„Geschichte wiederholt sich nicht!“, behaupten die Historiker. Trotzdem erlebt man so manches Déjà-vu, wenn man sich lange genug in der Parteilandschaft Deutschlands bewegt. Was vor Kurzem noch so behutsam formuliert wurde, um nicht den Eindruck einer brachialen Machtprobe zu erwecken, entpuppte sich sehr schnell als ausgewachsener, mit allen machtpolitischen Winkelzügen und Orchestrierung geführter Kampf um die Macht in der Union. Markus Söders beteuerte zwar, bei der Beziehung zwischen ihm und Armin Laschet handle es sich keinesfalls um eine konfliktbeladene „Männerfreundschaft“, wie einst zwischen dem legendären Rekord-Kanzler Helmut Kohl (CDU) und dem unvergessenen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Doch schon kurz darauf entpuppte sich Söders Satz als genauso wahrhaft, wie seine früher immer wiederholte Behauptung, sein Platz sei in Bayern.
Markus Söder hat seinen Führungsanspruch deutlich formuliert. Er will die Kanzlerkandidatur ohne Wenn und Aber. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der CSU-Vorsitzende bei Laschets offensichtlichster Schwachstelle an. Der neue CDU-Vorsitzende ist noch zu kurz im Amt, um sich in der Partei bereits wirklich etabliert zu haben.
Wie ein Verstärker wirkt dabei, die politische Gefechtslage in einem Superwahljahr. Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neues Abgeordnetenhaus gewählt und am 26. September die Landtage von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin. Für die CDU sind diese Bundesländer ohnehin ein schwieriges Terrain. Der „krönende“ Abschluss ist Bundestagswahl, die ebenfalls am 26. September stattfinden wird. Dabei wird erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik keine amtierende Bundeskanzlerin bzw. kein amtierender Kanzler antreten. Diese Gemengelage stärkt nicht nur den politischen Kampfeswillen. Die Wahltermine verursachen vielen – vor allem den Mandatsträgern – gemischte Gefühle. Wie immer in einem Wahljahr mit sinkenden Zustimmungswerten für die Union, grübeln sie über ihre persönlichen Wahlchancen. „Wie groß war der Stimmenabstand zu meinen Mitbewerbern beim letzten Mal?“ Diese bange Frage erzeugt nicht nur Fracksausen als Grundton in den Fraktionen. Es nährt auch den Wunsch nach dem „starken Mann“ an der Spitze, in dessen Windschatten man wieder ins Parlament einziehen kann.
Den vermuten viele „Parteifreunde“, die aktuellen Sympathie- und Zustimmungswerte vor Augen, in der CSU. Deshalb ist es keine Überraschung, dass jetzt Unterstützer aus dem Kreis der Bundestagsabgeordneten aufmarschieren und den Kanzlerkandidaten Markus Söder fordern. Auch die Junge Union, mit ihren deutlich reduzierten Mitgliederzahlen (1985 knapp 250.000 / aktuelle Angabe rund 100.000) lechzt nach einem starken Mann.
Der Chor der Mahner formiert sich, die vor den Gräben warnen, die wegen des rabiaten Stils der Auseinandersetzung zwischen Laschet und Söder aufbrechen werden. Der gute Vorsatz ist längst passé, das Verhältnis der beiden Schwesterparteien CDU und CSU mit der Entscheidung in der K-Frage nicht zu belasten, ist längst. Er wurde während der Diskussion in der gemeinsamen Bundestagsfraktion um den richtigen Kanzlerkandidaten mit ziemlich viel Geräusch über Bord geworfen. Geblieben ist ein beachtlicher Flurschaden. Dazu trug auch die Art und Weise bei, wie die CSU die obersten Führungsgremien der CDU und ihre Meinung in der Führungsfrage für irrelevant erklärten. Diese Herabsetzung bleibt lange im Gedächtnis der Betroffenen.
Der gesamte Vorgang erinnert an das Jahr 1979. Nachdem Helmut Kohl bei der Bundestagswahl 1976 mit 48 Prozent nur knapp gescheitert war, griff Franz Josef Strauß drei Jahre später brachial nach der Kanzlerkandidatur von CDU und CSU. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl wich einer direkten Konfrontation mit dem CSU-Chef aus. Er brachte Ernst Albrecht ins Spiel, den damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens. Die Entscheidung fiel in der gemeinsamen Bundestagsfraktion zugunsten des starken Mannes aus Bayern. Die Muster gleichen sich.
Das Verhältnis von CDU und CSU ist ohne Zweifel schon jetzt belastet. Egal ob sich Söder am Ende mit dem Hinweis auf seine guten Umfragewerte durchsetzt oder nicht – es bleiben Verletzungen. Die Entschlossenheit der Rivalen mündet nicht in der nötigen Geschlossenheit. Sie schwächt die Kampfkraft der beiden Unionsschwestern. CDU und CSU waren immer dann erfolgreich, wenn sie geschlossen in die Wahlkämpfe zogen. In meiner Zeit als Regierungssprecher unterhielt ich mich mit Helmut Kohl gerne über die Geschichte der Union – auch über die Zeit mit Franz Josef Strauß. Dabei kamen wir auch einmal auf die Ereignisse im Jahr 1979 und die Kanzlerkandidatur des CSU-Vorsitzenden zu sprechen. Es wurde mir klar, dass nicht nur Helmut Kohl, sondern auch die CDU als Partei, die Art und Weise der Kandidatenkür als Demütigung empfunden hatte. Die Folge war, dass sich die Wahlkampagne damals in weiten Teilen der Bundesrepublik dahinschleppte. Das hatte ich selbst erlebt. Strauß verlor die Bundestagswahl 1980. Zwei Jahre später löste Helmut Kohl Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und seine sozialliberale Koalition ab. Er regierte bis 1998. Die Geschichte rät: Von Helmut Kohl lernen, heißt siegen lernen!
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht am 19.4.2021 im Blog des Autors Hausmannskost