Kai, wer? Wegner? Nie gehört. So kann man sich täuschen, wenn man jemanden unterschätzt. Bald wird der Mann mit den wenigen Haaren, den man als „König ohne Land“ verspottete, als den einsamen Kai, Regierender Bürgermeister von Berlin, der Hauptstadt der Republik, einer Weltstadt, wie sie sich selber gern sieht. Der Titel der Seite-3-Geschichte in der „Süddeutschen Zeitung“, sagt eigentlich alles: „Da kiekste, wa?“ Wegner wäre der erste CDU-Regierende seit Eberhard Diepgen, seit 2001. Das kann man schon mal eine Ewigkeit nennen. „Schon irre“, um weiter das angesehene Blatt aus der heimlichen Hauptstadt zu zitieren. Irre, dass ein Spandauer Versicherungskaufmann die Macht an der Spree übernehmen soll „in der Welt- und Partystadt Berlin.“
Dass die CDU die Wahl in der Hauptstadt gewonnen hatte, geschenkt. Habe ich auch gedacht, aber nie Kai Wegner im Roten Rathaus gesehen. Sondern Franziska Giffey, auch wenn ihre SPD ein miserables Wahlergebnis erzielt hatte: 18,4 Prozent der Stimmen, nur 53, wörtlich drei und fünfzig Stimmen lag die ehrwürdige Sozialdemokratie vor den Grünen, deren Spitzenkandidatin Bettina Jarasch auch gern Regierende(Ihr Traum) geworden wäre. Aber Giffey hat immerhin Regierungserfahrung, sie saß als Bundesfamilienministerin im Kabinett Merkel, ihr trauten viele-auch Journalisten, ich auch- die Nachfolge der Kanzlerin zu. Aber dann geriet die Dame in die Schlagzeilen wegen ihrer Doktorarbeit. Es half ihr nichts, dass sie beteuerte, sie habe ihre Dissertation nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt, will sagen, nicht absichtlich gemogelt. Es half ihr nichts, dass sie auf den akademischen Grad verzichtete. Von da ging es bergab mit Franziska Giffey, die von Angela Merkel ausdrücklich gewürdigt worden war. Frau Giffey war eine Hoffnungsträgerin der SPD sogar im Bund.
Aus Spandau ins Rote Rathaus
Noch einmal der Blick in die SZ, auf das Foto, das die Reportage schmückt, um das herum Autorin und Autor ihre Story geschrieben haben. Giffey in rotem Jackett ganz groß im seitlichen Abgang, lächelnd, den Raum füllend, elegant, dahinter, scheinbar sie beobachtend Kai Wegner, eher bescheiden. Wenn alles normal läuft, wird er bald allein auf dem Bild sein, Erster in Berlin und Giffey vielleicht eine wichtige Senatorin. Aber was heißt schon normal in einer Stadt wie Berlin?
Kai Wegner(50) ist Berliner durch und durch. Westberliner. Ja, das gibt es noch in dieser einst geteilten Stadt. Vom westlichen Rand Berlins kommt er, dort in Spandau wohnt Wegner noch immer. Dort hat er auch seine CDU-Karriere- darf man heute sagen-gestartet, seit 1989 Mitglied der Partei-war in der Schüler-Union, in der Jungen Union, Vorsitzender, CDU-Vize im Landesverband Berlin, Kreisvorsitzender der Christdemokraten, Generalsekretär der CDU Berlin, dann als Nachfolger von Monika Grütters CDU-Landeschef, Spitzenkandidat bei der Wahl. Zwischendurch saß er in der Bezirksverordnetenversammlung von Spandau, dann im Abgeordnetenhaus von Berlin und von 2005 bis 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Zusammengefasst: der Mann kennt also Politik in Berlin von ganz unten bis ziemlich weit oben, er kennt die Basis und all das andere. Wegner, Sohn eines Bauarbeiters und einer Einzelhandelskauffrau, ist gelernter Versicherungskaufmann. Und wen es interessiert: er hat seinen Wehrdienst geleistet, ist Fan des Bundesligisten Hertha BSC und Gründer des Hertha-Fan-Clubs im Bundestag. Er ist Vater von drei Kindern.
Wegner, Spandau, seine Laufbahn, der Fußball, das passt. Der Mann hebt nicht ab. Er steht mit beiden Beinen im Leben. Im Wahlkampf konnte man immer wieder über ihn lesen, dass er einer sei, der zuhöre. Der weiß, wo die Leute der Schuh drückt. Vielleicht war das der Kern seines Erfolgs, den ihm selbst seine Parteifreunde nicht zugetraut hatten. Jetzt, nach dem Wahlsieg und dem Angebot der sieggewohnten Berliner SPD mit Giffey, eine Koalition mit der CDU bilden zu wollen, ist Wegner stolz, dass es so gekommen ist. Jetzt könnte er sogar wählen, auswählen zwischen Giffey und den Grünen, was ihm viele Medien nahegelegt haben, weil sie die Hauptstadt-SPD als verbraucht beurteilen, als im Amt verschlissen. Das ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man so lange regiert hat wie die SPD. Man darf ja nicht vergessen, dass diese SPD mal die Partei in Berlin war, die diese Stadt geprägt hat, die Partei Willy Brandts.
Einst nahe bei Heinrich Lummer
Wegner, der Kümmerer, heißt es. Er sei nah dran an den Leuten, er sei ein Politiker, der nicht vom grünen Tisch aus Politik betreibe, sondern einer, der das Leben kennt. Das normale Leben eines normalen Menschen. Spandauer halt, keiner aus der schicken neuen Mitte oder dem teuren Zehlendorf. Wegner ist ein Konservativer, der einst für Heinrich Lummer Wahlkampf gemacht hat. Der war ein ziemlich rechter CDU-Mann, dem Dregger-Flügel zuzurechnen, also rechtsnational. Lummers Thesen waren mal seine: Deutschland den Deutschen. Kein Einwanderungsland, kein Doppelpass, kein Bodenrecht. Lummer warnte einst vor Überfremdung und erklärte mal in einem Interview, die „amerikanische Ostküste“ erzwinge den Bau des Holocaust-Mahnmals. Wegner, auf dieser Linie liegend, warb noch Anfang der 2000er Jahre „Für ein starkes Spandau. Demokratisch. Deutsch“. Damals kandidierte er für das Berliner Abgeordnetenhaus. Später ging Wegner auf Distanz zu Lummers rechtem Kurs, den er aber wegen seiner Bürgernähe schätzte. Zu Lummer ist noch zu sagen: Regierender Bürgermeister war damals Richard von Weizsäcker und der noble Herr ließ seinen umstrittenen Innensenator sogar im Amt, als dessen intime Affäre mit einer Agentin der Ostberliner Staatssicherheit dem Regierenden bekannt wurde.
Als Bundestagsabgeordneter hat Wegner sich inhaltlich auf eine Großstadtpartei zubewegt. Er war Großstadtbeauftragter der CDU und plädierte für die Ehe für alle. Seine Kritiker merken an, von Wegner seien bisher keine großen Würfe bekannt, was ja noch werden kann. Der Mann hat ja Spandau im Grunde nie verlassen. Also provinziell? Man sollte ihn nicht unterschätzen, das Amt kann den Politiker Wegner formen, weil es ihn fordert. Da muss er liefern als Regierender der Hauptstadt, die so gern Weltstadt-Niveau hätte, aber eben auch immer mal wieder ein großes Dorf geblieben ist. Sagt Wegner: „Kleine Leute haben die Partei groß gemacht.“ Der Satz könnte auch aus dem Mund eines Sozialdemokraten stammen.
Im Wahlkampf konnte man von Wegner auf Twitter das Motto lesen: „Du, Berlin, wir müssen reden. Du kannst so wunderbar sein-aber wie du regiert wirst, so kann es nicht bleiben. Berlin, wähl dich neu. Für ein Berlin, das für alle funktioniert.“ So zog Wegner in und durch den Wahlkampf, den er hart und heftig gegen die Konkurrenz führte und sich absetzte von SPD und Grünen, beinahe die Stadt spaltete. Wahlkampf eben, in dem er ein Bündnis mit den Grünen ausschloss und nachher dennoch mit ihnen darüber redete, ob man gemeinsam regieren könne. Wegner will, das hat er im Wahlkampf deutlich gemacht, frischen Wind in Berlin. Berlin soll wieder funktionieren, die Verwaltung zum Beispiel soll es wieder hinkriegen, im ersten Versuch eine Wahl zu organisieren, die nicht wiederholt werden muss. Berlin, eine Stadt, die in der Lage ist, mobil zu bleiben und dennoch den Klimawandel ins Zentrum der Verkehrspolitik zu stellen, damit die Stadt wieder lebens-und liebenswert wird. Eine Stadt, in der Wohnen wieder bezahlbar werden muss.
Hauptstadt des Mangels überall
Die Unzufriedenheit mit Rot-Rot-Grün in Berlin war groß. Straßen, Schule, Haushalt, Polizei, Feuerwehr, Sicherheit- überall Fragezeichen und Schwächen, manches desolat. Berlin, Hauptstadt des Durchwurschtelns, las ich, des Mangels überall. Kai Wegner betont: „Kein Mensch hat mir zugetraut, diese Berliner CDU zu befrieden.“ Man darf an den CDU-Bankenskandal erinnern und den Namen Landowsky erwähnen, Diepgens einstiger Freund. Daran wäre die Union in der Hauptstadt fast kaputt gegangen. „Niemand hat mir zugetraut, diese CDU zusammenzuführen“. Und Wegner fügt nicht ohne Stolz auf seine eigene Arbeit hinzu: „Ich glaube, noch nie in der Geschichte war die Berliner CDU über dreieinhalb Jahre so geeint.“
Schon irre. Kai Wegner hat nicht nur die Wahl gewonnen, er wird auch Regierender. Der Spandauer. Arbeiterkind. Da kiek ich.