Es ist vollbracht, die Welt hat einen neuen Klimavertrag, und doch will sich ungeteilte Begeisterung nicht einstellen. Das Pariser Abkommen liest sich wie ein später Triumph der Vernunft; 195 Länder der Erde haben ihren guten Willen bekundet, den Anstieg der Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu drosseln. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass besonders ehrgeizige Absichtserklärungen ein besonders kurzes Verfallsdatum haben. Was die Einigung von Paris wirklich wert ist für die Zukunft unseres Planeten, wird sich erst in Jahren erweisen.
Die Klimakonferenzen der Vereinten Nationen haben ihre eigenen Rituale entwickelt. Das Ringen um einzelne Wörter, das Feilschen um die richtige Übersetzung, die Verlängerung um eine dramatische Verhandlungsnacht, und schließlich die Verkündung des historischen Erfolgs: Das ist alles nicht neu, wirkt wie inszeniert, um den Staatenlenkern eine Bühne zur Selbstdarstellung zu bereiten. Und alle haben sie genutzt, fanden immer kräftigere Superlative, um sich selbst zu loben. Doch Obacht: Ihre Euphorie gilt freiwilligen Selbstverpflichtungen, nicht verbindlichen Zusagen.
Die Umsetzung in konkrete Politik steht noch aus. Die drastische Verringerung der bedrohlich steigenden Treibhausgasemissionen, der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl, Maßnahmen zur Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien: All das ist seit Jahren notwendig, und allen Versprechungen zum Trotz weithin ignoriert und versäumt worden.
Weizsäckers Mahnung
Wer in diesen Tagen mit Ernst Ulrich von Weizsäcker über die Perspektiven einer tatsächlichen Klimawende spricht, bleibt auch nach Paris skeptisch. Die Ökonomie habe in der globalisierten Welt das Primat errungen, erklärte der Vize-Präsident des Club of Rome zwei Tage vor dem Abschluss des Pariser Klimagipfels im Hagener Theodor-Heuss-Gymnasium. Das Ideal der konventionellen Wirtschaft sei aber nicht Nachhaltigkeit, sondern der us-amerikanische Lebensstil. Allerdings: „Wir bräuchten fünf Erdbälle, wenn dieses Ideal auf sieben Milliarden Menschen ausgedehnt würde.“
Zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, über die von Weizsäcker zum 50. Gründungsjubiläum der Schule sprach, gehöre es auch, „sich klar zu machen, dass und warum der Kapitalismus nach 1990 grundlegend sein Gesicht verändert hat“. Die „goldenen Jahre der Demokratie“ währten nach seiner Sicht nur bis 1990. Bis dahin „suchte das Kapital den Konsens mit der Demokratie, die das Bollwerk gegen den Kommunismus war“.
Nach der „neokonservativen Wende“ von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in den 1980er Jahren und dem Kollaps der Sowjetunion 1990, beginne die „Globalisierung“: „Das Kapital braucht den Konsens nicht mehr und wandert global an den Ort höchster Kapitalrendite.“ Das Verhältnis von Staat und Ökonomie kehrt sich um. „Die Finanzmärkte belehren den Staat, wo man gerne investiert und wo nicht. Der Staat muss sich fügen.“ Dieser Kapitalismus verschärfe die soziale Ungerechtigkeit und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen.
Plündern des Planeten
Das Plündern des Planeten, das Leben auf Kosten kommender Generationen wird anschaulich mit dem „Overshoot Day“. Das ist der Tag im Jahr, „von dem ab die Menschheit mehr verbraucht, als in einem Jahr nachwächst“, erklärte von Weizsäcker in Hagen. Er wird jedes Jahr früher erreicht: 1970 war es der 23. Dezember, 2015 der 13. August und 2030 wird es der Prognose zufolge bereits ein Tag Ende Juni sein.
Pessimistisch blickt der renomierte Wissenschaftler auch auf die „Nachhaltigkeitsziele“ der Vereinten Nationen: Von den 17 Zielen zur Entwicklung bis 2030 seien nur drei der Umwelt gewidmet und 14 sozialer und wirtschaftlicher Natur. Wenn die 14 ohne grundlegenden Kurswechsel in der Weltwirtschaft erreicht werden, so von Weizsäckers Mahnung, „ist es für die anderen zu spät“.
Bildquelle: Global Footprint Network