Leutnant Josef Zürndorfer stürzte 1915, der Erste Weltkrieg dauerte gerade mal ein Jahr, mit seinem Flugzeug ab. In seinem Testament fand man folgende Aufzeichnung: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten.“ Die Begeisterung über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges teilten ja viele Deutsche und diejenigen jüdischen Glaubens sahen in der Mitwirkung dieses grauenvollen Krieges ihre Chance, auf dem Schlachtfeld endlich die Anerkennung in der Gesellschaft des Reiches zu erhalten, die man ihnen im Grunde immer wieder verwehrt hatte. Diese Geschichte jüdischer Soldaten in den deutschsprachigen Armeen ist das Thema eines Buches von Michael Berger, selber Berufsoffizier: „Für Kaiser, Reich und Vaterland“.
Die jüdischen Kriegsteilnehmer boten mit ihrem Mut und Einsatz alles auf, opferten sogar ihr Leben, es half ihnen später nicht. Sie landeten, auch wenn sie im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz verliehen bekommen hatten, im KZ Auschwitz und wurden wie andere vergast. Als Bürger zweiter Klasse und noch weniger wurden Deutsche jüdischen Glaubens im Dienst behandelt.
„Alle Bewohner des Staates sind geborene Verteidiger desselben“. Große Worte eines großen Deutschen, Gerhard von Scharnhorst, preußischer General und Leiter der preußischen Militär-Reorganisationskommission. Er begründete 1807 mit diesem Satz die allgemeine Wehrpflicht. Und damit wurden die Pflichten eben verteilt auf alle Stände und blieben nicht mehr nur dem Adel vorbehalten. Aber 1807 war auch die Zeit, da Preußen und die anderen Staaten jeden Bürger brauchten, um sich wenige Jahre später in den Befreiungskriegen von der napoleonischen Herrschaft zu befreien.
Nationale Begeisterung für den Krieg
Berger gelingt es in seinem Buch, die nationale Begeisterung der Deutschen jüdischen Glaubens aufzuspüren und sie schriftlich zu belegen. Er spricht, und so war das damals, von der Dankespflicht, wie sie die Juden quasi als Entgelt für die Verbesserung ihrer rechtlichen Lage empfanden. Ja, er spricht auch vom Stolz der jüdischen Soldaten und ihrer Familien, dass sie als gleichberechtigte Soldaten in den Krieg gegen den französischen Eroberer ziehen durften, ja durften, so sahen das die Menschen und trugen hoch erhobenen Hauptes die Waffen für ihr Vaterland. Tausende verloren ihr Leben.
Gehen wir an den Beginn des Krieges zurück, als Kaiser Wilhelm II im August 1914 erklärt hatte, er kenne keine Parteien mehr und auch keine Konfessionen, sondern nur noch Deutsche. Da glaubten auch die Deutschen jüdischen Glaubens an ihre Chance. So veröffentlichte kurz darauf der „Reichsverein der Deutschen Juden und die Zionistische Vereinigung für Deutschland“ folgenden Aufruf: „Deutsche Juden! In dieser Stunde gilt es für uns aufs Neue zu zeigen, dass wir stammesstolzen Juden zu den besten des Vaterlandes gehören. Der Adel unserer viertausendjährigen Geschichte verpflichtet. Wir erwarten, dass unsere Jugend freudigen Herzens zu den Fahnen eilt.“
Und, was den deutschen Juden noch im 19.Jahrundert verweigert worden, gelang ihnen zumindest in den ersten beiden Kriegsjahren, nämlich Offiziere zu werden. In einer vom Militär wesentlich geprägten Gesellschaft spielte ein solcher Aufstieg eine große Rolle, man war anerkannt, wenn man in der entsprechenden Uniform auftreten konnte. Noch in der Zeit vor 1914 war es unter den 30000 jüdischen Freiwilligen im preußischen Heer niemandem gelungen, Reserveoffizier zu werden.
Erst geehrt, dann in Auschwitz vergast
Rund 100000 jüdische Soldaten zogen in diesen Krieg, der jüngste war ein Königsberger namens Eugen Scheyer, der sich mit 14 Jahren gemeldet hatte und schon im November starb. Auch Feldrabbiner gingen an die Front, darunter der Rabbiner Dr. Martin Salomonski, 1916 bis 1918 Rabbiner im deutschen Heer, 1917 mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, 1944 in Auschwitz ermordet. Bezeichnend für den Patriotismus der deutschen Juden und auch der Rabbiner ein Wort von Salomonski in der Schrift „Jüdische Seelsorge an der Westfront“: „ Mögen einzelne, mögen Tausende fallen, Deutschland wird leben, Deutschland muss leben! Amen!“
Gleichwohl, die Antisemiten und Nationalsozialisten waren längst dabei, die zunehmenden Probleme des deutschen Heeres im Krieg auf die Juden abzuwälzen, ihnen die Schuld an der sich abzeichnenden Niederlage eines Heeres zu geben, das angeblich im Feld unbesiegt gewesen war. Und so kam es im Oktober 2016 zur Judenzählung, um deren Einsatz an der Front für das Vaterland anzuzweifeln. Diese Diskriminierung traf die Juden mitten ins Herz, wie ein Betroffener sich empört: „Pfui Teufel, dazu hält man also für sein Land den Schädel hin.“
Dabei waren sie, wenn man Golo Mann, dem Historiker folgt, urdeutsch, „diese jüdischen Kaufleute, Gelehrten, Ärzte, diese jüdischen Kriegsfreiwilligen von 1914 bis 1917- es gab nichts deutscheres.“ Die Zählung, deren Ergebnisse nie veröffentlicht wurden, hätte belegen können, dass sehr viele Deutsche jüdischen Glaubens an der Front kämpften und dass jeder sechste dieser Soldaten, insgesamt 12000, für das Vaterland sein Leben ließ.
Juden dienen in der Bundeswehr
Juden in Deutschland, Juden im preußischen Heer, als Rabbiner, als Soldaten, wie sie behandelt wurden, nicht aufsteigen durften, wie man versuchte, sie zu isolieren, wie sie von den Nazis verfolgt wurden, obwohl sie wie Leo Löwenstein auf ihren Kampfeinsatz im Ersten Weltkrieg-ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse- hinweisen konnten, auf Erfindungen stolz waren, die Löwenstein dem Staat geschenkt hatte, was die Nazis nicht daran hinderte, ihn in das KZ Theresienstadt zu deportieren- das Buch von Berger gibt darüber an vielen Stellen Aufschluss.
Am Ende blickt der Autor auf die Bundeswehr von heute zurück, in der rund 250 Soldaten jüdischen Glaubens dienen. Nicht einfach, wenn man den Massenmord der Nazis an den Juden bedenkt. Der erste jüdische Soldat in der Bundeswehr war Michael Fürst, der 1966 seinen Dienst antrat, freiwillig, weil Kinder von Verfolgten des Nazi-Regimes freigestellt waren.
Die Bundeswehr heute wurde und wird geprägt von Demokraten, wie zum Beispiel dem viel zu früh gestorbenen einstigen Bundesverteidigungsminister Dr. Peter Struck(SPD), dem die damalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, die Bernhard-Weiß-Medaille des Bundes jüdischer Soldaten überreichte und seine Verdienste um die Interessen jüdischer Soldaten dabei würdigte. Frau Knobloch erwähnte in ihrer Rede Strucks energisches Vorgehen gegen Rechtsradikale. So habe der Minister einst General Günzel „aus dem Dienst entfernt“ und damit gezeigt, „dass Rechtsradikale in der Armee eines demokratischen Landes nichts verloren haben“. Struck habe damals betont, dass die Versetzung Günzels in den Ruhestand „keine ehrenhafte Entlassung“ sei und damit deutlich gemacht, dass „Antisemiten keine Ehre gebührt“.
Struck habe darüber hinaus alle belasteten Namen aus der Bundeswehr entfernen lassen, darunter beim Jagdgeschwader 74 in Neuburg an der Donau, das nach dem Wehrmachtssoldaten Werner Mölders benannt gewesen war. Es sei schlichtweg nicht vereinbar gewesen, so Frau Knobloch, „Jagdgeschwader oder andere Bundeswehreinrichtungen nach Personen zu benennen, die nachweislich mit den Nationalsozialisten sympathisierten und kollaborierten“. Das sei ein „Hohn für die jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg wie für diejenigen jüdischen Bürger, die heute an der Waffe dienten“. Knobloch würdigte hierbei, dass Struck diese Entscheidung gegen viele Wiederstände getroffen habe, Dutzende Bundeswehrgenerale hätten damals gegen diesen Beschluss des Ministers protestiert.
Bergers Buch ist ein wichtiges Lese- und Lehrbuch über die deutsche Geschichte.
Michael Berger. Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. 2015. Orell Füssli Verlag AG, Zürich. 352 Seiten. 24,95 Euro.
Bildquelle: Orell Füssli Verlag
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