogen um die Ostländer gemacht und sitzen im Westen? Da kann der Ministerpräsident Höcke noch so oft am Flughafen Erfurt anrufen: Es wird kein Flieger bereitstehen und kein Migrant drinsitzen. Höcke will die Erinnerungskultur um 180 Grad drehen, was heißt das? Soll es kein Geld mehr für die Erinnerungskultur im Lager Buchenwald geben? Und stattdessen nur noch Fördergelder für den Kyffhäuserbund?
Ich habe meine Meinung unter Bauchschmerzen geändert. Ich will keine Faschisten in einer Staatskanzlei, aber ich will sie erst recht nicht in einem Jahr im Kanzleramt. Ich fürchte jedoch, wenn die demokratischen Parteien sich gegen die AfD verschwören, wird Höcke triumphieren. Er kann und wird sich dann als Märtyrer aufspielen, dem die „Kartellparteien“ (wie er sie nennt) die Bildung einer eigenen Regierung verweigern. Wahrscheinlich wird er behaupten, man habe der Alternative für Deutschland die Wahl „gestohlen“. Und beim nächsten Mal wird dann die AfD noch einmal zehn Prozent mehr bekommen, nicht nur in Thüringen, sondern auch im Westen.
Deshalb habe ich meine Meinung geändert. Deshalb plädiere ich dafür, das Undenkbare nicht nur zu denken, sondern zu wagen. Lasst ihn regieren, allein und auf sich und seine Getreuen gestellt. Die anderen Pfeiler, auf denen unsere Demokratie ruht, sind stark genug. Einen kleinen Neonazi ohne Gestaltungsmacht in der Erfurter Staatskanzlei hält sie locker aus. Ich bin übrigens sicher: Nichts fürchtet Björn Höcke zurzeit mehr, als dass es so kommt, wie ich es mir jetzt wünsche.
…..mit grossen Bauchschmerzen neige ich dazu, der Meinung des Autors H. Palmer zuzustimmen mit der Hoffnung Höcke u. Konsorten werden sich mit einer Minderheitsregierung durch Inkompetenz u. Ignoranz blamieren?!!
Hinzu kommt, dass eine Koalition aus CDU, SPD und BSW unter Duldung der LINKEN ein ähnlich zerstrittenes Bild abgeben wird, wie die Ampel in Berlin.
Mit so begnadeten Selbstdarstellern wie Fr. Wagenknecht geht man besser kein Bündnis ein. Somit noch ein Argument für den Gedankengang des Autors.
Die Situation ist derart komplex dass sich was ist, wenn die AfD die Erwartungen deren Anhänger erfüllt?
Damit wäre der Demokratie ein Bärendienst erwiesen worden.
Daher plädiere ich dafür, die Frage breit und umfassend zu diskutieren.
Lasst Höcke nicht (!) regieren!
Wenn Hartmut Palmer hier die Idee vertritt, den Rechtsextremistin Björn Höcke in Thüringen regieren zu lassen – um dann genüsslich seinem Scheitern zuzusehen, so mag das ein interessantes Gedanken-Experiment sein. In der Praxis aber wäre das extrem gefährlich. Ich gehe ja auch nicht mit einer brennenden Kerze ins Benzinlager – um dann, wenn das Lager explodiert ist, zu triumphieren: „Ich hab‘s euch doch immer gesagt. Das ist gefährlich.“
Glaubt denn jemand, der Faschist Höcke würde sich an irgendeine demokratische Spielregel halten, sollte er erst einmal an der Macht sein. Vom ersten Tag an hätte er zum Beispiel Zugriff auf die Polizei. Was das für alle Thüringer bedeutet, die sich weiterhin gegen ihn stellen und demonstrieren, mag man sich kaum ausdenken. Höcke würde zudem seinen rechtsextremen Mob auf die Straße hetzen, die Schlägertrupps der Neonazis – und ihnen die demokratischen Bürger hilflos ausliefern. Und die Polizei würde zuschauen.
Zudem gäbe man Höcke als Ministerpräsident die Möglichkeit, ein brutales 100-Tage-Programm vorzulegen, in dem er vor allem seine völkischen Vertreibungs-Fantasien ausleben könnte. Er wäre sich der fanatischen Zustimmung seiner Anhänger sicher – und des Widerstands aller anderen Parteien.
Und wenn Höcke deshalb sein Programm nicht durchsetzen könnte, würde er sich als Opfer gerieren und rufen: „Ihr seht ja, was ich geplant hatte. Und ihr seht, wer mich daran hindert. Helft mir!“
Nein, so leicht sollte man einem Faschisten den Zugriff auf die Macht nicht machen. Schon einmal haben Konservative geglaubt, einen primitiven „böhmischen Gefreiten“ unter Kontrolle zu behalten. Vor nunmehr fast 100 Jahren konnte man erleben, wie furchtbar das scheiterte.
Deshalb: Nie wieder! Das gilt auch jetzt. Und auch in Thüringen.
Im ersten Moment würde ich Beifall klatschen. Aber was ist, wenn die Wahlbürgerinnen und Wahlbürger bei einer Blockade der AfD Regierung mit Höcke genauso reagieren würden, wie bei dem von Palmer vermuteten Versuch, diese Neofaschisten in die Schmuddelecke bei einer versuchten Regierungsbildung zu drängen und auszuschalten? Gäbe es nicht dann auch einen „Benachteiligungszuschlag“ von 10 % bei den nächsten Wahlen?
Das Allerwichtigste während einer Phase enormen Erstarkens nationalistischer und damit völkischer Kräfte ist Zusammenstehen der Funktionseliten in einer bürgerlichen Gesellschaft. Das ist das, was uns die Väter und Mütter des Grundgesetzes hinterlassen haben. Beim Zusammenstehen hapert es noch – leider. Einen Björn Höcke als Min.Präs. – dies würden Abertausende gewaltbereiter Typen als Startschuss ansehen: Jetzt gehts loohos! In den Ämtern und Behörden würden wir den „Eisenfeilspäne“- Effekt erleben: Jedenfalls in Teilen. Viele würden sich nach dem neuen „Magneten“ ausrichten. Und dann würd´s noch die geben, die sagen: Lasst ihn mal machen, der kommt nicht weit; so wie weiland der Herr von Papen. Säßen wir dann nicht rund um die Uhr vor der Synagoge in der Tempelstraße, um die zu bewachen? Und wie viele wären wir? Was könnte ich meinen Freunden in der Gesellschaft für christlich- jüdische Zusammenarbeit noch sagen? Skeptisch macht mich auch die Tatsache, dass junge Leute sich drängen, ein Selfie mit dem Höcke zu machen. Also: lieber nicht.
Davon, daß man die AfD allein regieren lässt, halte ich nichts. Vernünftige Politiker aus allen Parteien (auch AfD) sollten die Regierung bilden. AfD ohne Regierungsunterstützung von geübten Leuten geht genauso baden wie die Ampel. in der AfD wird sich schnell der Spreu vom Weizen trennen
Auch aus meiner Sicht ist es wichtig die AFD regieren zu lassen.Nur aus der Verantwortung heraus kann man sie beurteilen und ggf. Verurteilen. Das Beispiel sind die Grünen, in der Theorie brauchbar, in der Praxis ungenügend .Die AFD zu verurteilen ist in unserem Land Kult geworden. Ich vertaue auf das Grundgesetz, das regelt welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürfen u. vieles mehr. Auch gibt es im agegensatz zu 1933 keinen Reichspräsidenten mehr, der mit diese Macht ausgestatet ist un jemanden mit der Bildung der Regierung beauftragen kann. Daher sehe ich die Demokratie nicht in Gefahr. Diue AFD soll in der Praxis zeigen was sie wirklich will. Das geht nicht ohne Koalitionspartner, der bremsen und auch beenden kann.
Vielleicht sollten wir alle mal aus unseren Blasen rauskommen. Selbst die AfD, immerhin von vielen gewählt, könnte ja mal einen vernünftigen Vorschlag machen.Z.B. Ein Krankenhaus bauen. Dagegen zu sein, nur weil der Vorschlag von der AfD kommt ist Kindergarten. Es muss um Lösungen für konkrete Probleme in Thüringen gehen. Viele Menschen sind das parteipolitische Gezänk leid. Wie wäre es mal mit parteiübergreifender Zustimmung für Lösungen, gerade im kommunalen Bereich.
Und zum Faschismus Vorwurf: selten wurde das Nazireich unter Hitler so relativiert. Die AfD ist alles aber keine Nachfolgeorganisation der NSDAP.
Warum Frau Wagenknecht häufig so diffamiert wird, Selbstdarstellung, populistisch, eitel etc.erschließt sich mir auch nicht. Ich vergleiche Sie mal mit Lindner, Söder, Merz …….Sie sagt zudem recht klar, was sie denkt und will.Oft klug. Sowas sollte in einer Demokratie ohne Häme möglich sein. Das BSW besetzt neue Felder in der Politik und eine Parteigründung ist mehr als schwierig. Da könnte man mal wohlwollend Zeit geben.
Ein Heimatgedicht vom Nazi-Schriftsteller Franz Langheinrich als Eröffnung des Thüringer Wahlprogramms?
Es gibt einen Zeitungsausschnitt zum 20. April 1939, dem Geburtstags Adolf Hitlers, aus einer unbekannten Publikation unbekannten Datums. Auf der Seite 611 endet ein Aufsatz des Schriftstellers Franz Langheinrich, eine bedingungslose Hymne auf Hitler im Stil der Zeit, endend mit dem üblichen Treueschwur ‚Führer befiehl, wir folgen Dir‘. Die zweite Hälfte der Seite nimmt ein Artikel über die Abstammung Hitlers mit einer Stammtafel ein, die bis in das 18. Jahrhundert zurückreicht. Der Artikel (mit Bezug auf die wichtige Aprilrede in Wilhelmshaven) endet auf der folgenden Seite, die vor allem durch eine Bildergalerie „Der Kampf formt ein Gesicht“ geprägt ist. Sie zeigt Hitlerporträts von 1916 bis 1939.
Dieser Zeitungsausschnitt wird derzeit auf booklooker verkauft.
https://www.booklooker.de/…/Adolf…/id/A02CjJna01ZZM
So einer soll regieren, um mal zu sehen, ob er es kann? Die Tür zeigen sollte man ihm, und zwar sofort! Laut Frauke Petrys Buch „Requiem für die AfD“ (wunderbares Buch!) wird dieses rechtsextreme Getue Höckes seit langem von der Parteispitze toleriert, weil jeder nur seine Schafe ins Trockene bringen will. Die Millionen des Schweizer Industriellen wurden gern entgegengenommen dafür, dass man über Höcke des weiteren den Mund hält. So werden wir getäuscht! Es ist eine Schande und ein Vergehen gegen unser (leider viel zu wenig klar denkendes) deutsches Volk!
Lieber Hartmut, Klaus Hillenbrand hat heute einen Kommentar in der taz https://taz.de/!6032325/ der Dich überzeugen müsste, dass Dein Vorschlag „Lasst Höcke regieren“ höchst gefährlich ist. Geschichte wiederholt sich zwar nicht und wenn – wie der alte Marx schon sagte – allenfalls als Farce.
Aber Thüringen war schon einmal der Mustergau. Man sollte die große Gefahr einer nazistischen Regierungsübernahme nicht unterschätzen.