Wenn wir uns irgendwo in Bonn treffen, begrüßen wir uns mit der linken Hand, wie das die Sankt- Georgs-Pfadfinder tun. Norbert Blüm ist bei den Pfadfindern gewesen, er war als Knabe Messdiener, er ist noch immer ein Christ, Mitglied der IG Metall und er wurde einst von Franz Josef Strauß als „Herz-Jesu-Marxist“ beschimpft. Oder soll man sagen: Geadelt? Am 21. Juli wird Norbert Blüm, der 16 Jahre lang Arbeits- und Sozialminister im Kabinett von Helmut Kohl war, 80 Jahre alt.
Er ist kämpferisch wie eh und je und vermisst den Streit über die Inhalte in der Politik. Das ist ihm alles zu lahm und still. Und wenn er an seine CDU denkt, kommt bei ihm nicht nur Frohsinn auf. Das soziale Herz seiner Partei, ja wo ist es geblieben, wo sind denn die Kämpfer für die sozialen Belange, für die vielen Sorgen der kleinen Leute? Auch wenn er Mitglied der CDU ist und katholischer Christ, räumt er ein, dass auch die Politik der Christen nicht automatisch christliche Politik bedeutet. Er hat den Wandel der Politik in der Vergangenheit erlebt, den von der christlich-liberalen Mehrheit im Bundestag hin zur Politik von Rot-Grün und dann die Merkel-Zeit. Der körperlich eher kleine Blüm hat immer- und das gegen mächtige Widerstände- gegen den Ausstieg aus dem Solidaritätsprinzip gekämpft- vergeblich, wie man heute weiß. Und dass heute der Neoliberalismus sich überall breit gemacht hat, stärkt seine von Haus aus gute Laune nicht gerade.
Lazarettwagen der Wirtschaftspolitik
Sozialpolitik, das hat er oft beklagt, hechelte nicht selten den falschen Entwicklungen der Wirtschaftspolitik hinterher und musste korrigierend eingreifen, „als Lazarettwagen der Wirtschaftspolitik“. Alle sollen den Gürtel enger schnallen, das hört man oft in den Sonntagsreden der Wirtschaftskapitäne und Politiker, wenn es mal wieder enger wird in den Sozialkassen, aber „jeder fummelt am Gürtel des anderen herum.“ Und der Zusammenhalt der Gesellschaft, das Gefühl in einer Solidargemeinschaft zu leben, was diesen Staat ja stark gemacht hat, leidet unter diesem Egoismus, unter dem Rennen ums goldene Kalb, der Habgier, ja nichts abzugeben und den eigenen Millionen noch weitere hinzuzufügen.
Blüms Vater war Kraftfahrzeugschlosser und Busfahrer. Er selber hat bei Opel in Rüsselsheim gelernt und als Werkzeugmacher gearbeitet. Diese Nähe zu den Arbeitern und deren Sorgen hat er nicht verlernt über die Jahre, auch nicht, als er über das Abendgymnasium das Abitur nachmachte und später ein Studium anschloss, das er mit der Promotion zu Ende führte. Es ist kein Wunder, dass dieser Mann kein Freund des Neoliberalismus ist, dass er sich wünschte, dass die führenden Leute seiner Partei wieder mehr die Nähe zu den Arbeitslosen und Bedrängten in unserer Gesellschaft suchten würden.
Kämpfte für das Solidaritätsprinzip
Früher konnte man ihn auf den Parteitagen der CDU erleben, wo er gegen die Kopfpauschale wetterte und eintrat für das Solidaritätsprinzip in der Sozialversicherung, getragen und finanziert von beiden Seiten, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Je älter er wurde, desto mehr musste auch einer wie er, der für soziale Prinzipien und soziale Gerechtigkeit steht, erleben, dass die jüngeren, die flotten Herren, denen der Wille nach oben auf der Stirn geschrieben stand, ihn fast wie einen aus dem vorigen Jahrhundert bemitleideten. Und heute? Werden zur Sozialpolitik auf den Kongressen der Union kaum noch Fragen gestellt. Ja, das soziale Herz seiner Partei schlägt nicht mehr so, wie Blüm sich das wünschte.
Angst hat er zumindest nie gezeigt, wenn er sich mit Präsidenten anlegte, die er dann wie im Falle Pinochet als „Folterknechte“ anging. Zu Recht. Denn Pinochet war ein Verbrecher, in seiner Diktatorenzeit ließ Pinochet unliebsame Chilenen einfach beseitigen, töten, foltern bis zum Tode. Mit demselben Pinochet wollte ein Franz Josef Strauß Geschäfte machen und als der Verkauf von Hunderten von LKW scheiterte, tobte der mächtige CSU-Mann in Richtung Blüm, weil der sich nicht davon hatte abhalten lassen, nach Santiago zu fliegen, um dem Diktator die Meinung zu sagen. Jahre später, viele Jahre später umarmte ihn ein Chilene, der nach der Intervention Blüms wie 15 andere freikam. Was will ein Politiker mehr, als Menschenleben zu retten?
Bruch mit Helmut Kohl
Dass der alte Helmut Kohl über ihn in dem Buch von Heribert Schwan “Das Vermächtnis“ so gelästert hat, wie das der Autor in seinem umstrittenen Werk hat abdrucken lassen, hat Blüm schmerzlich getroffen. Er wird sich dazu nicht weiter äußern, das ist nicht sein Niveau. Zum Bruch zwischen Kohl und Blüm war es wegen der Spendenaffäre gekommen, die nun mal mit dem Namen des Kanzlers Kohl in Verbindung gebracht wurde. Und Kohl, für den Blüm manches Eisen aus dem Feuer geholt hatte und dem er als Bundesarbeitsminister 16 Jahre loyal und freundschaftlich verbunden war, hatte es unter Verweis auf das Ehrenwort gegenüber den Spendern abgelehnt, die Namen der Spender zu nennen, wie es das Gesetz erfordert. Deshalb keine Versöhnung. Das Gesetz hat Kohl gebrochen, nicht Blüm. Punkt.
Norbert Blüm, ein Linker in der CDU, ein Schwarzer in der IG Metall. „Eigentlich war ich immer Dissident, ich habe nie richtig dazugehört“. Zitate aus einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ aus Anlass seines 80. Geburtstages. Alt ist der Mann, wie er selber zugibt. Klar, mit 80 kann man so sagen. Aber geistig ist er kampfeslustig wie eh und je. Und die Frage treibt ihn um, wie denn diese Gesellschaft der Zukunft aussehen soll. Soll das Kapital uns regieren oder die Arbeit der Bestimmungsfaktor sein? Und die Antwort? Geld regiert die Welt? Mit Geld erreicht man die Herzen nicht, Europa, das kann man auf die augenblickliche Debatte beziehen, besteht nicht nur aus dem Euro, Europa will und muss eine Wertegemeinschaft sein, eine soziale.