Joseph Conrad wurde 1857 in Polen geboren und starb am 3. August 1924. Bereits mit 16 Jahren reiste er nach Marseille und heuerte auf einem französischen Schiff an. Nach 20 Jahren Seefahrt siedelte er sich schließlich in England an und erhielt dort die britische Staatsbürgerschaft.
Die Novelle Herz der Finsternis, mit der er Weltruhm erlangte, schrieb er 1899; etwa 10 Jahre nachdem er den Kongo besucht hatte. Sie trägt unzweifelhaft autobiographische Züge, denn Conrad selbst hatte eine Zeitlang das Kommando über einen britischen Flussdampfer auf dem Kongo. Schonungslos verarbeitet Conrad in dem Buch die Zustände, die er in Afrika selber angetroffen hat. Unter dem Schutz der belgischen Kolonialmacht, beutete die Handelsgesellschaft das Land aus. Rassismus war an der Tagesordnung. Afrikaner galten als Menschen zweiter oder gar dritter Klasse.
Es scheint, dass er sich damit von einem Alptraum zu befreien versucht hat. Der Alptraum: die belgische Kolonialisierung des Kongo, durch das dieses in eine Art riesiges Konzentrationslager verwandelt wurde. Conrad hat in seinem Tagebuch notiert, er habe die Realität dessen, was er erlebt hat, nur wenig überzeichnet. Trotz des dramatischen Inhalts schildert er das grausame Geschehen ganz unaufgeregt, nahezu dokumentarisch, ohne auf Wirkung bedachte Ausschmückungen, deren es auch nicht bedarf. Gleichwohl laufen die Ereignisse wie ein Film ab, der dem Verfasser die Bilder des Erlebten noch einmal wie eine traumatische, mystische Bilderfolge vor Augen führt; Bilder, die er nicht loszuwerden scheint. So ist das Buch Erinnerungs- und Trauerarbeit in einem. Dazu ein Textbeispiel:
Es gab Augenblicke, wo einen die eigene Vergangenheit überfiel, wie das bisweilen geschieht, wenn man keine Zeit für sich selbst erübrigen kann, aber sie kam in Gestalt eines atemlosen, lärmigen Traums, an den man sich inmitten der überwältigenden Wirklichkeit dieser Welt aus Pflanzen, Wasser und großer Stille mit Verwunderung erinnert. Mit Frieden hatte dieses Stilleben allerdings nicht das geringste zu tun. Es war die Stille einer unversöhnlichen Macht, die über einem unerforschlichen Vorhaben brütete, als sinne sie auf Rache. Später gewöhnte ich mich daran und nahm das alles überhaupt nicht mehr wahr; dazu blieb mir keine Zeit. Ich musste sehen, dass ich das Fahrwasser nicht verfehlte…Wenn man sich mit solchen Dingen befassen muß, dann verflüchtigt sich die wahre Wirklichkeit. Die innere Wahrheit bleibt einem verborgen – zum Glück, sage ich, zum Glück. Aber ich spürte sie trotz alledem; oft hatte ich das Gefühl, bei meinem affenartigen Tun und Treiben beobachtet zu werden von dieser geheimnisvoll lauernden Macht, genau wie sie euch beobachtet, während ihr auf dem hohen Seil eure Vorstellung gebt.
Der Untertitel der Novelle lautet: Eine Reise ins Innere der menschlichen Seele. Damit wird deutlich: es geht Conrad nicht nur darum, die realen Gewaltexzesse darzustellen. Er will gleichzeitig die Abgründe der menschlichen Seele, des Unbewussten, des Trieblebens ausloten und was dabei zutage gefördert wird, lässt ihn daran zweifeln, dass die Schöpfung auf ein ethisches Ziel hin ausgerichtet ist.
Wer immer meint, moralisierend auf der Überlegenheit der „westlichen Werte“ beharren zu müssen, sollte die Geschichte des Kolonialismus nicht verschweigen, auf der ein erheblicher Anteil des Reichtums nahezu aller westlichen Länder beruht.
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