Es stellt sich ja seit längerem immer wieder die Frage, wie gehen wir mit der rechtspopulistischen AfD um, die in ihren Reihen Rassisten hat, Fremdenfeinde, Antisemiten, Neonazis? Ich habe vor über einem Jahr das Buch „Inside AfD“ gelesen, das geschrieben worden ist von Franziska Schreiber. „Der Bericht einer Aussteigerin“, heißt es zusätzlich auf dem Umschlag. 2017 ist Franziska Schreiber Vorsitzende der „Jungen Alternative“ und die einzige Frau im Bundesvorstand der AfD und Pressesprecherin. Eine Woche vor der Bundestagswahl 2017 tritt sie aus der Partei aus. Man muss im Grunde nur ein paar Zeilen auf den Seiten 207 und 208 des Buches nachlesen, um die Abkehr von Franziska Schreiber von der AfD zu verstehen: „Vaterland“, zitiert sie die Hetze ihrer ehemaligen Partei, „verseucht“, „zerfressen“. Dann kommt sie zu dem Schluß: „Ich kann diese hasserfüllte, geifernde Rhetorik nicht mehr hören. Noch stellten die Rechtsradikalen in der AfD nicht die Mehrheit, aber ihre Präsenz war weitaus größer, als ich zu tolerieren bereit war. Heute besteht die AfD schon aus 15 Prozent Neonazis, 20 Prozent Nationalromantischen mit Kaiserreichaffinität und 15 Prozent Mitläufern; dem steht ein gebeuteltes, zerstrittenes, liberales Lager ohne charismatische Führung und Strukturen gegenüber. Wer soll die Rechten aufhalten?“
Diese AfD sitzt im Bundestag, in allen Landtagen und im Europa-Parlament. „Die Wähler“, stellt Franziska Schreiber fest, „unterschätzen deren rechtsextreme Absichten.“ Frau Schreiber nennt die AfD eine „Bedrohung“ unserer freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik. Wer so etwas sagt, bekommt oft zu hören, dass immerhin 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht für die AfD gestimmt haben, sondern nur 15 Prozent. Dass dies kein Ruhekissen sein darf für uns alle, die diese Partei ablehnen, machten die jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen deutlich. Dort wurde die AfD zweitstärkste Partei. Trotz eines Björn Höcke, einem der Rechtsausleger der AfD, Vertreter des völkischen Flügels der Partei, der es sich leisten kann, das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an die Ermordung von Millionen Juden durch die Nazis erinnert, eine Schande zu nennen. Viele Wählerinnen und Wähler der AfD scheint das nicht zu berühren.
Man will provozieren
Es scheint viele nicht zu interessieren, was ein Alexander Gauland, immerhin Chef der AfD im Bundestag, sagt, oder was andere von der AfD von sich geben. Gauland kann die Leistungen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg loben, obwohl die deutsche Wehrmacht an den Vernichtungsfeldzügen von Hitler in Polen und der Sowjetunion maßgeblich beteiligt war, bei denen deutsche Soldaten daran aktiv mitwirkten, ganze Dörfer dem Erdboden gleichzumachen und alles über den Haufen zu schießen, was ihnen in die Quere kam. Derselbe Gauland kann die zwölf Jahre der Hitler-Diktatur, die einen Weltkrieg vom Zaun brach, bei dem mindestens 60 Millionen Menschen zu Tode kamen und viele deutsche Städte zerstört wurden, einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte nennen. An Beispielen ist kein Mangel.
Und diese Beispiele sind kein Zufall, sie gehören zur Taktik dieser Partei. Die AfD will provozieren, lärmen, gegen Regeln verstoßen, damit die Altparteien, wie sie verächtlich CDU, CSU, SPD, die FDP, die Grünen und die Linke nennen, gegen sie vorgehen. Dann können sie sich als Opfer gebärden, als Märtyrer. Jüngstes Beispiel ist der AfD-Politiker Stephan Brandner, dem alle übrigen Vertreter aller demokratischen Parteien den Vorsitz des Rechtsausschusses des Bundestages einstimmig entzogen. „Es hat sich für Herrn Brandner ausgehetzt“, kommentiert der Linken-Obmann im Ausschuss, Niema Movassat das Geschehen, das einmalig ist in der 70jährigen Geschichte des Bundestages.
Es ist aber auch in der Parlamentsgeschichte ein einmaliger Vorgang mit einmaligen Entgleistungen des Herrn Brandner, der es darauf angelegt hat, dass man ihm den Vorsitz entziehen würde. Der AfD-Politiker aus Thüringen ist kein Unbekannter, er liebt es zu provozieren. So verbreitet er nach dem tödlichen Anschlag von Halle per Twitter die Nachricht eines anderen Nutzers weiter, der geschrieben hatte, die Opfer von Halle seien „eine Deutsche, die gern Volksmusik hörte“, und ein „Bio-Deutscher“ gewesen. „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Monate zuvor hat der 53jährige Brandner in der Debatte den auf der Gästetribüne des Plenarsaals in Berlin sitzenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier attackiert.
Scham kennen sie nicht
Scham kennen sie nicht, die Brandners und Gaulands und Höckes, das Hohe Haus, wie man den Bundestag in Feierstunden gern nennt, hat für sie keinen höheren Wert als irgendeine Bude, in der man Lärm machen kann, wann man will und gegen wen man will. Hauptsache Provokation! Brandner wird gespürt haben, dass die Abgeordneten aus den anderen Parteien ihn als Vorsitzenden des Rechtsausschusses loshaben wollen. Er ist einer, der reizt und dabei gern überreizt. Es bietet sich für ihn die Gelegenheit, gegen Udo Lindenberg per Twitter loszupoltern, nachdem der Rocksänger die AfD nach ihrem Wahlerfolg in Thüringen angegriffen hatte. Für Brandner ist „klar, warum der gegen uns sabbert, sabbern muss.“ Er weist auf das Bundesverdienstkreuz hin, das Lindenberg gerade verliehen worden war, und verbindet das mit dem Wort „Judaslohn“. Da ist dann das Maß voll, auch wenn der Begriff Judaslohn eigentlich Verrat bedeutet. Brandner wehrt sich gegen die Angriffe und dagegen, dass man ihm den Vorsitz des Ausschusses wegnehmen wolle. „‚Die Altparteien brechen 70 Jahre lang bestehendes, gelebtes Parlamentsrecht“, wettert er vor der Sitzung. „Die Altparteien werden von der Angst getrieben, die die AfD offenbar hier verbreitet. Wir können dagegen nichts tun. Manche nennen es Demokratie, ich nenne es Missbrauch der Macht, was hier an den Tag gelegt wird.“
Es ist Demokratie, Herr Brandner, die sich hier durchgesetzt hat. Die Opferrolle, in der sich Brandner sieht, zieht nicht. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, nennt die Abwahl Brandners „folgerichtig. Das Amt muss so ausgeübt werden, dass der Inhaber glaubwürdig für den Rechtsstaat steht. Er muss Vorbild sein.“ Das ist Herr Brandner nicht. da können die Gaulands und Co noch so schimpfen. Ihm geht es ganz offensichtlich wie Höcke darum, Jagd auf die Altparteien zu machen. Ganz im Stil von Gauland, der ja schon nach der Wahl der Bundeskanzlerin Angela Merkel gedroht hatte: „Wir werden sie jagen.“ Als wäre die Kanzlerin ein Tier.
Ob die Wählerinnen und Wähler der AfD dieses Stoppzeichen, das alle anderen Parteien gegen die AfD setzten, setzen mussten, verstehen? Ob sie endlich begreifen, wer da kandidiert? Höcke und Brandner gehören dem Flügel an, deren Vertreter für den Fall einer AfD-Regierung damit gedroht hatten, dass dann „kein Stein auf dem anderen“ bleiben werde. Nicht die Entscheidung des Parlaments ist eine Zumutung für die Demokratie, sondern das Treiben von Brandner, Gauland und Höcke. Sie greifen an und ständig daneben. Eine Partei des bürgerlichen Lagers, die sie sein wollen, sind sie beileibe nicht. Ihre Äußerungen wirken oft genug würdelos, beklemmend. Sie überschreiten absichtlich immer wieder die rote Linie. Deshalb war die rote Karte fällig. Brandner wurde, wie es der „Spiegel“ einordnet, „zu Recht das Opfer seiner eigenen Tabubrüche.“ Es gibt Grenzen des Sagbaren. „Verächtliche und kaltschnäuzige Äußerungen“ gegenüber politischen Konkurrenten offenbaren etwas vom „Charakter des Absenders, sie sind die Grenze, die sich „ein Parlament, das etwas auf seine Würde hält, nicht bieten lassen kann.“ Der „Spiegel“ hat Recht. Genug ist genug. Die Demokraten mussten handeln und ein Zeichen setzen. Auch für die Wählerinnen und Wähler, damit sie wissen, wem sie ihre Stimme zukünftig geben. Sie können nicht sagen, sie hätten nichts gewusst.
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