Im Gespräch zwischen einer gewohnt sprunghaften Anne Holt und der Bundeskanzlerin Angela Merkel „durften“ die zuschauenden deutschen Massen erleben, wie eine Liedzeile der Sängerin Lori Liebermann von 1972 wieder auflebte: Killing me softly with her Song. Im Original heißt´s zwar „with his Song“, aber diese Abweichung sei erlaubt. Jedenfalls war deutlich, dass der Kanzlerin nicht passte, wie NRW- Ministerpräsident Laschet, Saarlands MP Hans und Berlins Regierender Bürgermeister Müller die jüngsten Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern auslegten. Daher: Softly killing.
Was die Kanzlerin konkret meinte, berichtete Der Tagesspiegel: „Im Bereich des täglichen Bedarfs, also bei Lebensmitteln, Schreibwaren, Zeitungen und Zeitschriften, in Apotheken, Optiker-Fachgeschäften, Drogerien, Reformhäusern, Tankstellen, Buchhandlungen, auf Wochenmärkten sowie in Baumärkten und Fahrrad- und Auto-Werkstätten ist ein Test nicht verpflichtend vorgeschrieben….“
„In allen anderen Geschäften muss ein Test vorgezeigt werden. Er muss vom selben Tag sein….“
„Wird ein Selbsttest verwendet, dann nur unter Aufsicht. In der Verordnung ist hier von einer „erweiterten Einlasskontrolle“ die Rede, die vom „jeweils Verantwortlichen oder von ihr oder ihm beauftragten Personen“ durchgeführt wird. Gemeint sein dürfte damit, dass eine Ladeninhaberin oder ein Mitarbeiter an der Tür beobachtet, wie Kund:innen den Selbsttest vornehmen, anschließend das Ergebnis prüft und bescheinigt….“
Das ist in der Tat nicht der „Spirit“, den die Beschlüsse von BK und MPs prägten. Folglich textete die Zeitung in der Dachzeile: „Die Alternative zur Notbremse.“
Solche Versuche, strikte Kontaktbeschränkung mit Einkaufen, Bummeln und Treffen zu verbinden gibt es in einigen Städten wie Weimar und Tübingen. Weimar hat 65 000 Einwohner, Tübingen etwa 90 000. Köln mit einer Einwohnerzahl von 1,1 Millionen folgt keiner „Alternative zur Notbremsung“ wie Berlin mit 3,5 Millionen sondern macht dicht. Jetzt werden wir nach Ablauf von fünf oder sechs Tagen – ab Mittwoch gerechnet – verfolgen können, wie sich die Dinge entwickeln.
Die Tübinger Pandemie-Beauftragte Lisa Federle (CDU-Mitglied) warnte jedenfalls: Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Tage sei, „dass sich die Menschen teilweise wirklich nicht an die Regeln halten“. Deshalb müsse künftig stärker kontrolliert werden.
Ja, was war noch mit dem „killen“? Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, dass die Bundeskanzlerin mehreren Ministerpräsidenten vorhält, in Fragen von Leben und Tod eine einmal beschlossene, für sie vernünftige und überzeugende Linie zu verlassen. Und da sich unter den MPs, die sie sich „vorknöpfte“, der Vorsitzende der eigenen Partei befand, der sich Hoffnungen darauf macht, von seiner Partei zum Kanzlerkandidaten gekürt zu werden, ist der Vorgang doppelt außergewöhnlich. Denn die amtierende Regierungschefin geht wegen ihrer Besorgnis über parteitaktische wie –strategische Überlegungen hinweg.
Nun wird man in den kommenden Wochen gewiss die Reihen wieder schließen. Aber die Erinnerung an diesen Vorgang bleibt. Zeit für die politische Konkurrenz, sich auf neue Möglichkeiten einzustellen. Die SPD benötigt, wie der unvergessene Wahlkampfmanager der Partei Brandts und Schmidts Volker Riegger dem Blog Bruchstücke berichtete, ein „starkes strategisches Zentrum“ wie weiland die Kampa´98. Er erinnerte an das Motto der Sozialdemokratie 1998 „Innovation und Gerechtigkeit“, das für eine mehrheitsfähige Koalition in der Wahlbevölkerung aus „Werktätigen, Frauen und aufgeklärten Mittelschichtlern“ attraktiv gewesen sei.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0