Irgendwie ist er zur guten Seele der Stadt geworden. Wenn viele der Kölner jemanden mögen, dann ist es Kardinal Rainer Maria Woelki. In ihm erkennen sie mal endlich wieder eine Respektperson. Ob katholisch oder auch nicht, ob gläubig oder irgendwie atheistisch: Woelki – den muss man einfach mögen. Ein „kölsche Jong“, der durch die Stadt radelt, gelegentlich seinen Mittagsimbiss an der Frittenbude einkauft und nicht nur durch Personalentscheidungen in seinem direkten Umfeld frischen Wind in Stadt und Diözese gebracht hat.
Dieser Bischof warnt seit den Exzessen der Silvesternacht unermüdlich vor Vorurteilungen von Flüchtlingen, warnt angesichts der Gewalt, die ihn fassungslos gemacht habe: die Stadt, die Gesellschaft dürfe sich nicht aufspalten lassen. Sie mögen ihn wirklich, den Woelki, aber gespalten ist die Stadt trotz seiner Warnung.
Ein kleiner Markt im Kölner Norden. Drei, vier, fünf Stände. Blumen, Eier, Fisch und Gemüse. Normalerweise kein Auflauf. Aber in dieser Woche diskutieren sie heftig. Die Gemüsefrau, sonst eher eine Leise, hat sich Pfefferspray bestellt. Nicht wegen der Silvesterexzesse, sondern weil sie gestern in der Zeitung von einem Überfall zweier Nordafrikaner auf einen Türken gelesen hat. Weil die Täter nicht an den Geldbeutel des Opfers gekommen sind, haben sie ihm – auf dem Boden liegend – wahllos mit Messern in die Waden gestochen. Es war ein furchtbares Blutbad.
Es war politisch nicht opportun
Ob Pfefferspray hilft? Der Revierpolizist, der sich in dem Viertel die Sorgen der Bürger anhört, hat seine Zweifel. Er ist unterwegs, auch um die Gemüter der meist älteren Marktbesucherinnen zu beruhigen. Ganz gelingt ihm das nicht, weil auch er aufgewühlt ist. Er ist empört über die Vorwürfe der Politik gegen seine Kollegen in der Silvesternacht. Er ist empört, weil jetzt alle Welt so tut, als hätte die Polizei die Augen vor der marokkanisch-algerischen Gewaltszene rund um Kölner Dom und Hauptbahnhof bewusst verschlossen.
Eine Sisyphus-Arbeit sei das gewesen, geben nach und nach immer mehr betroffene Polizisten preis. Aufspüren, festhalten, in Gewahrsam nehmen – und am nächsten Tag die Täter, Diebe, Rauschgiftdealer und Räuber wieder auf freiem Fuß. Der Zorn der Polizei darüber war groß. Aber vieles wurde unter den Teppich gekehrt. Es war politisch nicht opportun, die Täterkreise zu benennen; der schöne Schein von der weltoffenen rheinischen Metropole mit dem Weltkulturerbe Kölner Dom sollte unangetastet bleiben.
Dabei hatten Stadt und Polizei den Bezirk um Dom und Altstadt lange zu einer touristisch-kriminellen Kloake verkommen lassen. Auf ungezählten Junggesellenabschieden herrscht besonders an Wochenenden alkoholisierte Ausgelassenheit, Sauftourismus der abstoßenden Art, durchsetzt von Kleinkriminalität. Fotoreporter der Kölner Tageszeitungen dokumentierten im Detail den Drogenhandel rund um Dom und Rheinufer – in jener Zone also, in der Tausende das hinreißende Panorama der Stadt genießen und Dutzende Ausflugs- und Hotelschiffe ihre Passagiere aufnehmen. Und wenn die Kölner abends beschwingt vom musikalischen Hochgenuss das Juwel der Stadt, die Philharmonie verlassen, bringt sie die Warnung vor Taschendieben rasch in die Realität zurück. Nicht immer ohne Schaden zu nehmen.
Selbsternannte Rechtsschützer
Das Sicherheitsgefühl wird in diesen Tagen nicht gerade dadurch gefördert, weil selbsternannte Rechtsschützer aus der Neonazi- und Türsteherszene auf eigene Faust für Ordnung sorgen wollen, tatsächlich aber Treibjagden auf die jetzt diskriminierten Einwanderungsgruppen machen. Wie sie das meinen, haben Hunderte von Hooligans bei einer Demo klar gemacht. Gegen „Kanaken“, gegen die „Landesverräterin Merkel“, für ein „Deutschland den Deutschen“ haben sie gebrüllt und randaliert und mehr als 1000 Polizisten in Atem gehalten bei ihrer Antwort auf die Silvesternacht.
Sonntagmittag auf dem Alter Markt. Herzstück des heraufziehenden Straßenkarnevals. Noch ist es eher beschaulich. Die eine oder andere Karnevalistentruppe, die von Sitzung zu Sitzung zieht, spielt und singt die Klassiker des Kölner Brauchtums. Natürlich fehlt nie der kölsche Herzerwärmer: „Bei uns im Veedel. Wir ston zusamme, egal was auch passeert…“ Touristen schunkeln. Für den Moment der Schein einer Idylle, vor allem für die, die sich das Touristenleben von den Ereignissen der Silvesternacht nicht kaputt machen lassen wollen.
Das versuchen auch die, die die närrische Zeit professionell über die Runden bringen müssen. Die Angst vor Ausschreitungen, die im Massenbesäufnis der tollen Tage nicht auszuschließen sind, ist groß. Massive Polizeieinsätze sind versprochen, da der Karneval als Wirtschaftsfaktor nicht unter die Räder kommen darf. Sie wollen sich die tollen Tage nicht kaputt machen lassen. Und die „Bützche“ und die Anmache, die wie selbstverständlich dazu gehören, werden Flüchtlingen jetzt kulturell erklärt. Bützche, Schunkele,
„Bläck Föss“ am Elften im Elften nicht dabei
Ausgelassenheit, keine Frage von Frauenfeindlichkeit, Verrohung oder Gewaltanwendung: Kulturgut, das man am liebsten im UNESCO-Katalog des Weltkulturerbe verortet sehen möchte. Dass der Straßenkarneval längst zum Event mit Tausenden in Sonderzügen angekarrten Teilnehmern verkommen ist, dass Massenbesäufnisse einen hohen Grad an Gefährdung und Verrohung mit sich bringen und mit rheinischer Fröhlichkeit nichts mehr zu tun haben, war Grund genug für die kölsche Kult-Band schlechthin, die „Black Föss“, zum Karnevalsbeginn am Elften im Elften, zum traditionellen Karnevalsauftakt also und lange vor der Gewalt der Silvesternacht, am Alter Markt gar nicht mehr aufzulaufen.
Die Rheinpromenade unterhalb des Doms in dieser Woche. So sicher hat man sich hier lange nicht mehr gefühlt. Viel Polizeipräsenz, die afrikanischen Kleindealer und die „Antänzer“, die teure Handys und die Geldbeutel anderer Leute so mögen, sind in Deckung gegangen. Die Ufergefilde vermitteln das Gefühl von Ruhe, Unbeschwertheit, Sicherheit…..
Die Stadt, ihr Ansehen, ihr zerstörter Ruf, ist Dauerschleife in nahezu fast jedem Gespräch in Köln. Ein Abend in einer kleinen Vorstadtkneipe. Hoch geht es her, um Polizei und Stadtführung, um Flüchtlingshilfe und Willkommenskultur. „Hilfe, ja, aber das wird zu viel.“ Besonders erregt sich ein Mann aus Kroatien. Seit 30 Jahren lebt er in Köln, aber jetzt ist er froh, endlich in Rente zu ein und wieder nach Hause zu gehen. „Ihr tut mir Leid, ihr müsst hier bleiben, aber Euer Abendland, das geht kaputt“. Er redet sich in Rage, bis ihm ein Kölner sanft in die Parade fährt: „Abendland, erzähl mir nichts vom Abendland. Das war nie so schön, wie viele uns heute gern erzählen wollen.“