Boris Pistorius ist seit dem 19. Januar 2023 Verteidigungsminister. Ausdrücklich heißt der Minister so und er heißt nicht Kriegsminister. Die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee, aufgestellt und ausgerüstet, um die Bundesrepublik zu verteidigen. Die NATO, die westliche Allianz, ist ein Bündnis zur Verteidigung des Westens. Gegen Angriffe von außen, also früher von der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt. Letztere Begriffe gibt es nicht mehr, den kommunistischen Pakt im Osten nicht, nicht mehr existiert die UdSSR, aufgelöst, als der Kalte Krieg zu Ende ging, die Mauer gefallen war und einige an das Ende der Geschichte glaubten. Eine Illusion, wie wir wissen, seit Wladimir Putin die Ukraine überfallen hat, und der Westen, die NATO, also auch die Bundesrepublik samt den anderen Partnern wie Amerika, Frankreich und Großbritannien, Polen usw. der Ukraine beistehen im Krieg gegen die einstige Supermacht Russland.
Der Krieg ist zurück in unseren Köpfen durch Putin, aber jetzt auch durch den Nahost-Krieg, dadurch, dass die Terror-Organisation Hamas Israel am 7. Oktober überfiel, Kinder, Frauen und Männer brutal tötete und über 200 Menschen, Israelis, Deutsche, Amerikaner entführte. Der Gegenschlag der Israelis war kalkuliert von der Hamas, die genau wusste, dass Netanjahu zurückschlagen würde, dass Israels Bomben und Raketen Zivilisten, Kinder und Frauen der Palästinenser töten würden. Natürlich hat Israel das Recht sich zu verteidigen, natürlich war der Überfall der Hamas völkerrechtswidrig. Seitdem wird aufgerechnet. Ihr seid die Bösen! Nein, Ihr seid die Bösen! Antisemitismus macht sich breit in seiner schändlichsten Form, in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden fühlen sich bedroht, sie scheuen sich, ihre Symbole zu zeigen, die Kippa auf dem Kopf zu tragen, sie haben Angst um das Leben ihrer Kinder. Eine furchtbare Vorstellung, ausgerechnet im Land der Täter werden Jüdinnen und Juden, es sind deutsche Staatsbürger, wieder bedroht. Man schämt sich, dass aus dem Nie-Wieder ein Schon-Wieder geworden ist.
Beide Kriege zeigen, dass die Bundeswehr kaum noch verteidigungsbereit ist, dass es quasi an allem fehlt, an Soldaten, an Kriegsgerät, an Flugzeugen, die fliegen, an Panzern, die rollen, an Gewehren, die schießen. Aber es fehlt auch am Bewusstsein der Gesellschaft, es mangelt an der Einstellung zum Militär. Plötzlich wissen wir, wie verwundbar wir sind, merken wir, dass das mit der Friedens-Dividende ein falscher Traum war, geplatzt, als Putin uns allen klar machte, dass für ihn die Auflösung der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe bedeutete. Spätestens da hätten wir alarmiert sein müssen, dass der Kreml-Herrscher uns nicht in Frieden leben lassen will, spätestens seit den tschetschenischen Kriegen hätten wir gewarnt sein müssen, dass dieser Mann Krieg will. Gegen die Ukraine, gegen den Westen, weil ihm unsere Art zu leben, unsere demokratische Ordnung nicht gefällt, Meinungs- und Pressefreiheit, vielleicht auch aus Sorge, dass das überschwappen könnte auf sein russisches Territorium und in die Köpfe seiner Leute.
Es ist deshalb keine Frage, dass wir nachrüsten müssen. Der Bundeskanzler hatte mit seiner Rede zur Zeitenwende das Signal gegeben, dass sich etwas ändern müsse und zwar gewaltig. Deshalb das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, deshalb die spätere Zusage des Kanzlers, der Verteidigungs-Etat müsse dauerhaft auf mindestens zwei-Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden. Das wird eine riesige Summe, der Wehr-Etat wird von jetzt 64 Milliarden auf über 80-Milliarden-Euro explodieren, Geld, das an anderer Stelle fehlen wird. Darüber wird noch zu reden sein.
Boris Pistorius löste Anfang des Jahres die unglücklich hantierende Ministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht ab. Man geht nicht zu weit, um dem Kanzler als Fehler anzukreiden, dass er eines der wichtigsten Ministerien in falsche Hände gelegt hatte. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es CDU- und CSU-Ministerinnen und Minister und eine CDU-Kanzlerin waren, die „den Militärgaul in anderthalb Jahrzehnten zuschanden geritten haben“(Kurt Kister in der SZ). Sie alle, drei Verteidigungsminister und zwei -ministerinnen, vier von der CDU und einer von der CSU haben die „Verantwortung dafür zu tragen, dass die Armee zu einem Reparaturbetrieb“ geworden ist, für den dieses Sondervermögen wahrscheinlich nicht mal ausreichen wird, um es wieder in den Stand der Wehr- und Verteidigungsfähigkeit zu versetzen. Ich sage und zitiere das, damit die ewigen Besserwisser aus der Union nicht schon wieder mit dem Finger auf die SPD, die Ampel, Scholz und Pistorius zeigen.
Es gibt also genügend Probleme mit der Bundeswehr, der Minister hat eigentlich reichlich zu tun. Deshalb verstehe ich nicht, warum er ein neues Fass aufgemacht hat, indem er von der „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ sprach. Was soll das, Herr Minister? Wenn Sie das Bewusstsein für die Nöte und den Bedarf der Bundeswehr schärfen wollten, für die Existenz der Bundeswehr, für eine bestens ausgerüstete Wehr, damit unsere Soldatinnen und Soldaten sich und uns bestens verteidigen können, dann reicht das Werben für die Bundeswehr als eine Verteidigungsarmee. Sprache, Herr Pistorius, macht verdächtig, lässt aufhorchen. Noch einmal: Was wollen Sie damit erreichen? Wir brauchen keine Kriegssprache, wir wissen, was Krieg bedeutet, wissen, dass Krieg tötet, zerstört, Hass schürt, Spaltung, deshalb wurde ja die Verteidigungsarmee geschaffen, nicht eine Angriffsarmee. Wir ziehen nicht mit Pauken und Trompeten ins Feld, Preußens Gloria, dieser Unsinn war mal und er hat genug Schreckliches angerichtet.
Die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten sind dazu da, letztendlich unsere freiheitlich demokratische Grundordnung mit ihrem Leben zu verteidigen. Das klingt ein wenig heroisch, ist aber anders gemeint. So war das mit der Wehrpflicht angelegt, die durch die CDU-Kanzlerin Angela Merkel außer Kraft gesetzt wurde. Ich weiß, dass dabei die fehlende Wehrgerechtigkeit eine große Rolle gespielt hat. Aber Merkel hat es so gewollt, Hinweise aus der Generalität, dass immer weniger Soldatinnen und Soldaten und die immer weiter herunter gefahrene militärische Ausrüstung die Verteidigungsfähigkeit schmälern würden, wurden von politischer Seite, vor allem der Union und ihrer Kanzlerin ignoriert.
Kriegstüchtig? Friedenstüchtig klingt besser. Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, auch ein Sozialdemokrat, hat den Satz gesagt: „Der Frieden ist der Ernstfall.“ Die Schaffung und Bewahrung des Friedens ist uns und der Politik, der nationalen wie der internationalen auferlegt. Wir brauchen keine „Strackzimmermanisierung der deutschen Politik“(Leser des Bonner Generalanzeigers). Übrigens hat der Fraktionsvorsitzende der SPD in Bundestag, Rolf Mützenich, angesprochen auf die Sache mit der Kriegstüchtigkeit gesagt, er mache sich diesen Begriff nicht zu eigen. Recht hat der Fraktionsvorsitzende, der dafür sorgen muss, dass die Reihen der stärksten Regierungsfraktion, der SPD, geschlossen bleiben, auch und gerade in Fragen der sensiblen Verteidigungspolitik. Die SPD ist keine Partei, die Hurra schreit. Pistorius wäre gut beraten, leisere Töne anzuschlagen. Es kommen für ihn noch harte Wochen und Monate, andere Ressorts dürfen nicht vernachlässigt werden. Wie will man den Wählerinnen und Wählern erklären, dass Goethe-Institute in aller Welt geschlossen werden sollen, um Geld zu sparen, weil man Milliarden und Aber-Milliarden für Panzer und Fluggerät der Bundeswehr braucht. Damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird? Der Minister der Verteidigung muss aufpassen, dass er nicht überzieht, schon gibt es kritische Stimmen, die meinen, Pistorius habe abgehoben, wegen der guten Umfragewerte den klaren Durchblick verloren. Er ist Minister, nicht der Ersatz-Kanzler. Und mancher Verteidigungsminister stürzte ab, weil ihm die Höhenluft nicht bekam.