Wer das Buch über „Kittys Salon“ in die Hand nimmt, stolpert über Legenden, Fakten und Fiktionen, wie die Autoren Urs Brunner und Julia Schrammel schon auf dem Klappentext das Ergebnis ihrer Arbeit offen erklären. Den Salon gleichen Namens in der Berliner Giesebrechstrasse 11 in Charlottenburg hat es gegeben, es war wohl so eine Art Edelpuff, auf Wunsch oder Anordnung des Ober-Nazis Reinhard Heydrich. Denn der wollte Prominente in diesem Salon aushorchen, ausländische Diplomaten wie seine eigenen Leute, denen er nicht immer über den Weg traute. Heydrich selber muss dort auch so eine Art Stammgast gewesen sein.
Das feine Etablissement wurde nicht nur mit Liegend-Möbeln und viel Plüsch ausgestattet, sondern auch mit entsprechenden Kabeln und Aufnahmegeräten, damit man die intimen Gespräche auf Band aufnehmen konnte. Ob es einen Nachrichtenwert gab, ist nicht bekannt. Dass es so etwas wie den Salon gab, überrascht nicht wirklich, denn diese Ausspionierung mit Hilfe des horizontalen Gewerbes gibt es in der ganzen Welt. Und dass diese Art der Arbeit angeblich nicht mit den strengen Moral-Vorstellungen der braunen Herren vereinbar gewesen wäre, mag blauben, wer auch sonst jeden Blödsinn für Wahrheit hält. Denn mit Moral jedweder Art hatten Hitler, Himmler, Goebbels, Heydrich und Göring, um nur die zu nennen, nichts am Hut. Sie taten das, was ihnen passte. Und wer sich die Liste der Herren, so weit sie bekannt waren, ansieht, findet Heydrich dort ebenso wie Goebbels und andere Nazi-Größen.
Das Buch ist fast wissenschaftlich aufgebaut, es arbeitet mit vielen Quellen, so weit man diese Unterlagen als solche bezeichnen darf. Weil vieles um diesen Salon naturgemäß eher im Bereich der Legenden und Erzählungen angesiedelt ist, denen man trauen kann oder nicht, ist manches fraglich, aber auch nicht so wichtig. Schon die Aufmachung des Klappendeckels ist aufschlussreich. Da finden sich die Köpfe von Heydrich wie von Himmler, Hitler neben ein paar Damen in spärlichen Gewändern. Das Buch lebt von den Erinnerungen der sehr spärlichen Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, so weit sie überliefert sind. Fotos umrahmen die Texte, Dokumente, Memoiren und anderes.
Edel-Puff, Spionage-Treff, es wird wohl beides gewesen sein. Allein 1940, also mitten im Krieg, sollen rund 10000 Kunden sich bei den Damen amüsiert haben, das sind 30 am Tag. Ausgewählt waren die Frauen von den Nazi-Größen, sie sollten intelligent sein, mehrsprachig, nationalistisch. Unter ihren Gästen waren auch ausländische Diplomaten und Militärs, darunter Italiens Außenminister Graf Gealeazzo Ciano, verheiratet mit der ältesten Tochter des italienischen Faschistenführers, Benito Mussolini. SS-Spionagechef Schellenberg erwähnt Ciano als „einen der interessantesten Fänge“. Ciano soll, um nicht erkannt zu werden, zunächst in ein Kinematopraphentheater in derselben Straße gegangen sein, um das Kino, wenn das Licht ausging, durch eine Seitentür zu verlassen. Und kurz vor Ende des Films war Ciano wieder zurück aus dem Bordell auf seinem Platz im Kino.
Die Autoren gingen auch der Frage nach, ob die Salon-Chefin Kitty Schmidt eine Nazi-Anhägerin war, ob sie mit den Nazis unter einer Decke steckte. Sie können diese Frage nicht beantworten, es darf aber vermutet werden, dass sie ihre Kontakte in höhere Nazi-Kreise hatte. Sie soll gelegentlich Juden in einem ihrer Räume versteckt und sie so vor dem Zugriff der Nazis gerettet haben. Wird erzählt. Möglich.
Kitty selbst wird in dem Buch beschrieben mal als“ Ideal einer freundlichen alten Dame, immer hilfsbereit“, so die Zitate eines in der Nachbarschaft wohnenden Ehepaares. An anderer Stelle wird sie „eine kräftige Frau, sehr sympathisch und lieb“ genannt, „imposant, aber nicht so, dass ich jemals Angst hätte haben müssen“. Eigentlich „ein sehr natürlicher Mensch“ und „ich weiß noch, dass sie immer gut aussah.“ Erinnert sich eine Karin Zickerich. Evelyn Künneke charakterisiert Kitty als eine “ sortierte, gepflegte, sehr nette Dame“. Evelyn Künneke, eine Nachbarin der Salon-Chefin, war die Tochter des Operettenkomponisten Eduard Künneke.
Kitty Schmidt wurde auf dem Waldfriedhof Heerstraße in Berlin beerdigt Die Beedigung „war offenbar ein großes Ereignis. Hunderte ihrer Freunde, Angestellten und Kunden erwiesen ihr die letzte Ehre“, schreiben die Autoren. Im Nachruf heißt es über sie: „..eine seit den zwanziger Jahren in internationalen, besonders diplomatischen Kreisen Berlins renommierte Inhaberin eines nach Pariser Gepflogenheiten geführten Etablissements und favorisierte Arrangeurin galanter Unterhaltung für ausländische Gäste der Reichsregierung.“
Noch einmal die Frage: War sie „Naziopfer, Überlebenskünstlerin, Opportunistin oder Kollaborateurin?“ Die Autoren kommen zu dem Schluss: „Mit den Wölfen zu heulen, war ihre Strategie, um nicht nur sich und ihrer Familie ein Überleben zu sichern, sondern auch um das Beste aus der gefährlichen Situation zu machen.“ Heute befinden sich in den oberen Etagen der Giesebrechtstraße 11 Mietwohnungen und Räume für Rechtsanwälte, eine Steuerberaterin, eine Agentur für eine Versicherung, ein Weiterbildungsinstitut, ein Hörgeräte-Unternehmen sowie eine Tanzschule. Im Ladenlokal werden exklusive Designerlampen und Luxusmöbel verkauft. So steht es im Buch.