Am vergangenen Samstag, den 19. Oktober hat der Honorarprofessor Richard David Precht auf dem roten Sofa der NDR Fernsehsendung DAS! gesessen, um von sich und seinen Auffassungen zu berichten. Precht ist studierter Philosoph, Erfolgsautor, Moderator einer nach ihm benannten ZDF- Sendung. Befragt wurde er von der erfahrenen Redakteurin Bettina Dieckman. Er nutzte die Sendung ausgiebig, um für sich und seine wirtschaftlich- publizistischen Interessen zu werben. Das scheint heute gang und gäbe zu sein. Anschauungsmaterial ist diese Sendung nach meiner Auffassung, weil er sich zwischen Minute vier und neun zur Res Publica befragen ließ. Seine Antworten sind ernüchternd.
Er, Precht, denke sehr langfristig, merkte der Philosoph an. Die Politik hingegen sei ständig gezwungen, sich taktisch kurzfristig zu entscheiden: „Wir haben keine strategische Dimension in unserer Politik.“
Die Gesellschaft stehe vor einem ganz tiefen Umbruch und die Politik suche sich immer kleine, harmlose Themen wie die Maut oder wie nun die CDU den Doppelpass.
Das geschehe, weil sich die Politik nicht mehr zutraue, an den langfristigen Themen zu arbeiten.
„Ich treffe sehr viele Spitzenpolitiker, die wollen nicht mit mir zusammen arbeiten….“ Die wollten nur den einen oder anderen Satz für eine Rede.
„Die Zukunft des Landes, wie es in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll, interessiert die wenigsten Spitzenpolitiker.“
In den Überlegungen der Spitzenpolitiker drehe es sich um Fragen wie, werde ich noch Minister sein oder werde ich Kanzler, da kämen die „echten Probleme nur am Rande“ vor.
Auf die Frage der Bettina Dieckmann, warum er nicht in die Politik gehe, meinte Precht, er kenne „keine Partei in die er eintreten könnte“.
Die größere Wirkung entfalte man nicht in einer Partei oder in einem Amt, sondern außerhalb.
Die großen Entscheidungen in diesem Land träfen sowieso nie die Politiker, da gebe es Unternehmen, Lobbys, Interessen….
Es reicht. Als ich den Herrn Precht in der Sendung betrachtete, ging mir durch den Kopf, dass er gefaked sein müsse; das könne nicht der Precht sein, der andächtig-respektvoll mit Robert Spaemann diskutierte. Dann las ich, dass die FAS den Precht vor einigen Jahren ironisch in Anspielung an Grimms Märchen als „Doktor Allwissend der Republik“ bezeichnet hatte. Tatsächlich führt sich der DAS-Precht auf, als wolle er die „Fußhupe der Populisten“ spielen.
Kurz- und Langfristigkeit:
Am Tag des Mauerfalls verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Rentenreformgesetz, das der Rentenversicherung und damit den Beitragszahlenden in der Folgezeit bis jetzt und noch weit darüber hin aus Ausgaben von Hunderten von Milliarden Euro erspart.
Wenige Jahre später verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das es derselben Rentenversicherung möglich macht, die Ausgaben wegen steigender Lebenserwartung so zu steuern, dass zwischen Beiträgen und Leistungen akzeptable Proportionen herrschen. Sehr langfristig angelegt.
Der Bundestag hat während der vergangenen Jahre ein Energiekonzept für die Bundesrepublik beschlossen, das seinesgleichen sucht: Verzicht auf Atom und Kohlenstoff zur Energieerzeugung und Ersetzen durch anderes. Sehr langfristig.
Die damalige Gesundheitsministerin Schmidt hat während der Nuller-Jahre das Verhältnis zwischen Beitragsaufbringung und Leistungen, die Beziehungen zwischen Kassen, Apothekern, Ärzteschaft, die Aufgaben der Kontroll-und Beschlussgremien so geregelt, dass Minister Spahn heute noch darauf aufbauen kann. Kurzfristig?
Der Deutsche Bundestag hat längst begonnen, sich vermehrt um die sozialen Belange der sogenannten Geringverdiener zu kümmern: Im Rentenrecht, durch Änderungen beim Wohngeld, durch neue, längerfristig angelegte Förderung gegen Arbeitslosigkeit. Das alles sind keine kurzfristigen, taktischen Maßnahmen. Kann ich von einem Philosophen, der sich zu allem und jedem äußert nicht erwarten, dass er sich ausgiebig informiert?
Prechts Behauptungen, die Spitzenpolitiker dächten kaum an die längerfristige Zukunft des Landes sondern mehr an sich, und die „großen Entscheidungen“ fielen irgendwo anders aber nicht in den Institutionen des Grundgesetzes sind reine Ressentiments. Kellertreppen-Philosophie.
Wenn ich mich ärgere, lese ich anschließend. Am Samstag habe ich zu Hans Arp gegriffen. Sein Gedicht Opus Null 1 mit der wunderbaren Einleitungszeile: „Ich bin der große Derdiedas…“
Arp fuhr im Weiteren fort:
„Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der insgesamte Augustin
im lichten Zelluloserock.“
Dem ist mit Blick auf die beschriebenen Ressentiments nichts hinzu zu fügen.
Bildquelle: Wikipedia, Ji-Elle, CC BY-SA 4.0
Lieber Herr Vater,
man mag ja von Herrn Precht halten, was man will. Aber seine Zitate aus Ihrem Artikel teilen wohl die allermeisten Bürger, die die aktuelle Politik aufmerksam verfolgen und sich ihre Gedanken dazu machen.
Es ist ja schick und simpel in das Precht-Bashing mit einzufallen, aber das was Sie als „Kellertreppemphilosophie bezcichnen, können Sie nicht mit Ihren anschließenden Anmerkungen widerlegen, ganz im Gegenteil sogar. Was Sie als Gegenargument und Erfolg für langfristige Politik aufzählen, ist – verzeihen Sie bitte – jämmerlich und lächerlich.
Der Politikbetrieb in Berlin läuft auch aus meiner Sicht überwiegend darauf hinaus, von Wahl zu Wahl sich zu hangeln und in der Zwischenzeit alles so laufen zu lassen, wie die wirklich Mächtigen und/oder Lobbyvertreter der Industrie und Wirtschaft in den Büros im Bundestag gerne hätten. Etwas substantielles, etwas gestaltendes aus einem Politikermund – also etwas, wovon nicht nur Wirtschaft, Industrie und Banken profitieren- etwas langfristiges habe ich in den letzten Jahren so gut wie nicht erlebt. Diese Politik und diese Art politische Arbeit hat die AFD erst groß gemacht. Die AFD ist ein hausgemachtes Problem unserer Republik, verursacht von Politikern, die unfähig sind als Volksvertreter die Interessen des Volkes zu vertreten und zu verteidigen. Anstatt Precht zu beschimpfen, sollten Sie lieber aus Ihrer Echokammer und Filterblase heraustreten.
Bis dahin schämen sich sich aber zuerst einmal für Ihren Artikel zu Precht, das wäre schon einmal ein guter Anfang um in der Realität anzukommen.
Mit den besten Grüßen und Wünschen
Claus Hübner