Warum ist das Thema wichtig?
Erstens – ganz einfach: Weil Medien maßgeblich unsere Meinung über die Welt, über die Politik, über Parteien, Regierung, über die Wirtschaft, die Umwelt oder das Klima beeinflussen. Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir maßgeblich durch Massenmedien.
Zweitens: Weil die Vielfalt der Meinungen in der öffentlichen Debatte eine Bedingung für einen offenen Meinungsbildungsprozess und damit eine Grundvoraussetzung für Vernunft – wohlgemerkt nicht für Wahrheit oder Richtigkeit – bei politischen Entscheidungsfindungen ist.
Drittens: Weil das Vertrauen in die Medien ganz eng mit dem Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie zusammenhängt. Das Misstrauen gegenüber Medien ist besonders ausgeprägt bei denjenigen Menschen, die Wahlenthaltung üben oder AfD wählen. Menschen, die der Politik kritisch gegenüber stehen, vertrauen auch den etablierten Medien nicht, weil sie ein Zusammenspiel zwischen Politik und Medien vermuten. (Matthias Kohring)
Die Sorge um den Zustand der Medienlandschaft ist also gleichzeitig eine Sorge um den Zustand unserer demokratischen Kultur.
Das Schlagwort „Lügenpresse ist problematisch, falsch, ja gefährlich
„Lügenpresse“ steht in der Überschrift in Anführungszeichen, es ist es mir ein Anliegen, mich von diesem Begriff zu distanzieren:
Ich halte dieses Schlagwort für problematisch, falsch, ja sogar gefährlich.
Problematisch halte ich dieses Schlagwort, weil in dem Vorwurf der „Lügenpresse“ die Behauptung mitschwingt, dass man selbst im Besitz der Wahrheit ist und dass es gleichzeitig eine bestimmbare Macht gebe, die die Wahrheit zu unterdrücken versucht. Wer eine „Gleichschaltung“ der Leitmedien beklagt, müsste auch sagen können, wer den „Schalter“ bedient.
Die pauschale und undifferenzierte Kritik an „den“ Medien halte ich zudem für falsch, weil damit eine notwendige Medienkritik eher verhindert oder behindert wird. Mit Beschimpfungen macht es nämlich den etablierten Medien zu leicht, berechtigte sachliche Kritik abzuwehren und die dringend notwendige Mediendebatte abzublocken. Gerade auch die „Vierte Gewalt“, als die sich die Medien gerne verstehen, muss sich der öffentlichen Kritik stellen.
Gefährlich halte ich dieses Schlagwort deshalb, weil man sich durch diesen pauschalen, historisch vorbelasteten Kampfbegriff in die Nähe einer rechtspopulistischen, jedenfalls intoleranten und antiaufklärerischen politischen Bewegung begibt.
„Lügenpresse“ diente auch schon den Nazis zur pauschalen Diffamierung der angeblich vom „Weltjudentum“ gesteuerten Journaille.
Ich verstehe mich selbst als Medienkritiker und Zweifler an der Mainstream-Medienberichterstatter, aber ich bin den etablierten Medien gegenüber nicht feindselig, wie es viele derjenigen sind, die auf ihren Umzügen „Lügenpresse“ skandieren und Empörung und Ressentiments gegen die etablierten Medien schüren.
Wer sich – wie ich – gegen das Schlagwort der „Lügenpresse“ wendet, will damit unsere Leitmedien ja nicht umgekehrt als „Wahrheitspresse“ verteidigen.
Eingrenzung des Themas
Ich muss Ihnen gleich zu Anfang mehrere gravierende Mängel meines Textes einräumen:
– Ich müsste ausführlich darstellen, wo und wie – nach meiner Meinung – die etablierten Medien versagen. Das wäre eine unendliche Geschichte.
– Ich müsste ihnen ein umfassenderes Bild über die Ergebnisse der Medienforschung hinsichtlich der Mediennutzung und vor allem auch des Vertrauens in die Medien zeichnen. Das würde jedoch einen eigenen Beitrag verlangen.
– Fairerweise müsste man die Gründe für das Versagen des Journalismus darstellen, bevor ich auf unser heutiges Kernthema zu sprechen komme, nämlich ob das Internet die etablierten Medien ergänzen oder ersetzen kann.
Ich beschränke mich im nachfolgenden Text bei den genannten Defiziten auf ein paar Stichworte beschränken.
Einige Beispiele für das Versagen der etablierten Medien
Zunächst nur einige wenige Hinweise darauf, wo unsere etablierten Medien kein realistisches Bild der Wirklichkeit gezeichnet oder einseitig berichtet, Partei für die Eliten oder den sog. Westen ergriffen oder schlicht versagt haben.
– Kaum ein deutsches Medium hat z.B. mit dem Brexit oder mit einem Wahlsieg von Donald Trump gerechnet, noch am Wahlabend galt für das deutsche Fernsehen der Wahlsieg Hilary Clintons als sicher. Die allermeisten Medien hatten offenbar bei ihrer wichtigsten Aufgabe versagt, nämlich die Wirklichkeit abzubilden.
– Über die Berichterstattung über die Ukraine-Krise im Ersten Programm urteilte selbst der sonst so zurückhaltende Programmbeirat der ARD, sie habe „teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit“ hinterlassen. Man hätte über die Faktoren berichten müssen, „die ursächlich am Entstehen der Krise waren“.
– Nach einer Umfrage des NDR-Medienmagazins ZAPP hatten 63 Prozent der Befragten wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien.
– Einem eklatanten Versagen der gesamten Medienlandschaft ist die Otto-Brenner-Stiftung in einer Studie über die Berichterstattung von FAZ, HB, FTD, taz und der Deutschen Presseagentur – dpa – über 10 Jahre bis zur Finanzkrise 2008 nachgegangen.
Das Fazit der Studie lautet:
„Der tagesaktuelle Wirtschaftsjournalismus stand dem globalen Finanzmarkt gegenüber wie ein ergrauter Stadtarchivar dem ersten Computer mit einer Mischung aus Ignoranz, Bewunderung, ohne Wissen, wie er funktioniert, ohne Ahnung von den folgenreichen Zusammenhängen, die sich aufbauen; im Zweifel schloss man sich der vorherrschenden Meinung an“.
Bis heute gab es keine Aufarbeitung des Versagens. Im Gegenteil der Bankenskandal wurde zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet. Dabei kosteten die Bankenrettung, der Rückgang der Staatseinnahmen und die Konjunkturpakete nach Schätzungen allein den deutschen Steuerzahler zwischen 187 und 236 Milliarden Euro.
– Es gab nach der Finanzkrise in den meisten Medien ein regelrechtes Griechen-Bashing, anlässlich der „Rettungsschirme“ für die Griechen. In Wahrheit wurden nicht die Griechen, sondern hauptsächlich die europäischen Gläubigerbanken gerettet.
– Es gab seit über 10 Jahren Warnungen der Hilfsorganisationen über die Lage in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern des Iraks und Syriens. (In die Türkei sind 3,4 Millionen Menschen geflüchtet, in den Libanon 1,4 Millionen, das ist ein Viertel der Bevölkerung) Das war für die „Wachhunde“, als die sich die Medien gerne sehen, kein Thema.
Es gab auch keine Warnrufe als die Bundesregierung 2014 – also ein Jahr bevor sich die Flüchtlinge nach Europa aufmachten – die Mittel für UN-HCR, die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, um 40% gekürzt hat.
Nach der Flüchtlingskrise 2015 haben sich die „sogenannten Mainstreammedien“ zunächst wiederum einhellig hinter der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin versammelt.
– Der investigative Journalismus hat auch bei der Aufklärung der Volkswagen-Abgasaffäre versagt. Deutsche Reporter haben davon nur Kenntnis bekommen, weil es Recherchen in den USA gab.
– Die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds – dem NSU – lief jahrelang unter der Schlagzeile „Dönermorde“. große Teile der medialen Berichterstattung der Bis auf wenige Ausnahmen folgten sehr große Teile der medialen Berichterstattung der Logik und den Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden. Medien haben mit zur Ausgrenzung der Opfer beigetragen, Angehörige stigmatisiert und sich teilweise selbst mit „umfangreichen Spekulationen“ an der Tätersuche beteiligt.
– Man könnte noch weitere zahllose Beispiele nennen, bei denen sich Medien nicht als neutrale Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch begleitet und hinterfragt haben, sondern der Informationsjournalismus – jedenfalls in seinen Hauptströmungen – die Sicht und die Losungen der politischen Eliten übernommen haben.
Einige Ursachen für den Qualitätsverlust der Medien
Hinter dem Versagen der Medien steckt nicht etwa eine Verschwörung, es gibt Strukturen, Machtverhältnisse, oft auch einen Mangel an Haltung oder eine unreflektierte Anpassung an das verengte Denkspektrum des Mainstreams (meint Stephan Hebel).
Ohne Zweifel gibt es in den deutschen Medien, in Zeitungen, Zeitschriften und in den öffentlich-rechtlichen Medien des Öfteren sehr informative und aufschlussreiche Beiträge. Aber diese Beiträge bestimmen nicht das Gesamtbild der deutschen Medienlandschaft.
Zu den Ursachen des Qualitätsverlusts oder gar Versagens der Medien auch nur ein paar Stichworte:
– Zu beklagen ist der Ausfall von früher einmal einigermaßen kritischen Medien wie etwa der Frankfurter Rundschau oder der Financial Times Deutschland – die einfach eingestellt wurde – aber auch der Verlust der Wächterrolle, die etwa der Stern zu Henri Nannens oder der Spiegel zu Rudolf Augsteins Zeiten einnahmen.
– Die prägende Kraft von einigen wenigen Medien, an vorderster Front die Bild-Zeitung.
– Immer schlechter bezahlte und gestresstere Journalisten stehen unter dem Druck von immer besser ausgestatteten PR-Abteilungen der Wirtschaft, der Politik und von Lobbyisten. In Deutschland stehen 30 000 Politik- und Wirtschaftsjournalisten bereits 15 000 bis 18 000 PR-Leuten gegenüber, schätzt der Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller.
– 80 % der Zeitungsinhalte beruhen auf Ideen und Initiativen von PR-Agenturen, 62% von den Regierungen (Stefan Schulz, Redaktionsschluss, München 2016, S. 214)
– Unternehmen können sogar redaktionelle Berichterstattung kaufen (Fritz Wolf, OBS Arbeitsheft 84).
– Alle maßgeblichen Medien einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender sind in die neoliberal geprägte Meinungsmache eingebunden. (Vgl. Uwe Krüger, Mainstream).
– „Dagegenhalten“ macht Arbeit, Informationsbeschaffung ist aufwendig, Ärger mit Vorgesetzten oder mit Mächtigen. Ulrike Herrmann, taz, nennt das „implizite Korruption“. Wer den Mächtigen nach dem Maul schreibt, erhält bessere Einladungen, höheren Honorare, er gehört schlicht dazu.
– Eine Studie der Uni Leipzig in deren Rahmen 235 Journalisten bei ihrer Arbeit beobachtet wurden, ergab, dass für die Kontrolle der Glaubwürdigkeit von Quellen gerade elf Minuten pro Arbeitstag verwendet wurden. Der Anteil der Ortstermine an der knappen Recherchezeit beläuft sich auf unterirdische 1,4 Prozent (zitiert nach Brigitte Baetz).
– Der Eliteforscher Michael Hartmann hat festgestellt, dass 77% der Spitzenvertreter der privaten Medienkonzerne Bürger- bzw. Großbürgerkinder sind.
– Uwe Krüger hat in seiner Studie Meinungsmacht die Einbindung von Spitzenjournalisten wie etwa Josef Joffe (Die Zeit), Stefan Kornelius (SZ), Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) oder Michael Stürmer (Die Welt) in trans-atlantische Lobbyorganisationen (Atlantik Brücke, Aspen Institut, Marshall Institut, Münchner Sicherheitskonferenz etc.) herausgearbeitet.
– Alle maßgeblichen Medien einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender sind in die neoliberal geprägte Meinungsmache eingebunden (vgl. Uwe Krüger, Mainstream, München 2016)).
– Wenn man nur auf die Mainstream-Medien schaute, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es in Deutschland nur ein paar Dutzend Ökonomen mit Reputation gäbe. Es werden immer dieselben gefragt und zitiert.
Noch schlimmer: sie gehören alle der weitgehend gleichen ökonomischen Glaubenslehre an, die man unter dem Begriff „neoliberal“ zusammenfassen könnte.
– Hinzu kommt das “Agenda-Setting“ durch die zahlreichen Think-Tanks, angefangen von der Bertelsmann Stiftung, über die Stiftung Marktwirtschaft oder dem Kronberger Kreis , aber auch durch eine Vielzahl interessen- oder ideologiegeleiteter sog. wissenschaftlicher Institute, vom Institut der Deutschen Wirtschaft, dessen Direktor, Michael Hüther auf allen Hochzeiten tanzt, über das Hamburgische Welt-Wirtschaftsarchiv, das von der Deutsche-Post-Stiftung grundfinanzierte Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) oder dem ifo-Institut.
– Der Verlust an Meinungsvielfalt geht einher mit einer Oligopolisierung des Medienmarktes: Knapp 60% verkaufte Zeitungen = 10 Mediengruppen,
Nur die Bekanntesten:
Bertelsmann (Gruner + Jahr, Stern, Brigitte, Gala, Spiegel; Penguin Random House, RTL), Springer-Verlag (Bild, Welt, BZ, Verlag Random House), die Südwestdeutsche Medienholding (Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Rheinpfalz, Südwestpresse Ulm u.a.); die Funke Mediengruppe (früher WAZ), die Mediengruppe Madsack (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Leipziger Volkszeitung, Märkische Allgemeine, Lübecker Nachrichten u.a.), Madsack hat zu Beginn dieses Jahre eine sog. „strategische Partnerschaft“ mit der Mediengruppe DuMont Schauberg eingegangen; 17 Journalistinnen der Hauptstadtredaktion wurden entlassen. (Kölner Stadtanzeiger, Berliner Zeitung, Hamburger Morgenpost, Mitteldeutsche Zeitung u.a.), die Verlagsgruppe Ippen (Münchner Merkur, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine)
– 8 Familien beherrschen Zeitungmarkt: Friede Springer, Liz Mohn (Bertelsmann), Yvonne Bauer (Bravo, Cosmopolitan), Hubert Burda, die Jahr-Familie (Stern Spiegel), Stefan von Holtzbrinck (HB, Zeit, Tagesspiegel), Petra Grotkamp (Funke-Gruppe), die Familie DuMont (Köln Monopol)
Man könnte noch zahllose weitere Gründe für den Qualitätsverlust der Medien und die Misere des Journalismus anführen.
Vertrauensverlust der traditionellen Medien
Diese negative Entwicklung blieb nicht ohne Folgen:
Über die letzten Jahre hinweg, hat eine Vielzahl von Studien einen Verlust an Vertrauen in die etablierten deutschen Medien festgestellt.
Laut einer Umfrage von infratest/dimap im Auftrag des WDR vom Dezember 2016 ist bei 46% der Befragten das Vertrauen in die deutschen Medien gesunken.
– 39% glauben danach, dass in den deutschen Medien immer bzw. häufig absichtlich die Unwahrheit gesagt wird.
– 42 % meinen, dass es Vorgaben der Politik für die Berichterstattung der Medien gibt.
– Vielleicht liegt es an der Debatte über Fake News, dass die Lügenpresse-Hysterie abebbt: eine aktuelle Umfrage des Instituts für Publizistik in Mainz kommt zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen in letzter Zeit wieder zugenommen hat, es sei von 28% in 2015 auf 42% in 2017 wieder deutlich gestiegen.
Aber: Immerhin noch 17% haben auch nach dieser Untersuchung eher kein oder überhaupt kein Vertrauen und 41% vertrauen den Medien nur teilweise.
– Jeder 10. fühlt sich in Deutschland von den Medien belogen.
– Knapp 40% meinen, dass die Medien ihr persönliches Lebensumfeld nicht abbilden.
– Mit dem Vertrauen ist auch Zahlungsbereitschaft gesunken: 1991 hatten die Tageszeitungen eine tägliche Auflage von über 27 Mio. Exemplare, 2016 nur noch rd. 15 Mio. Die Auflage hat sich also nahezu halbiert. Die FAZ sank in den letzten Jahren am stärksten, nämlich von rd. 460.000 im Jahr 2011 auf heute etwas über 250.000 Stück. Bei der taz gibt es Überlegungen die Tageszeitung nur noch am Wochenende als Printausgabe herauszugeben.
– Das Fernsehen mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 223 Minuten pro Tag ist zwar nach wie vor das wichtigste Leitmedium und die öffentlich-rechtlichen Medien genießen mit 70% das meiste Vertrauen.
– Zwischen der bewerteten Glaubwürdigkeit und dem tatsächlichen Nutzerverhalten besteht allerdings eine riesige Kluft. Dem Vertrauensbonus steht geradezu ein Generationsabriss bei der Nutzung gegenüber:
– Die jüngsten Zahlen des ZDF sind ernüchternd:
Im Alter von 50 plus nutzen 84,3% das „Zweite“, von den 14 bis 29-Jährigen sind es gerade noch 2,5%.
– Hinzu kommt eine höchst bedenkliches Urteil: 49 % der Befragten, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen als hauptsächliche Informationsquelle nennen, halten es für staatlich gelenkt und 31% meinen, dass auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelogen wird.
– Ein Viertel der jungen Leute zwischen 19 – 34 haben keinerlei Vertrauen in die Medienlandschaft. 40% stehen den etablierten Medien skeptisch gegenüber.
– Insbesondere bei den Jüngeren lässt sich eine zunehmende Präferenz für die Mediennutzung per Internet feststellen. Bei unter 30-Jährigen hat das Smartphone das Fernsehen als meistgenutztes Medium abgelöst, bei 2/3 ist das Smartphone nicht mehr wegzudenken.
– Neun von zehn Jugendlichen nutzen täglich soziale Online-Dienste.
Die klare Nummer eins ist WhatsApp: Rund 78 Prozent der Jugendlichen kommunizieren über diesen Kanal. Auf Platz zwei liegt mit 54 Prozent die Kommunikations-App Snapchat. Auch die zu Google gehörende Video-Plattform YouTube wird von etwa jedem Zweiten genutzt. Abgeschlagen sind bei den Jugendlichen dagegen die sozialen Netzwerke Facebook und Google+, die lediglich 17 Prozent der Befragten nutzen. (IW-Studie)
– Der Messenger-Dienst WhatsApp kommt in Deutschland auf mehr als 40 Mio. Nutzer. Facebook kommt auf insgesamt 31 Mio. aktive Mitglieder. Instagram auf 17 Mio. , Xing kommt auf 13 Mio. Mitglieder, Linkedin auf 10 Mio. Nutzer, Google+ auf bis zu 6 Mio. User – etwa genauso viel wie YouTube. Auch Twitter und Snapchat erreichen ein Millionenpublikum.
– Ein Viertel der Bevölkerung Informiert sich über Soziale Medien. 16% hauptsächlich.
– Gerade die Nutzer sozialer Netzwerke haben mit 53% weniger oder gar kein Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als die Allgemeinheit und sie glauben, dass den deutschen Medien von Staat und Regierung vorgegeben wird, worüber sie berichten sollen (S. 15).
– Weltweit haben seit 2015 Internet-Suchmaschinen (mit 64 %) die traditionellen Medien (mit 62%) als glaubwürdige Quelle abgelöst (Stefan Schulz, „Redaktionsschluss“, a.a.O., S. 157)
Kann das Internet die traditionellen Medien ergänzen oder gar ersetzen?
Angesichts dieser Entwicklung bei der Nutzung der Medien ist eine Kernfrage für die Zukunft der veröffentlichten Meinung und damit auch für eine demokratische Meinungsbildung:
Kann das Internet den Vertrauensverlust, den Nutzerschwund, die Schrumpfung der Pluralität, die Abnahme an Qualität oder die oligopolistische „Vermachtung“ der veröffentlichten Meinung in den etablierten (linearen) Medien aufbrechen?
Das Internet böte technisch die historisch erstmalige Möglichkeit, dass nahezu jedermann nicht nur seine persönliche Meinungsfreiheit, sondern auch das Grundrecht der Pressefreiheit wahrnehmen könnte – also das unzensierte Veröffentlichen von Informationen und Meinungen an ein unbestimmtes Publikum.
Dank des weltweiten Netzes wäre die Pressefreiheit finanziell nicht länger nur ein paar reichen Familien vorbehalten.
Jeder, der sich einen Computer und einen Internetanschluss leisten kann, wäre in der Lage – sei es über „Jedermann-Netzwerke“, sei es mit ein bisschen Einarbeitung unter einer eigenen Domain ein Blog zu betreiben – und sich mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit zu wenden.
Ohne Zweifel leisten die Internetkommunikation und eine Vielzahl von Blogs einen beachtlichen Beitrag zur Meinungsvielfalt, doch das Ideal einer basisdemokratischen Internetkommunikation weicht von der Wirklichkeit erheblich ab.
Überwachungsmittel und Datenkraken
Spätestens seit 2013, nämlich mit den Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden über die Überwachungs- und Spionagepraktiken von amerikanischen und britischen Geheimdiensten galt das Internet für eine breite Öffentlichkeit nicht mehr nur als freiheitliches, widerständiges Gegenmedium, sondern auch als Überwachungsmittel für eine umfassende staatliche Kontrolle der elektronischen Kommunikation.
Die dunkle Seite des Mediums kam ans Licht.
Mehr und mehr wird den Internet-Nutzern auch bewusst, dass die angeblich „kostenfreien“ Internet-Dienste von Facebook und Konsorten Datenkraken sind, die mit dem Sammeln und dem Verkauf von Nutzerdaten Milliardengewinne machen. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group wird der Handelswert persönlicher Daten 2020 allein in Europa 330 Milliarden Euro betragen. 650 Milliarden Dollar im Jahr würden weltweit für Werbung ausgegeben
Mehr und mehr wird bewusst, dass wenn etwas nichts kostet, der Nutzer das Produkt ist. Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware.
Die sozialen Netzwerke sind die größten Werbeagenturen (Falter 27a/16 Daniela Zimmer, Mathias Grandosek, S. 24ff. (25,28)) ,Facebook machte im letzten Jahr einen Gewinn von um die 10 Milliarden Dollar.
Facebook und Google untergraben zudem das wirtschaftliche Fundament einer unabhängigen Presse: Nicht weniger als 73 Prozent der weltweiten Werbeeinnahmen (84 Prozent außerhalb Chinas) und 25 Prozent der weltweiten Anzeigenverkäufe (online und Print) entfallen allein auf diese beiden Firmen (Steven Hill, Handelsblatt – 11.5.2018, S. 72).
Soziale Netzwerke sind zu Verbreitungsplattformen von Medienanbietern geworden
Zwar verbreiten der CEO Larry Page von „Alphabet“ (des mit über 67 Milliarden Euro Umsatz größten Technologiekonzerns der Welt), die Chefs von Google, Sundar Pichai, von Facebook, Mark Zuckerberg, von Apple, Tim Cook, oder von Twitter, Jack Dorsey, usw. unisono und penetrant die („internetzentristische“) Ideologie – wie das der Internet-“Papst“ Evgeny Morozov nennt –, dass „das Internet“ neutral sei. (Evgeny Morozov, Smarte neue Welt, München 2013)
Die Internetdienstanbieter seien nur „Provider“ oder „Dienstleister“ für ihre Nutzer behaupten sie. (So sieht das übrigens bisher auch in Deutschland das Telemediengesetz).
Sie machten sich deshalb Meinungen oder Inhalte der wie auch immer gearteten Mitteilungen ihrer Nutzer nicht zu Eigen und könnten daher dafür auch nicht als „Herausgeber“ zur Verantwortung gezogen werden.
Die „Sozialen Medien“ seien demnach nur eine Art digitales Schwarzes Brett, wo Leute Zettel anheften, ohne dass der Aufsteller der Anschlagtafel eine Verantwortung dafür trüge, was dort „gepostet“ wird.
Mit dieser Ideologie des Internetzentrismus der Dienstleister gepaart mit der gut gemeinten Doktrin des „freien“ Internets auf Seiten der Nutzer ist es den Oligopolisten aus dem Silicon-Valley bisher weitgehend gelungen sich einer Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalten zu entziehen und erfolgreich gegen jede Form von Regulierung Widerstand zu leisten.
Soziale Netzwerke gehen inzwischen weit über die private Beziehungspflege hinaus, sie sind wichtige Verbreitungsplattformen sämtlicher sonstiger Medienanbieter und damit zunehmend wichtige Meinungsmultiplikatoren.
Täglich rufen 45 Millionen Menschen in Deutschland Netzinhalte ab.
Für viele – vor allem Jüngere, also die sog. „digital natives“ – sind Timeline, Newsfeed oder Messenger App etc., d.h. die eingehenden Botschaften und Tweets der zentrale, oft sogar der einzige Anlaufpunkt für Nachrichten nicht nur innerhalb von Freundeskreisen, sondern auch für Neuigkeiten aus aller Welt.
Sogar für professionelle Journalisten sind die sozialen Netzwerke zu einem Recherchemittel geworden. (LfM-Materialien 31, Marcel Machill, Markus Beiler, Uwe Krüger, Das neue Gesicht der Öffentlichkeit, S.29).
Hashtag-Trends, Twitter-Trendanalysen oder Google-Empfehlungen können inzwischen sogar den gesellschaftlichen Diskurs prägen.
Wenn z.B. plötzliche Themen wie Hashtag #unsereLisa, wonach eine 13-jährige Russlanddeutsche von Flüchtlingen als Sexsklavin missbraucht worden sei, in den Vordergrund rücken, dann liegt das daran, dass sogar hochrangige Politiker wie der russische Außenminister Sergej Lawrow, aber auch Journalisten Social-Media-Trends folgen.
Internetdienstanbieter sind nicht neutral
So unbeteiligt an den Inhalten, die sie verbreiten, wie die Internet-Oligopolisten das gerne selbst darstellen, sind die Internetdienstanbieter aber keineswegs.
Verborgen wird, dass die angebotenen Inhalte, sei es aufgrund der Empfehlungen von Freunden, aber vor allem aufgrund von Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden. Algorithmen sind – vereinfacht gesagt –Computerrechenprogramme mit denen Daten gesammelt werden und nach einem bestimmten Schema ausgewertet werden. Von den Internet-Dienst-Anbietern wird nachverfolgt (z.B. über die Suchhistorie im Netz oder durch das Klickverhalten), welche Netzinhalte für den Benutzer wichtig sind oder häufig gesucht werden. Aus dieser Datenspur wird berechnet und vorausgesagt und dem Benutzer angeboten, welche Informationen für ihn interessant sein könnten, weil sie mit seinem bisherigen Such- und Nutzungsverhalten übereinstimmen. Diese Programme zeigen den Nutzern das, was sie ohnehin suchen oder denken – egal was tatsächlich in der Welt vor sich geht.
Brian Acton, der Gründer des Kurznachrichtendienstes »Whatsapp«, schreibt in seinem jüngsten Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“, meint inzwischen, dass Konzerne wie Facebook, Google oder Twitter »Manipulations-Imperien« seien, die Menschen wie Hunde in Käfigen halten und mit virtuellen Reizen bestimmte Verhaltensweisen auslösen. Ein System, das auf totaler Überwachung und einem »perversen«Geschäftsmodell gegründet sei.
Der Filterblasen-Effekt
Die Such-, Filter- oder Empfehlungs-Algorithmen (die sog. „Trending Topics“) der Online-Vermittler gelten bislang als Betriebsgeheimnisse. Vergebens hat bislang die Politik auf die Offenlegung der Grundprinzipien der Such- und Empfehlungsalgorithmen gedrängt.
Ulrich Fichtner schreibt im Spiegel zurecht: „Angesichts der Bedeutung, die Google, You-Tube, Facebook, Twitter und Apple mittlerweile für unser Leben haben, grenzt es an Wahnsinn, dass wir über diese Firmen außer schicken Werbeoberflächen so gut wie nichts wissen. Wie sucht die Google Suchmaschine, wie findet sie, und nach welchen Kriterien sortiert sie die Ergebnisse? Wer wählt welche Facebook-Posts? Wie entsteht ein Twitter-Trend? Welchen Kriterien folgt der Mitteilungsstrom auf den Apple-iPhones?“ (Spiegel 01/2017, S. 19ff.)
Die amerikanische Mathematikerin Cathy O`Neil, die lange über Algorithmen geforscht hat, schreibt: „Soziale Medien zeigen ihren Usern Inhalte an, die diese mögen – also verstärken sich die immer gleichen Ansichten.“ (Siehe auch Cathy O`Neil in der taz vom 8.11.2016, S. 7; dazu auch Torsen Riecke u.a., Die Macht der Algorithmen)
Der Internetaktivist Eli Pariser (The Filter Bubble: What The Internet IS Hiding From You, New York 2011) beschrieb schon 2011 das Phänomen, dass die Internetnutzer bei der Suche im Internet vor allem „Freunden“ folgen und durch die verborgenen Algorithmen der Suchmaschinen „Follower“ bestimmter Netzinhalte werden, als „Filterblase“.
Der Einfluss von undurchschaubaren Algorithmen für die Trefferlisten der Suchmaschinen und die Auswahl der Botschaften in den Internetdienste sind zu neuen „Gatekeepern“, also Torwächtern für öffentlichkeitsrelevante Informationen geworden, sie ersetzen geradezu die redaktionelle Denkarbeit, Facebook blende 4/5 der Inhalte aus und vermittle eine eigene Realität, schreibt Stefan Schulz (a.a.O S. 44).
In den letzten 10 Jahren seien neue Massenmedien entstanden, die zwar keine Redaktionen mehr hätten, aber mittels ihrer Produktmanager, ihrer Softwareentwickler und mit Inhalten, die algorithmisch von anderen Medien übernommen werden, eine eigene Öffentlichkeit schafften. (Stefan Schulz a.a.O. S. 251).
Der Echokammer-Effekt
Meine langjährige Beobachtung als Mitherausgeber des ziemlich verbreiteten Blogs „NachDenkSeiten“, als auch die allgemeine Erfahrung zeigen, dass „Soziale Medien“, aber auch Blogs eine Tendenz zur Aufspaltung der öffentlichen Meinung aufweisen, indem sie den diskursiven und pluralen öffentlichen Meinungsaustausch in eine Vielzahl von voneinander abgeschlossenen „persönlichen Öffentlichkeiten“ oder genauer in „Gegenöffentlichkeiten“ – man könnte auch sagen Sekten – auseinanderdividieren.
Über die Jedermanns-Medien reden zwar viele mit, aber auch ständig aneinander vorbei. Es gibt die berechtigte Sorge, dass im Internet Vertreter unterschiedlicher Meinung nicht mehr aufeinanderstoßen, weil sich homogene Gruppen von Gleichgesinnten, Deutungsgemeinschaften oder Subkulturen bilden, die sich untereinander oder von der sog. Mehrheitsgesellschaft abkapseln. Man spricht zu recht von einem „Echokammer-Effekt“.
Mit dem Begriff virtuelle „Echokammer“ wird beschrieben, dass Informationen, Ideen oder Meinungen innerhalb eines geschlossenen Systems verstärkt und abweichende oder konkurrierende Sichtweisen eher unterbunden werden oder zumindest unterrepräsentiert sind, ja sogar bekämpft werden.
Wenn algorithmische Systeme menschliche Interaktionen auswerten, machen sie sich gleichzeitig die geäußerten Vorurteile zu eigen und verstärken diese. (Dahna Boyd, Die verborgene Macht der Algorithmen, in Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2018 S. 80ff. (89))
Grundlegend für dieses Phänomen der „Echo-Kammer“ sind vor allem zwei Einflussfaktoren: die menschliche Psyche, speziell die selektive Wahrnehmung – vereinfacht gesagt, man nimmt solche Informationen besonders aufmerksam auf, die das eigene Vorurteil stützen.
Mit den sozialen Medien neu hinzugekommen und massenhaft verstärkend ist die Auswertung menschlicher Interaktionen im Internet durch algorithmische Systeme, die sich die geäußerten Vorurteil zu Eigen machen und verstärken.
Der „Stammtisch“ – einstmals auf wenige anwesende Zecher begrenzt – kann sich im Netz wie eine Epidemie „viral“ und mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten und bleibt – was gleichfalls eine neue Qualität ist – (ohne Gegenwehr) dauerhaft dokumentiert.
Die Noelle-Neumannsche „Schweigespirale“, wonach Menschen sich mit ihrer Meinung eher zurückhalten, wenn diese einem vorherrschenden Meinungsklima widerspricht, wird durch die technische Distanz des Internets durchbrochen.
„Im Vergleich zum Dorftratsch verstärkt sich im Internet die asymmetrische Kommunikation“ meint die Medienpädagogin Sabine Schiffer.
Inhaltliche Auseinandersetzungen finden auf Facebook oder Twitter (OBS-Studie: Twitter-Euphorie unbegründet – und mehr Mythos als Realität) kaum statt. Über das „liken“ „sharen“ oder „retweeten“, entsteht kein virtueller Raum öffentlicher Beratschlagung.
(Das haben Kristina Beer und Saskia Richter von der Arbeitsgruppe „Politik und Internet“ der Universität Hildesheim in einer Untersuchung festgestellt Überschätzte Debattenkultur: Soziale Medien in Protestbewegungen.
Die Öffentlichkeit teilt sich in Teilöffentlichkeiten mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen
Das Internet befördert die Entstehung politischer Parallelwelten und negativer Abgrenzung. „Damit ändert sich der demokratische Prozess und das, was wir unter Öffentlichkeit verstehen – sie fragmentiert und schafft sich ab“, schreibt die Mathematikerin Cathy O`Neil. An die Stelle politischer Debatte tritt die Selbstbestätigung von Gleichgesinnten. Es entwickeln sich „homogenisierte Teilöffentlichkeiten“ mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen. (Jasmin Siri )
Man braucht nicht, wie die Internetkritikerin Yvonne Hofstetter gleich das „Ende der Demokratie“ an die Wand malen, aber feststellbar ist, dass das Netz Gesinnungsgemeinschaften fördert und Gruppen in eine Art selbstverstärkenden Meinungsstrudel geraten können. Eine Wir-gegen-die-Haltung kann entstehen, die sogar Hass sähen und einen Nährboden für Radikalisierung bilden kann.
Das mag zumindest zum Teil erklären, wie aus jungen Männern über das Internet binnen weniger Monate hasserfüllte Gotteskrieger werden können.
Die Währung des Internets ist nämlich die Aufmerksamkeit. Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Postings an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und an Aggressivität überbieten.
Eine im März dieses Jahres veröffentlichte Studie des MIT hat die Verbreitung von verifiziert wahren und falschen über Twitter verbreiteten Nachrichten von 2006 bis 2017 untersucht und herausgefunden, dass Fake News sich weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen. (significantly farther, faster, deeper, and more broadly than the truth in all categories of information)
Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70% größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten.
Das Internet dient Vielen als Ventil für Ohnmachtsgefühle, Verlustängste oder unbeantwortete Zukunftsfragen und erlaubt einer lautstarken Minderheit entgrenzte Reaktionen und verbale Entgleisungen. (Thomas Leif, Die Zeit v. 31. Dezember 2016).
Viele Soziale Medien wurden zu asozialen Medien
Verstärkt durch die Fluchtbewegungen des letzten Jahres ist eine nicht mehr überschaubare Zahl „sozialer Medien“ zu asozialen Medien verkommen. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche Hetze. Und der Hass reicht weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus.
„Nirgendwo sonst kann in so hoher Zahl offen fremdenfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Hetze gefunden werden“ wie im Internet (heißt es im Verfassungsschutzbericht 2014 (S.42). Siehe auch Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses)
Der schnelle Aufstieg der AfD wäre ohne das Medium Internet nicht zu erklären, meint Justus Bender in seinem Buch „Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland“)
Bei Pegida-Demonstrationen haben sich bisher im Höchstfall zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend sog. „Spaziergänger“ versammelt, die Pegida-Seite auf Facebook hat jedoch über 200.000 „Likes“.
Der Internetauftritt der AfD hat über 300.000 Follower, mehr als die SPD (120.000) und die CDU (130.000) zusammen.
Trump mag in seinem Wahlkampf viele Übertreibungen und sogar glatte Lügen eingesetzt haben, aber eine seiner Aussagen, sollte man wirklich ernst nehmen. Seinen Erfolg verdanke er Facebook und Twitter, mehr noch (Zitat): „Ich glaube, dass soziale Medien mehr Macht haben als Werbegelder“. Trumps Sprecher Sean Spicer behauptete, dass mehr als 45 Millionen Menschen dem jetzigen Präsidenten in den sozialen Netzwerken folgten (KSt-A v. 3.01.2017 S. 6; Bild 16.01.2017 S. 3;
Ob der Einsatz der Datenanalysefirma „Cambridge Analytica“, die auf der Basis von im Netz erhobenen Daten personalisierte bzw. zielgruppenorientierte Werbung anbot, sich für Trumps Wahlkampf tatsächlich bezahlt machte oder ob hinter den Aufsehen erregenden Schlagzeilen nur Eigenwerbung der inzwischen bankrotten britischen Firmenmanager stand, ist umstritten.
Ob russische Hacker oder von Russland gesteuerte „Trolls“ oder „Fake-News“ Einfluss auf das Wahlergebnis zugunsten von Trump hatten und ob Putin Trump tatsächlich geholfen hat, wird man erst beurteilen können, wenn genauere Angaben über das „Wie“ solcher angeblichen Cyberkampagnen öffentlich werden.
Man liegt mit der Vermutung nicht ganz falsch, dass Trumps Wahlkampfstil in den sozialen Medien ein besonders geeignetes Kommunikationsmittel gefunden hat.
Wie sehr die klassischen Medien geradezu an die Wand gedrängt werden können, das zeigt uns erneut Donald Trump. Er kann die Journalisten als „Feinde des Volkes“ beschimpfen und ihnen ihre Hilflosigkeit demonstrieren, indem er ganz selten Pressekonferenzen einberuft oder nur ausgewählten Medien Interviews gibt, und sich im Wesentlichen über Twitter oder über YouTube-Videos – dem „Trump Transition Video“ – ohne einen „journalistischen Filter“ an die Öffentlichkeit wendet. Und mangels Alternativen, werden diese Botschaften auch von den etablierten Medien aufgegriffen.
Das Internet als Einfallstor für Manipulatoren
Die Tatsache, dass das Internet und Internetdienste Datenlieferanten über die Nutzer sind
– die an Hand des Such- und Nutzungsverhaltens besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß – jedenfalls als man sich bewusst macht -,
kann eben nicht nur von Waren- oder Dienstleistungsanbietern genutzt werden, sondern auch von Meinungsmachern ganz allgemein und speziell von gesellschaftlichen Interessengruppen und Parteien, die bewusst eine politische Agenda voranbringen wollen, ausgebeutet werden.
Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulatoren und für Meinungsbeeinflusser werden – nicht ohne Grund spricht man von „influencern“.
Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist der relativ preiswerte Kauf von „Likes“ auf Facebook.
Neben sog. „Trollen“, also problematische Netzteilnehmer, die sich In Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und die Online-Community stören, provozieren, Hass schüren oder in eine bestimmte politische Richtung zu lenken versuchen, sind inzwischen im Internet auch professionelle Trollaktivitäten zu beobachten, die massive politische Propaganda betreiben.
Es gibt automatisierte „Trolls“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (sog. Robots), die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen.
Diese „können gesellschaftliche Debatten durch ihre schiere Masse bestimmen und in eine gewünschte Richtung lenken“, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik in München.
Und es sind keineswegs nur russische Geheimdienste, sondern auch die Geheimdienste der USA, der Briten, der Israelis, ja sogar auch der selbsternannte „Islamische Staat“ die Bots oder Trollfabriken nutzen.
Die chinesische Suchmaschine Baidu weiß wo sich eine Menschenansammlung bildet. 400 Millionen öffentliche Kameras, sind in der Lage einen Dieb aus einer Menschenmenge zu identifizieren. Und in China gibt es die ersten Modellversuche wie Online-Daten nicht nur zur umfassenden Überwachung genutzt werden können, sondern über ein Sozialpunkte-System das soziale Verhalten der Bürger bewertet und mit Sanktionen oder Vergünstigungen gesteuert werden soll.
Was kann man tun, um die Gefahren aus dem Internet abzuwehren?
Zunächst einmal: Um zu verstehen, wie die digitale Gesellschaft funktioniert, ist noch viel Forschungsarbeit nötig. Mit den Lösungsansätzen befindet man sich vielfach noch im Merkelschen „Neuland“. Jedes neue Medium hat eine Phase des Experiments und der Anarchie durchlaufen.
Selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg macht sich inzwischen Gedanken darüber, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen miteinander wieder in Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln. Doch die Rezeption unterschiedlicher und vielfältiger Meinungen lässt sich nicht verordnen, andere Ansichten zu ertragen und den Diskurs zu pflegen ist eine Frage einer gesellschaftlichen Kultur der Offenheit und des kantschen „Muts zur Aufklärung“.
Jeder und jede einzelne kann zunächst einmal nur selbst sein Mediennutzungsverhalten prüfen und die Strukturen und Mechanismen, die hinter den von einem selbst genutzten Medien herrschen kritisch bewerten.
Es bedarf einer Entzauberung des Internets und einer Verbesserung der allgemeinen Kenntnisse über die Funktionsweise der Internetkommunikation, wie „Trending Topics“, „Memes“, „Newsfeed“ etc. entstehen und wie manipuliert werden kann.
Die Ideale des Journalismus sollten Bestandteil von Allgemeinbildung werden.
Den Themen in den Echo-Kammern müssten sich auch etablierte Medien annehmen und sie dem öffentlichen Diskurs zuführen. Gegenwärtig beobachten wir noch viel zu häufig Abgrenzungshaltungen sowohl auf Seiten der klassischen Medien als auch auf Seiten der Netz-Community.
Es hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde und für alle historisch bekannte Medien gab es Kontrollinstanzen. Warum sollte das bei einem so mächtigen, omnipräsenten, fortwirkenden und zunehmend unverzichtbaren Medium wie dem Internet nicht gelten?
Eine Regulierung müsste jedoch das Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher individueller Meinungsfreiheit und staatlicher oder privater Zensur auflösen und darüber hinaus müsste sie ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten.
Ein Großteil dessen was derzeit unter den Themen Hassreden und Falschbehauptungen diskutiert wird, könnte durch eine schärfere Anwendung der bestehenden Gesetze und besser geschulten Strafverfolgungsbehörden bekämpft werden.
Am 1. Januar 2018 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (komplett: Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) des damaligen Justizministers Heiko Maas in Kraft.
Die Anbieter sozialer Netzwerke, darunter Twitter, Facebook und YouTube, sind seitdem verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Kommen die Betreiber ihren Pflichten systematisch nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe.
Anleitungen zu schweren Straftaten, Volksverhetzung, die Verbreitung verbotener Symbole – das sind nur einige Beispiele für Beiträge, die nach dem NetzDG zu sperren sind. Wer es genau wissen will, findet im Gesetz: „Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen.“
Neu ist: Mit diesem Gesetzentwurf, werden erstmalig die Internetunternehmen für die von ihnen verbreiteten Inhalte zur Verantwortung gezogen, wer auch immer der Absender der „Posts“ sein mag.
Angeblich soll es inzwischen weltweit mehr als 100.000 Content Moderatoren, die die sozialen Netzwerke, mobile Apps und Cloud-Dienste sauber halten sollen.
Für Facebook sucht die Bertelsmann-Tochter Arvato nach verbotenen Inhalten – in Berlin sind es 700 Mitarbeiter und in Essen rund 500 Mitarbeiter. Im Sommer 2017 hat Facebook verraten, dass alleine in Deutschland monatlich ungefähr 15.000 Posts wegen Hassreden gelöscht werden müssen.
Die Gegner des NetzDG kritisieren, dass mit dem Gesetz die Rechtsdurchsetzung an private Unternehmen delegiert wird.
Kritiker befürchten, dass künftig mehr Inhalte gelöscht werden, die gar nicht gegen die erwähnten Paragrafen verstoßen. Vereinfacht gesagt: Um sich nicht strafbar zu machen und Bußgelder zahlen zu müssen, könnten die Unternehmen dazu tendieren, im Zweifelsfall lieber etwas mehr zu löschen als zu wenig.
Alle im neuen Bundestag vertretenen Parteien wollen das Gesetz entweder überarbeiten oder abschaffen. So wird beispielsweise bemängelt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich über womöglich unrechtmäßige Löschungen zu beschweren.
Auch unterhalb staatlicher Eingriffe und gesetzlicher Regulierung gibt es inzwischen eine kaum noch überschaubare Zahl von Initiativen gegen Hasskommentare und Falschbehauptungen. Z.B. eine No-Hate-Kampagne, eine „Debunking“ (also eine Entlarv-) Aktion der Stiftung Warentest unter dem Titel „Gesicht zeigen, Kante zeigen“, eine Facebook-Gruppe „Nothing but the Truth“, die Reporterfabrik „Correktiv“, das Projekt #ZDFcheck 17 oder den „Faktenfinder“ der ARD.
Das sind nur einige wenige der Initiativen.
Wenn wir nicht mehr daran glauben könnten, dass sich Menschen von Tatsachen, von Argumenten, von gesichertem Wissen überzeugen ließen, dann müsste man um die Demokratie als Herrschaftsform ernsthaft bangen.
Um die „Filterblasen“, die vor allem auch die durch die intransparenten Such-Algorithmen entstehen, platzen zu lassen, müssten die algorithmischen Entscheidungssysteme zumindest öffentlich gemacht, – besser noch – kontrolliert werden, weil der einzelne Bürger das nicht kann. Zu wissen was mit den „Daten über mich“ geschieht, gehörte m.E. zum Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Dazu müssten in der kürzlich eingesetzten Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ Vorschläge gemacht werden. (Siehe dazu auch Andrea Nahles, Digitaler Kapitalismus, Handelsblatt 13. August 2018, S. 48)
Man müsste darüber nachdenken, den digitalen Parallelgesellschaften in der Hand privater amerikanischer Oligopolisten, die vor allem durch Werbung und den Verkauf von Daten ihren Profit mehren, ein (europäisches oder wenigstens deutsches) gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Facebook, WhatsApp oder eine vergleichbare öffentlich-rechtliche Plattform entgegen zu stellen. Der große Vorteil wäre, dass die Algorithmen transparent und die Inhalte nicht werbegesteuert wären, im Netz zum Dialog angeregt werden könnte und die Teilnehmer Datensicherheit und Datenschutz genießen würden.
Man könnte etwa über einen von ZDF, ARD, BBC etc. betriebenen Youtube-Kanal nachdenken, der sämtliche Programmarchive bereitstellte. Außerdem könnten man die selektive Wahrnehmung durch systematische Angebote von alternativen bzw. kontroversen Positionen aufbrechen. (Siehe dazu auch Fridolin Herkommer, Christa Schlager, Die Internetgiganten in die Schranken weisen)
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