Als sich kürzlich vor der Stadthalle in Hagen ein herrenloser Rucksack fand, löste der Alarmstimmung aus. Die Polizei sperrte den Eingangsbereich ab; niemand erhielt Zutritt, niemand durfte auch heraus. Die polizeiliche Routine war gründlich und rigoros. Sicherheit zuerst. Die strengen Maßnahmen wurden selbstverständlich hingenommen. Ein Grummeln, ein Ärgern, aber keine Widerworte. Geduldiges Warten, bis das Notwendige getan war.
In der Stadthalle tagten zu dieser Stunde Menschen, die sich der „Zukunftsverantwortung in schwierigen Zeiten“ stellen. Unter ihnen der Ehrenpräsident des Club of Rome, Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der Mathematiker Prof. Dr. Franz Josef Radermacher und der Vorsitzende der Vereinigung deutscher Wissenschaftler, Prof. Dr. Hartmut Graßl. Renommierte Wissenschaftler, Zukunftsdenker von Weltrang, Fans unseres Erdballs.
Seit Jahrzehnten warnen sie vor der Erderwärmung, vor dem Artensterben, vor der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 ist das Wort Nachhaltigkeit weltweit in aller Munde. Wir haben nur diesen einen Planeten. Aber wir leben so, als hätten wir vier. Wir wissen, dass der Rucksack hochexplosiv ist, wir kennen seine Zerstörungskraft und betrachten ihn dennoch gleichgültig. Wir laden ihn weiter auf, statt auch nur die dringendsten Maßnahmen zu ergreifen, um die unumkehrbaren und unbeherrschbaren Folgen der Klimakatatrophe abzuwenden.
Die Wissenschaftler in der Hagener Stadthalle wunderten sich über die anhaltende Ignoranz der politischen Entscheidungsträger. Jahrelang wird von der Notwendigkeit geredet, die Treibhausgase zu verringern, doch tatsächlich steigt der Ausstoß weiter an. Von einem Klimagipfel zum nächsten werden Ziele und Zusagen formuliert. Stets ist es dann Fünf vor Zwölf, und die Untätigkeit dauert fort. Der Schulstreik fürs Klima steckte noch in den Anfängen, als die Konferenz in der Stadthalle stattfand, und die Redner äußerten ihre Anerkennung, verbunden mit der Hoffnung, nun auch selbst endlich Gehör zu finden.
In wenigen Wochen werden wir den Earth Overshoot Day erreichen, jenen Tag des Jahres, ab dem wir über unsere natürlichen Verhältnisse leben und der Erde irreparable Schäden zufügen. Im Vorjahr war der Tag am 1. August erreicht. Weltweit betrachtet waren alle nachhaltig nutzbaren Ressourcen aufgebraucht, und was immer wir in den verbleibenden fünf Monaten des Jahres 2018 produzierten und konsumierten, ging zu Lasten kommender Generationen.
Der verantwortungslose Raubbau an unserem Planeten beschleunigt sich, angetrieben vom Lebensstil der reichen Industrienationen. In Deutschland war der Erdüberlastungstag in diesem Jahr schon am 3. Mai erreicht. Und da sollten wir nicht auch ethisch und moralisch argumentieren, sollten nicht an die globale Verantwortung appellieren, an das Recht unserer Kinder und Enkelkinder, einen intakten Planeten zu erhalten?
In Dortmund beginnt am 19. Juni der Deutsche Evangelische Kirchentag, und in mehr als 100 Einzelveranstaltungen wird das Klima Thema sein. In Vorträgen und Diskussionen, in Workshops und Gebeten, Ausstellungen, Planspielen und Filmen. Unermüdlich haben die evangelischen Laien das Thema Umwelt, Erderwärmung und Klimawandel in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.
Die Bewahrung der Schöpfung war als protestantische Zeitansage stets ein Kernanliegen neben dem Frieden. Sehr oft saßen dann Wissenschaftler, Vertreter von Umweltinitiativen und Regierungsmitglieder gemeinsam auf dem Podium, diskutierten mit Tiefgang, in großer Ernsthaftigkeit und verständigten sich alsbald auf die Notwendigkeit umzusteuern. Das darf nun in Dortmund ganz ähnlich erwartet werden. Ob den Worten allerdings endlich Handeln folgen wird, steht auf einem anderen Blatt. Wenn es an Wissen und Einsicht nicht fehlt, braucht es noch Mut und Entschlossenheit, um die Weichen neu zu stellen. Genau das, ein Ende des sträflichen Unterlassens, erwarten die Kinder, die für ihre Zukunft auf die Straße gehen, und sie erwarten es mit Recht.
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Was halten Sie denn für „die dringendsten Maßnahmen“?
Etwa „Kohleausstieg bis 2030“ – so wie es Fridays For Future fordert? Und die Kernkraftwerke natürlich auch alle sofort abzuschalten?
So fällt es gewiss leicht, die Position moralischer Überlegenheit einzunehmen. Man muss dann allerdings mit der Frage rechnen, woher der Strom denn kommen soll, wenn in der dunkleren Jahreszeit mehrere Wochen lang kaum Wind weht.
Der pauschale Vorwurf, es werde kaum etwas getan, ist unzutreffend. Ernstzunehmende Kritik muss daher konkret sein.
Beispiel: Fossile Kraftwerke wird man noch sehr lange brauchen. Sich gegen dieses Faktum zu wenden, zeugt bloß von Naivität.
Die fossile Stromerzeugung, soweit sie noch erforderlich ist, nicht konsequent auf minimale CO2-Erzeugung umzustellen, sondern Braunkohlekraftwerke aufgrund politischen Geschachers länger als technisch nötig weiterzubetreiben – dies hingegen wäre ein sinnvoller Anlass für Kritik.
Auch ja: Und Elektroautos zu fördern, obwohl die Zusatzlast des Ladestroms fast vollständig fossil erzeugt werden muss, das ist natürlich auch höchst kritikwürdiger Unfug.