Der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel warnt vor „chaotischen“ Verhältnissen beim Ausstieg aus Braun- und Steinkohle und drängt auf einen breiten Konsens. Es müsse vermieden werden, dass sich „die Unternehmen gegenseitig kannibalisieren“, sagte Remmel im Interview mit dem Blog der Republik. „Es ist im nationalen Interesse, dass keiner der großen Energieversorger Schaden nimmt“, sagte Remmel unter anderem mit Blick auf die Sicherheit tausender Arbeitsplätze. Er rechnet mit einem solchen Konsens erst nach der Bundestagswahl. „Bis dahin hält jeder seine Trümpfe unterm Tisch.“
In NRW finde der Ausstieg bereits statt, hob Remmel unter Hinweis auf die Verkleinerung von Garzweiler und das Abschalten mehrerer Kraftwerke hervor. Ziel sei der geordnete Ausstieg aus allen Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken. Die industrielle Zukunft des Landes müsse „umweltfreundlich, klimafreundlich und CO2-arm“ sein und hier qualifizierte Arbeitsplätze sichern. Da habe NRW, das Industrieland bleiben werde, seine Stärken und innovatives Potenzial. Der Minister nannte unter anderem die Hochschulen Dortmund und Aachen. Von dort, und nicht etwa aus den Automobilkonzernen, stamme die Entwicklung des Elektroautos Streetscooter, sagte Remmel. „Die deutsche Automobilindustrie muss sich in diese Richtung bewegen, sonst sieht sie bald nur noch die Rücklichter.“
In China und Indien sei das Elektrofahrzeug auf dem Vormarsch, „ich finde, wir brauchen das auch.“ Auch unter Umweltgesichtspunkten sei das emissionsfreie Auto notwendig, betonte Remmel, der sich „jeden Tag schwarz ärgert“ , dass die Dieselfahrer betrogen wurden im Vertrauen auf einen guten Autokauf und über die „Schande, dass das in Amerika festgestellt wurde“.
Als Verbraucherminister fordert Remmel eine Kennzeichnungspflicht für Fleisch. Wie bei den Eiern müsse für den Kunden auf Anhieb erkennbar sein, ob das Fleisch aus biologischer, nachhaltiger oder herkömmlicher Produktion stamme. „3,30 Euro für das Kilo Schweinefleisch – das kann nicht gutgehen, Landwirte müssen von ihrer Arbeit leben können“, sagte Remmel und fügte hinzu: „Das geht zu Lasten der Tiere, der Umwelt und der Menschen.“ Die Verbraucher seien Untersuchungen zufolge bereit, sechs bis sieben Euro für ein Kilogramm Schweinefleisch zu bezahlen, wenn das Tierwohl bei der Haltung beachtet werde.
Die Massentierhaltung sei unwürding und beeinträchtige die Grundwasserqualität, erläuterte der Minister, der ein „Regelungsdefizit“ einräumte und den Bund auf den Erlass einer Düngeverordnung drängte. „Wir brauchen das Bundesrecht um handeln zu können“, sagte der Grünen-Politiker und kritisierte, dass der Bund seit Jahren ankündige, aber nicht umsetze. „Das ist wie in dem alten Film „Und täglich grüßt das Murmeltier.“ Im Münsterland kommen, so der Minister, auf zwei Millionen Menschen sechs Millionen Schweine. 40 Prozent des Grundwassers seien in einem schlechten Zustand, und wenn sofort gehandelt werde, würde es zehn bis fünfzehn Jahre dauern, ehe die Wasserqualität sich entscheidend gebessert hätte.
Remmel fordert eine Gülleverordnung nach niederländischem Vorbild. „Wir müssen mindestens die gleichen Standards haben“, sagte er, „sonst kommt noch mehr Gülle aus Holland auf unsere Äcker.“ Eine „Mitverantwortung“ für die Wasserqualität wies Remmel auch der chemischen und der Pharmaindustrie zu. 117000 Tonnen Pflanzenschutzmittel im Jahr seien „viel zu viel“, kritisierte er und wies auf einen „Cocktail“ von medizinischen Rückständen hin. Mit der alternden Gesellschaft wanderten zunehmend „Antibiotika, Demenzmittel und Gelenksalben“ ins Abwasser.
Optimistisch zeigte sich der grüne Minister vor der Landtagswahl im Mai. „Wir regieren das Land gut“, sagte Remmel und hob die „Augenhöhe“ in der Koalition zwischen Grünen und SPD hervor. Zwar habe Rot-Grün derzeit in Umfragen keine Mehrheit, aber er setze auf „den Wahlkampf und die Zuspitzung“. Die Grünen stünden für die „Zukunftsoptionen und die notwendigen ökologisch orientierten Veränderungen“, sagte Remmel. „Das ist unser Markenkern, daran arbeiten wir“, fügte er hinzu, und: „Am liebsten mit der SPD.“
Das Gespräch mit Johannes Remmel führten: Alfons Pieper, Carolin Bunge, Christina Schröder, Petra Kappe, Siegfried Gendries und Uwe Pöhls