Für den Bundespräsidenten ist Künstliche Intelligenz eines der Megathemen dieser Zeit. Bei einer Diskussion mit internationalen Experten im Schloss Bellevue wies Frank-Walter Steinmeier jüngst auf den aktuellen „Weltrisikobericht“ des World Economic Forum hin, der „KI-generierte Fake News, Cyberangriffe, Desinformation“ als große Gefahr für die Menschheit bewertet – noch vor Extremwetter, gesellschaftlicher Polarisierung und bewaffneten Konflikten. Dabei plant auch das Staatsoberhaupt selbst, schon bald Sprachroboter beim Austausch mit der Bevölkerung einzusetzen. Und die Bundesregierung ist bei der Nutzung von KI bereits wesentlich weiter als der Bundespräsident. Das Auswärtige Amt etwa wendet sie bei der Bearbeitung der Eingaben von Bürgern, Verbänden und Organisationen an.
Aus einer in der letzten Sitzungswoche des Parlaments vor der Sommerpause veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage zum „Einsatz Künstlicher Intelligenz im Geschäftsbereich der Bundesregierung“ (DS 20/12191) geht hervor, dass in den Berliner Ministerien das „digitale Maschinenzeitalter“, das Steinmeier vor dem ausgewählten Fachpublikum an die Wand malte, längst begonnen hat. Danach werden in zehn von 16 Bundesressorts derzeit 212 „KI-Komponenten“ genutzt, zum Beispiel „Übersetzungshilfen“, „Chatbots“, „ChatGPT“ und „Machine Learning“. Zur Erläuterung heißt es:“KI spielt als Querschnittsthema zunehmend in vielen Forschungsvorhaben, Pilotprojekten etc. eine Rolle.“ In der Bundesverwaltung könne „der Einsatz der KI dazu beitragen, Verwaltungsabläufe effizienter zu gestalten, zur Arbeitsentlastung beitragen und die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern verbessern“.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei spiegelt indes nicht einmal das komplette Bild des KI-Einsatzes beim Bund wider. Mehrere Einzelfragen der Parlamentarier wurden nicht beantwortet, weil „schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen“, etwa der zivilen und militärischen Nachrichtendienste, betroffen seien: “Eine vollständige Angabe aller in den Bundesministerien oder nachgeordneten Behörden eingesetzten KI-Komponenten ist daher nicht möglich.“ Für die Fragesteller, darunter die IT-Expertin Anke Domscheit-Berg aus Brandenburg, verstärkt diese Auskunft den Verdacht, „dass der KI-Einsatz im Geschäftsbereich der Bundesregierung ohne systematische Risikoabwägungen, Schutz vor Diskriminierung und Evaluation in Bezug auf Effizienz, Grundrechteschutz sowie etwaige ‚Nebenwirkungen‘ erfolgt“.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) betont, dass – jedenfalls bisher – alle zur Veröffentlichung bestimmten Texte noch ohne Unterstützung von KI produziert werden. Das könnte sich aber bald ändern, denn Sprachroboter verheißen zumal bei der Bearbeitung von Bürgerpost einen erheblichen Entlastungseffekt. Ein BPA-Sprecher verwies auf die Flut von Anfragen aus der Bevölkerung, die als E-Mails, Briefe oder Anrufe im Amt eingehen – von 2020 bis 2023 waren das allein mehr als eine halbe Million Mails, bis zu 46 000 Anrufe und über 5000 Briefe jährlich. Deshalb steht für die Spitze des BPA fest: “In Zukunft wird KI bei der Beantwortung von Bürgerpost auch für uns ein Thema sein.“
In den Medien spielen computergenerierte Texte schon seit geraumer Zeit eine Rolle. Freilich sind sich die Redaktionen nicht einig, ob und wie sie kennzeichnen, wenn KI-Werkzeuge beim Verfassen von Nachrichten oder sonstigen Beiträgen genutzt werden. So weist das digitale Portal „t-online“ allgemein auf die Nutzung von KI und eine „Prüfung durch die Redaktion“ hin, bei anderen Anbietern wurden ähnliche Transparenzregeln erst eingeführt, dann wieder abgeschafft. Der Deutsche Presserat erklärte auf Anfrage, man sei „dabei, eine entsprechende Empfehlung für Texte im Pressekodex zu diskutieren“. Für eine allgemein verbindliche Orientierung wird es allerdings auch höchste Zeit. Lediglich KI-erstellte Bilder müssen bereits gemäß Ziffer 2, Richtlinie 2.2 des Pressekodex als „Symbolbilder“ gekennzeichnet werden.
Bevor der Bundespräsident KI zur Textproduktion verwendet, will Frank-Walter Steinmeier dem Vernehmen nach erst einmal intern ernsthafte Fragen beantwortet haben. Womit soll „die kluge Maschine“ gefüttert werden, wenn sie alsbald zur Beantwortung von Bürgerpost genutzt wird – ausschließlich Steinmeiers Reden, Interviews und Veröffentlichungen? Lässt sich verhindern, dass der Sprachroboter auch fremde oder falsche Zitate ausspuckt? Muss man die Adressaten der Antwort aus Schloss Bellevue darüber informieren, dass KI eingesetzt wurde? Die Tendenz geht in Richtung offene Kennzeichnung. Dann aber steht die Frage im Raum, wie die Reaktion der Bürger ausfällt. Sind sie einverstanden damit, dass nicht der Bundespräsident höchstselbst oder einer seiner Mitarbeiter die Antwort formuliert haben, sondern ChatGPT?
Soviel ist sicher: Wenn der KI-Einsatz das Interesse der Bürger schmälert, sich mit Fragen an das Staatsoberhaupt zu wenden, oder am Ende gar das Vertrauen der Bevölkerung in die gewählten Repräsentanten darunter leidet, sind das gravierende Bedenken. Zwar sollen die 220 Beschäftigen im Präsidialamt, von denen viele direkt oder mittelbar jährlich rund 5000 Bürgeranfragen (Bitten, Gesuche, Beschwerden) bearbeiten, entlastet werden, aber nicht um jeden Preis. Schließlich hat Steinmeier beim jüngsten KI-Forum gemahnt, vor jeder konkreten Anwendung müsse erst geklärt werden:“Was ist der Nutzen und wo liegen die Risiken für Freiheit und Demokratie?“
Intelligenz ohne Bewusstsein wird immer nur das sein: künstlich!