Die große Politik legt eine Pause ein. Niemand weiß derzeit genau, wie es auf der Bühne der Bundesrepublik nach der Wahl weitergehen kann. Angela Merkel soll und will wieder Kanzlerin werden. Ihre CDU hat gerade etwas mehr als 26 % der Stimmen bei der Bundestagswahl erreicht, ihre Schwesterpartei nur gut 6 %. Das Ergebnis hat nicht zu größerer Innigkeit der Schwesterparteien beigetragen. Doch sie müssen zueinander finden, sich auf die politischen Ziele für die neue Legislaturperiode gemeinsam verständigen.
Wackelkandidat: Der CSU-Chef
Horst Seehofer hat von seiner CSU ein schweres Gepäck für seine Gespräche mit Angela Merkel in Berlin aufgelastet bekommen. Er kämpft um seinen Thron als CSU-Vorsitzender. Ohne Erfolg –etwa bei der Obergrenze für Migranten – wird er beim CSU-Parteitag im November als Chef arg ins Schleudern kommen oder sogar abgelöst. Merkels Kommentar nach dem Wahldesaster, sie habe nichts falsch gemacht und würde das „Weiter so“ pflegen, hat nicht nur ihre Freunde im Freistaat Bayern, sondern auch Teile der CDU überrascht oder verärgert. Nicht wenige lasten es vor allem ihrer Flüchtlingspolitik an, dass die AfD rechts der Union so viele Wähler gewinnen konnte. Weit über 60 % haben dieser Partei aus Frust und Enttäuschung ihre Stimmen gegeben.
Union ohne Profil
Die Popularität der Kanzlerin, die sehr hoch ist, konnte von ihren Wahlkampfhelfern aus dem Adenauer-Haus nicht auf die Schiene gebracht werden. Zudem hat sich die CDU zu einem Teil sozialdemokratisiert und zu einem anderen Teil der Mode des Zeitgeistes verschrieben, sodass ein scharfes Profil nicht mehr zu erkennen ist. Viele Konservative vermissen ein klares Koordinaten-System mit Werten, für die die Union überhaupt noch steht. Katholiken und Protestanten zweifeln mehr und mehr, ob das C im Namen der Partei noch irgend etwas beinhaltet. Schließlich waren außer der Kanzlerin kaum Leuchttürme in ihrer Unions-Ministerriege auszumachen.
Ihren Innenminister Thomas de Maizière machte Merkel gleich einen Kopf kleiner, als sie ihrer Allzweckwaffe Peter Altmeier mit der Migrationspolitik beauftragte. Ihre Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen war die unpopulärste Person bei den Soldaten der Bundeswehr, obwohl sie mit Kitas in Kasernen, Teilzeitdiensten und anderen Kinkerlitzchen innovativ sein wollte. Lediglich Wolfgang Schäuble zeigte als Finanzminister höchste Qualitäten in der Haushaltspolitik mit der „schwarzen Null“. Doch Schäuble wird in Zukunft nicht mehr Politik machen, sondern Politik ansagen – als Präsident des Bundestages.
Prügel für Volker Kauder
Bis zur Landtagswahl am 15. Oktober in Niedersachsen wird in Berlin wenig geschehen. Die SPD hat Andrea Nahles zur Fraktionsvorsitzenden gekürt. Möglicherweise wird sie bald auch Martin Schulz an der Spitze ihrer Partei ablösen. Volker Kauder, der supergetreue Gefolgsmann und Erfüllungsgehilfe von Angela Merkel führt weiter die CDU/ CSU-Fraktion; in dieses Amt wurde er allerdings nicht mehr mit überwältigender Mehrheit der Unionsabgeordneten gewählt. Mitte Oktober wird sich der Bundestag konstituieren.
Es wird wirklich spannend
Nach der Niedersachsen-Wahl wird es in der Bundesrepublik wirklich spannend. Denn bevor Koalitionsverhandlungen beginnen, wird es Sondierungsgespräche geben. Angela Merkel lädt dazu alle Spitzen der Parteien – jedoch nicht die Linken und die AfD – ein. Die Gretchenfrage wird jedoch sein, ob sie mit der FDP, den Grünen oder auch mit der SPD über gemeinsame Positionen, Vorstellungen und Ziele von CDU und CSU sondieren kann. Grundsätzlich sind drei Wege möglich: Erstens die Jamaika-Koalition, zweitens doch noch eine große Koalition – allerdings wohl ohne Merkel als Kanzlerin – oder drittens Neuwahlen, die jedoch weder die Union noch die SPD wollen und für die der Bundestag sich zuvor mit einer Zweidrittel-Mehrheit selbst auflösen müsste.
Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner
Die größte Wahrscheinlichkeit hat somit die Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen. Bis auf wenige Politikfelder liegen die Vorstellungen dieser 4 Parteien weit auseinander. Auf den ersten Blick kann es eine Verständigung in der Bildungs-, Forschungs- und Digitalisierungspolitik ohne allzu große Friktionen geben. In den Bereichen der Innen-, Flüchtlings-, Klima- und Energie-, Steuer-, Infrastruktur- und Verkehrspolitik sind derzeit mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten festzustellen. Der Weg bis zu einer Jamaika-Koalition wird also meilenweit sein und bis Ende diesen Jahres oder gar bis Anfang 2018 dauern. Geduld und Geschick sind von allen Seiten gefordert, um letztlich Kompromisse zu finden. Die Ergebnisse werden stets nur der „kleinste gemeinsame Nenner“ sein und die schwierigste Legislaturperiode seit Bestehen unserer Republik einläuten können. Mit den Zugeständnissen, die Angela Merkel den Koalitionspartnern machen muss, um Kanzlerin zu bleiben, wird sie das Profil der CDU gewiss nicht verbessern. Das dürfte in der Kanzler-Partei zu manchen Widerständen und Verdruss führen. Denn die AfD als Partei rechts von der Union sitzt der Union als Schreckgespenst, das noch größer werden könnte, fest im Nacken. Ob diese politische Quadratur des Kreises gelingt, muss abgewartet werden. Sicher ist das jedenfalls noch längst nicht. Sicher ist nur, dass unser Land sich auf instabilere politische Zeiten einrichten muss – und das in einer Phase, da große innen- und außenpolitische Herausforderungen zu meistern sind. Deutschland ist nicht länger der Hort der Stabilität!
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