Einer wie Jürgen Klopp geht nicht einfach so, der hört nicht einfach so auf. Der setzt einen Punkt! In einer emotionalen Botschaft, die seine Fans in England und Dortmund und Mainz, eigentlich überall in Fußball-Deutschland zu Tränen rührte, verkündete er, dass er zum Saisonende beim FC Liverpool als Trainer aufhören werde. Der Mann, der wie kaum ein anderer für Fußball steht, der diesen Sport lebt, der den BVB aus seiner Talsohle geholt und ihn an die Spitze Europas gebracht hatte, der dann, als der Erfolg ausblieb, ging(oder hat man ihm nahelegt zu gehen?), der auf der Insel anheuerte, natürlich bei den Reds, wo denn sonst. Beim Altmeister aus der alten Industriestadt setzte er seine Erfolgsserie fort. Champions-League, englischer Meister, jetzt wieder Tabellenführer. Toll. Atemberaubend.
Der Mann ist einfach einmalig. Als er Trainer bei Mainz 05 war, wurde er in der Karnevalshochburg gefeiert, verehrt, wie man sonst nur Kicker verehrt wie Beckenbauer. Denn Jürgen Klopp war immer der Trainer fürs Volk, die Mannschaft, der fühlte sich nicht als herausgehobener Star, der war ein Star, aber er blieb auf dem Teppich. Er war eher der Trainer, der danach mit den Fans ein Bier getrunken hätte denn Champagner. Drum hoben sie ihn auf den Schild, in Mainz, in Dortmund, in Liverpool. Und natürlich war einer wie Jürgen Klopp immer der Favorit bei den Fans in Deutschland, wenn es mal nicht so lief mit der Nationalmannschaft. Dann forderten sie schnell den Jürgen Klopp als neuen Bundestrainer, wen sonst. Der hätte bei einer Abstimmung im Volk wahrscheinlich über 90 Prozent der Stimmen bekommen.
Ich habe ihn- der Blog-Leser weiß, dass ich Schalke-Fan bin trotz allem- auf Schalke erlebt in einer Zeit, als dort noch richtig Fußball gespielt wurde. Die Königsblauen gewannen gegen die Schwarzgelben glücklich und dank eines Elfmeters mit 2:1. In Erinnerung blieb mir der Trainer Klopp, der mit seinem BVB noch nicht auf der Überholspur war. Der rannte an der Linie rauf und runter, als wollte er den Pass selber schlagen, die Ecke selber treten oder den Freistoß oder die Flanke lieber selber reinköpfen. Dabei war der Fußballer Klopp eher Durchschnitt als aktiver Kicker. Aber der Mann ging mit dem Spiel, mit jeder Szene sprang oder hüpfte er, stand auf den Zehen, holte mit dem Fuß aus, rief Richtung Schiedsrichter, weil er meinte, der Pfeifenmann habe seinen BVB schlecht behandelt.
Ja, der konnte ganz schön toben, schreien, rufen. So ist das in dem Massensport. Wenn man flüstern würde, käme kein Signal an den Spieler, den man anfeuern will, zuschreien will, was er zu machen habe. Wohin er den Pass spielen möge oder in welche Lücke der gegnerischen Abwehr er stoßen möge. Klopp zu beobachten, das war immer filmreif, er stand so gut wie nie am Spielfeldrand an einer Stelle, er war stets Bewegung.
Dass einer wie er jetzt gesagt hat, er sei leer, habe keine Energie mehr, wenn man so will ausgebrannt, hat mich zwar zunächst überrascht. Aber ich kann es verstehen. Der Jürgen Klopp fuhr volle Pulle, gönnte sich keine Pause. Tank fast leer. Und natürlich traf es die Fans des alten Leidenschaftsvereins, die ihn lieben, den Jürgen, ihren Jürgen. Mit allem haben sie gerechnet, aber nicht damit, dass er geht. Das geht doch gar nicht. Aber acht Jahre Trainer beim FC Liverpool sind mehr als genug, selbst für einen wie Jürgen Klopp.
Seine halbstündige Videobotschaft war wie eine Predigt von einer Kanzel. Man lauschte den Worten, der Fan war ergriffen, getroffen die weltweite Anhängerschaft des Klubs. Die Entscheidung ist ihm schwer gefallen, man hörte das raus aus seiner Stimme, die ein wenig kippelig war. Er müsse seinen Reds etwas mitteilen. „I will leave the club at the end of the season.“ Rums. Ein Hammer, um in der Sportsprache zu bleiben, ein Wahnsinn. Mit Tränen in den Augen wird mancher Fan reagiert haben. Und Jürgen Klopp war auch im Verkünden des Abschieds bei den Fans. Er könne nachvollziehen, dass diese Nachricht für viele Menschen ein Schock sei. Wohl auch für ihn, der länger mit sich gerungen haben dürfte, wann er diese schwere Nachricht verkünden werde. Denn auch ihm fällt der Abschied schwer. Liverpool. Die haben ihn auf Händen getragen, in die Luft geworfen vor Freude, ihn besungen. Klopp und Liverpool, das war eins, wie damals am Borsigplatz in Dortmund. Niemand hätte gedacht, dass der Jürgen eines Tagen gehen werde. Wohin auch? Es gibt doch nichts Schöneres als Trainer in Liverpool. So dachten sie damals auch in der Revierstadt.
Ihm gehe die Energie aus. Sagte er mit schwerer Stimme. Ich habe ihm das abgenommen. Er könne wie ein Sportwagen zwar immer noch 180 fahren, aber die Tankfüllung gehe zur Neige. Er merke das. „Ich weiß, dass ich meine Arbeit nicht immer und immer weiter machen kann.“ Mit dem Entschluss, er meinte wohl danach gehe es ihm „absolut gut“, er wird erleichtert sein, es hinter sich gebracht zu haben. Wer geht schon gern freiwillig, wenn der Ball läuft und zwar in die richtige Richtung. Die meisten gehen, wenn es zu spät ist.
Jürgen Kopps Trainerlaufbahn begann 2001 in Mainz, dem Verein, bei dem auch Thomas Tuchel ausgebildet wurde. Seitdem läuft der Motor Klopps auf voller Tour. Nach seiner Kündigung in Dortmund gönnte er sich drei Monate Pause. Vor kurzem bestritt er als Trainer sein 1000. Spiel. Zu lange, betonte er und bat zugleich um Verständnis, habe er „kein normales Leben“ geführt. Den Klub, die Besitzer sitzen im feinen Boston, hat er im letzten November informiert. Übrigens: Als Klopp beim FC Liverpool anfing, stand der Klub sportlich auf der Kippe, um es höflich zu sagen, der einstige Meisterverein auf der Insel büßte seinen Erfolgs-Status an Manchester United ein. Doch dann kam Klopp mit seinem neuen Angriffsstil, mit Pressing und Gegenpressing und siehe da, der Erfolg kam zurück. Liverpool war wieder oben. Nach 30 Jahren wurde die Mannschaft wieder englischer Meister, gewann Liverpool die Champions-League. Er könne nicht auf drei Rädern fahren, das sei nicht erlaubt, und Beifahrer wolle er nicht sein.
Und nun, Jürgen Klopp? Was wird er machen, wo wird er Trainer? Mancher Coach wird zittern, weil jeder Verein, der es sich leisten kann und etwas auf sich hält, der den Erfolg will, wird Klopp wollen. Der FC Bayern, Real Madrid, Juventus Turin. Paris? Die deutsche Nationalmannschaft? Wer weiß? Dass er ganz aufhören wird, kann man sich nicht vorstellen. Fußball ohne Jürgen Klopp, ohne den Mann an der Seitenlinie, fuchtelnd und rufend, mit rotem Kopf. Das geht eigentlich gar nicht. Kloppo ist doch erst 56 Jahre alt. Abwarten. Nie hat er nicht gesagt, nur auf die Insel werde er nicht zurück gehen. Aber in Europa, oder in Deutschland? Die Reds werden ihm nachweinen und ihm hinterhersingen: You´ll never walk alone. Der Song steht in ihrem Vereinswappen seit der Zuschauerkatastrophe im Jahre 1989 in Sheffield, bei der beim Halbfinalspiel zwischen Liverpool und Nottingham Forest 97 Liverpool-Fans ums Leben kamen und 766 Fans verletzt wurden. Eine der größten Unglücke in der Geschichte des Fußballs überhaupt.
Bildquelle: Tim Reckmann, flickr, CC BY-NC 2.0 DEED