I.
Die gesellschaftliche und die politische Debatte über die drohende Klimakatastrophe und das Aussterben von immer mehr Pflanzen- und Tierarten leiden unter einem grossen blinden Fleck: Die klimaschädlichen Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas werden von Menschen verursacht, aber nicht alle tragen in gleichem Masse zur Aufheizung der Erde bei. Wer sich durch Einkommen und Vermögen viel leisten kann, trägt durch sein Verhalten und seine Konsumgewohnheiten eine viel grössere Verantwortung als Menschen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Das gilt im weltweiten Vergleich zwischen den Ländern. Das gilt auch innerhalb der Gesellschaften weltweit.
Wie riesig diese Unterschiede sind und was das für eine wirkungsvolle Politik zum Schutz des Klimas, zum Erhalt der Bewohnbarkeit der Erde bedeutet, damit beschäftigt sich der „Climate Inequality Report 2023“, den das an der „Paris School of Economics“ angesiedelte „World Inequality Lab“ Ende Januar 2023 veröffentlicht hat. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor Lucas Chancel hat Daten aus aller Welt zusammengetragen, die deutlich machen, wie stark soziale Ungleichheit und Umweltbelastung zusammenhängen. Schon in einem Interview vom 19. August 2022 hatte Chancel in „Le Monde“ festgestellt: „Heute liegt niemand bei einem Ausstoss von null Tonnen CO2. Aber die einfachen Leute in Frankreich wie in den anderen Ländern der Welt sind de facto, auch wenn sie sich in ihrer grossen Mehrheit nicht für ökologisch halten, ökologischer als die Mittel- und die Oberschichten. Sie konsumieren weniger von den Gütern und Dienstleistungen, die diesen ganz starken Druck auf die Erde ausüben und sie belasten.“
Die Studie beschäftigt sich auch mit der Frage, welche Bevölkerungsgruppen besonders unter der Klimakrise leiden werden und macht konkrete Vorschläge für eine Politik, die erkennt, dass eine erfolgreiche Klimapolitik nur gelingen kann, wenn die in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsene soziale Ungleichheit dramatisch zurückgedrängt wird. Die Autoren sind davon überzeugt, dass es ohne weniger soziale Ungleichheit nicht mehr Klimaschutz geben kann und geben wird.
II.
Weltweit sind die 10 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen auf der Grundlage von Daten für das Jahr 2019 für die Hälfte aller CO2-Emissionen verantwortlich und das oberste Prozent für mehr Emissionen als die ganze untere Hälfte der Menschheit.
Im statistischen Durchschnitt war jeder der damals noch knapp acht Milliarden Menschen auf der Erde für sechs Tonnen CO2 im Jahr verantwortlich. Die Menschen, die nach ihrem Einkommen zur unteren Hälfte gehören, verursachten 1,4 Tonnen CO2, die mittlere Gruppe von 40 Prozent 6,1 Tonnen, bei den obersten zehn Prozent waren es 28,7 Tonnen pro Kopf und das oberste Prozent war für 101 Tonnen verantwortlich. Verglichen mit der untere Hälfte verursachte das eine Prozent an der Spitze also mehr als siebzig mal so hohe CO2-Emissionen.
Dieses Muster zeigt sich in allen Teilen der Welt, allerdings auf ganz unterschiedlich hohem Niveau:
„In Ostasien verursachen die obersten zehn Prozent 40 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr und haben so einen grösseren ökologischen Fussabdruck als die obersten zehn Prozent in Europa. Dagegen liegen die durchschnittlichen Emissionen pro Kopf und Jahr der unteren Hälfte der Bevölkerung in Ostasien (2,9 Tonnen im Jahr) viel niedriger als die der unteren Hälfte in Europa oder Nordamerika. Das durchschnittliche Emissionsniveau der unteren Hälfte der Bevölkerung in Nordamerika entspricht etwa der mittleren Gruppe von 40 Prozent in Europa und den obersten zehn Prozent in Süd- und Südost-Asien und ist erheblich höher als der ökologische Fussabdruck der obersten zehn Prozent in Subsahara-Afrika. Der Fussabdruck der obersten zehn Prozent in Nordamerika ist der bei weitem grösste weltweit und übertrifft den der folgenden obersten zehn Prozent in Ostasien um 70 Prozent. Die Verteilung der Emissionen in Nahen Osten und Nordafrika, Russland und Zentralasien ist ungefähr mit der in Europa vergleichbar, wenn auch mit einem grösseren Fussabdruck der obersten zehn Prozent.“
Nach einer Veröffentlichung von Lucas Chancel und Kollegen aus dem Jahr 2022 sehen die Zahlen für Deutschland so aus: Die untere Hälfte der Bevölkerung verursacht pro Kopf und Jahr 5,9 Tonnen, die mittlere Gruppe von 40 Prozent 12,2 Tonnen CO2. Die obersten zehn Prozent kommen auf durchschnittlich 34,1 Tonnen und das oberste Prozent auf 117,8 Tonnen, also zwanzigmal so viel pro Kopf wie die untere Hälfte.
All diese Zahlen zeigen, dass das Ziel des Pariser Klima-Abkommens, die Aufheizung der Erde möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, nur dann erreicht werden kann, wenn weltweit und in jedem einzelnen Land vor allem die Menschen mit den höchsten und hohen Einkommen in Zukunft die durch ihre Lebensweise verursachten CO2-Emissionen dramatisch verringern. Das wird bei aller notwendigen und möglichen Dekarbonisierung der Wirtschaft durch strukturelle Veränderungen nicht ohne Änderungen des persönlichen Konsumverhaltens gehen. Nicht nur die Verhältnisse müssen sich ändern, auch das Verhalten,besonders das Verhalten der Reichen und Super-Reichen.
III.
So wenig alle in gleicher Weise für die Aufheizung der Erde verantwortlich sind, so wenig haben alle in gleicher Weise unter den Folgen zu leiden. Das gilt innerhalb der Gesellschaften, vor allem aber im weltweiten Vergleich. Die Autoren des Berichts fassen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen so zusammen:
„Armut und Verletzbarkeit durch Klimagefährdung hängen zusammen und verstärken sich gegenseitig. Vielen Niedrig-Einkommen-Regionen drohen 30 Prozent und mehr Ertragsverluste in der Landwirtschaft als Folge der Klimaveränderung, was Armut und Ernährungsunsicherheit verstärkt.
Über 780 Millionen Menschen weltweit sind gegenwärtig dem kombinierten Risiko von Armut und schweren Überschwemmungen ausgesetzt, die meisten von ihnen leben in Entwicklungsländern.
Viele Länder im globalen Süden sind heute deutlich ärmer als sie ohne Klimaveränderung wären. Dieser Trend hält an und führt in manchen tropischen und subtropischen Ländern bis zum Ende des Jahrhunderts zu Einkommensverlusten von mehr als 80 Prozent..
Innerhalb von Ländern leiden die Armen unter grösseren Verlusten durch Klimaveränderung als die wohlhabenderen Gruppen. Die Einkommensverluste der untersten 40 Prozent in Niedrig- und Mittel-Einkommen-Ländern durch Klimagefährdungen liegen nach Schätzungen 70 Prozent höher als der Durchschnitt.“
Die Menschen mit den hohen und höchsten Einkommen sind also nicht nur weit überdurchschnittlich dafür verantwortlich, dass das Klima auf der Erde sich auf eine Weise verändert, die Leben gefährdet, sondern auch für die sozialen Folgen dieser Entwicklung verantwortlich, unter denen die Ärmsten der Armen weltweit und die Ärmeren in allen Gesellschaften besonders zu leiden haben. Deshalb machen die Autoren des Berichts über Klima-Ungleichheit Vorschläge, was verantwortungsbewusste Politik praktisch tun kann und tun sollte. Sie plädieren für Entscheidungen, die Klimapolitik und eine auf mehr soziale Gleichheit zielende Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik als Einheit zu begreifen.
Die Autoren haben ganz offensichtlich auch aus den Protesten der „Gelbwesten“ in Frankreich gelernt. Die französische Regierung hatte 2018 und 2019 mit ökologischer Begründung höhere Steuern auf Benzin und vor allem Diesel beschlossen, die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen weit stärker belasten als solche mit hohen und höchsten Einkommen. Die massiven Proteste hatten auch damit zu tun, dass Präsident Emmanuel Macron mit seiner Mehrheit im Parlament im Jahr davor die Vermögensteuer abgeschafft hatte. Entlastung für die Vermögenden und neue Belastungen für Leute mit niedrigen Einkommen, das wollten sich viele nicht gefallen lassen. Die Regierung hat daraufhin die Steuererhöhungen zurückgenommen.
Höhere Preise für Energie sind nach Auffassung fast aller Ökonomen ein wichtiges Instrument für die rationelle Erzeugung und Verwendung von Energie und für die möglichst schnelle Umstellung der gesamten Energieversorgung auf Energie aus erneuerbarer Quellen. In Deutschland wird die CO2-Abgabe in den nächsten Jahren deutlich steigen, was zu höheren Preisen für Benzin, Diesel und Heizenergie führen wird.
Lucas Chancel und sein Team halten wie die grosse Mehrheit der Ökonomen höhere Steuern oder Abgaben auf Energie grundsätzlich für ein geeignetes Instrument, weg von fossilen Energien zu kommen. Genauso deutlich sagen sie mit Hinweis auf Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre allerdings auch, dass das nur dann vertretbar und vernünftig ist, wenn die sozialen Folgen berücksichtigt werden:
„Eine der allgemeinen Ergebnisse dieser Forschung ist, dass jede Form von CO2-Besteuerung Teil eines umfassenden politischen Pakets sein sollte, zu dem eine Reform des Systems der Einkommensbesteuerung und der umweltschädlichen Subventionen gehört, damit die Bürger wieder Vertrauen in Steuergerechtigkeit gewinnen können. Die Abschaffung von Subventionen für fossile Energien ist eine andere Form von „CO2-Besteuerung“ und es gibt wachsende Evidenz, dass es für den Erfolg entscheidend darauf ankommt, die Verlierer zu kompensieren und ein gewisses Mass an Vertrauen in die Fähigkeit der Regierung, die dadurch gewonnenen Mittel fair zu verteilen.“
Als Beispiel für die erfolgreiche Kombination von Klimapolitik und sozialer Absicherung nennen die Autoren die schrittweise Abschaffung von Subventionen auf fossile Energieträger in Indonesien:
„Wenn sie begleitet wird von zielgerichteten Reformen für die ganze Bevölkerung (vor allem Krankenversicherung) und von besonderer Unterstützung für Haushalte mit niedrigen Einkommen muss die Erhöhung der Preise für Kraftstoffe nicht notwendigerweise zu Wohlfahrtsverlusten für die Armen führen. Gezielte Zahlungen sind ein weiteres Beispiel für ein effektives Instrument, Ungleichheiten bei den unmittelbaren Wirkungen Klima-bezogener Katastrophen zu verringern. Sie haben sich auch als geeignetes Mittel für eine Klima-resiliente Entwicklung erwiesen.“
Was die Dekarbonisierung der Energieversorgung angeht, machen Lucas Chancel und seine Kollegen konkrete Vorschläge, wie umwelt- und energiepolitische Entscheidungen kombiniert werden sollten mit gezielten Massnahmen für unterschiedliche soziale Gruppen.
Wenn es um die Dekarbonisierung des Energieangebots geht, halten sie eine aktive Industriepolitik mit öffentlichen Investitionen in erneuerbare Energien für notwendig.
Für die untere Hälfte der Einkommensbezieher müsse parallel die soziale Absicherung verbessert werden, auch mit höheren Leistungen für Beschäftigte, die unmittelbar betroffen sind.
Den mittleren 40 Prozent der Bevölkerung sollten ausserdem Anreize gegeben werden, in kohlenstoffarme Technik zu investieren, während Investitionen in fossile Energie verboten werden sollen.
Die obersten 10 Prozent bzw. das oberste Prozent der Einkommen soll die genannten zusätzlichen staatlichen Ausgaben finanzieren durch Vermögens- oder Unternehmenssteuern mit einem Umweltbelastungs-Zuschlag.
Zur Umstellung der Energienutzung in Gebäuden, im Verkehr und in der Industrie halten die Autoren für die untere Hälfte u.a. mehr öffentliche Verkehrsangebote für notwendig, die energetische Modernisierung von öffentlich geförderten Wohnungen und Direktzahlungen, um die steigende Preise für fossile Energie auszugleichen.
Für die mittleren 40 Prozent der Bevölkerung sehen sie zusätzlich strengere Regeln und höhere Steuern z.B. für SUV vor, aber auch finanzielle Unterstützung beim Kauf von Elektro-Fahrzeugen.
Die obersten 10 Prozent bzw. das oberste Prozent der Einkommen soll zusätzlich durch Vermögens- und Unternehmenssteuern mit einem Umweltbelastungs-Aufschlag zur Finanzierung des Gesamt-Pakets beitragen.
IV.
Zur Finanzierung aller Aufgaben im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung der Wirtschaft im eigenen Land und weltweit halten Lucas Chancel und seine Kollegen „tiefgreifende Veränderungen der internationalen und nationalen Steuerregime für notwendig, um die Progressivität des Steuersystems zu stärken und zu garantieren, dass die Akteure, die am meisten vom wirtschaftlichen Austausch profitieren, einen signifikanten Teil an Steuern bezahlen.
Zu diesem Zweck zeigen wir, dass relativ bescheidene progressive Steuern auf Vermögen jährlich hunderte von Milliarden US-Dollar erbringen können, weil die Vermögenskonzentration sehr hoch ist. Länder mit hohen Einkommen, die bereit sind zum globalen Fonds zum Ausgleich von Schäden und Verlusten („Loss and Damage-Fonds“) beizutragen und zur Finanzierung globaler Anpassungsmassnahmen, sollten mit solchen Steuern arbeiten. Eine Steuer von 1,5 Prozent für das 1,5 Grad-Ziel auf extrem hohe Einkommen (Personen mit einem Vermögen von über 100 Millionen US-Dollar) würde etwa 295 Milliarden US-Dollar jährlich erbringen, mehr als genug, um die derzeit bestehende Lücke zu füllen, von der das UN-Umweltprogramm berichtet…
…
Zusätzlich zur gründlichen Überprüfung des internationalen Steuersystems sollten die nationalen Steuersysteme in den Niedrig- und Mitteleinkommen-Ländern und auch in den Hocheinkommen-Ländern modernisiert werden. Vielen Ländern fehlen noch immer progressive Steuern auf Einkommen aus Kapitalvermögen und progressive Vermögenssteuern, die erhebliche Einnahmen erzielen können, um gefährdete Gruppen zu unterstützen, ohne das wirtschaftliche Wachstum oder die Mittelschicht zu treffen.“
V.
Der Bericht über Klima und soziale Ungleichheit der französischen Ökonomen kann und sollte Anstösse geben, die Umwelt- , Klima- und Energiepolitik endlich als wichtiges Thema einer grundlegenden Debatte zu sehen, die sich um die Frage dreht, wie wir in Zukunft leben wollen. Die grossen sozialen Unterschiede innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Ländern weltweit gefährden nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die internationale Solidarität, sie sind auch Gift für die Umwelt.
Wer richtige Antworten auf die ökologische Frage geben will, darf sich nicht vor der Einsicht drücken, dass es ohne soziale Umverteilung nicht geht. Das ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ohne sozialen Ausgleich, ohne weniger soziale Ungleichheit wird es keine demokratischen Mehrheiten geben für eine Politik, die die natürlichen Lebensgrundlagen erhält: durch die möglichst schnelle Umstellung der Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien und durch eine dramatische Verringerung der Nutzung nicht-erneuerbarer Rohstoffe.
Gerade alle, die auf höhere Preise für Energie und Rohstoffe als Innovationstreiber setzen, müssen sich ernsthaft mit den sozialen Folgen auseinandersetzen. Ob es ihnen passt oder nicht: Sie müssen einsehen, dass Umweltschutz und Umverteilung zwei Seiten einer Medaille sind. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.