Erst letzte Woche entschied der Supreme Court in London, dass das Gleichstellungsgesetz (2010 Equalities Act) sich auf das „biologische Geschlecht Frau“ bezieht und damit trans* Frauen vom Schutz ausgeschlossen sind. Das Urteil legitimiert den Ausschluss von trans* Frauen hinsichtlich Frauenquoten, Toiletten oder Umkleiden und von lesbischen Gruppen. Geklagt hatte die trans*feindliche Gruppe For Women Scotland (FWS), die nicht nur finanziell massiv von Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling unterstützt wurde.
Ein Narrativ, das von Rowling und anderen trans*feindlichen Akteur*innen immer wieder bemüht wird, ist: Wenn das biologische Geschlecht keine Rolle spielt, negiere das die Existenz von Frauen. Und wenn trans* Frauen Teil lesbischer Gruppen sein dürfen, führe das zur Auflösung lesbischer Identität. Dieses Narrativ spiegelt nicht nur ein eingeschränktes Verständnis von Lesbischsein wider, sondern suggeriert auch, dass trans* Menschen nie Teil lesbischer Communities waren und es historische klare Grenzen zwischen unterschiedlichen queeren Communities und Identitäten gegeben habe. Dabei waren trans* Männer, trans* Frauen, inter*, nichtbinäre und genderqueere Menschen immer Teil lesbischer Gemeinschaften und umgekehrt.
Abgrenzungen und Ausschlüsse hat es historisch in unterschiedlichen Formen immer gegeben. Meistens sind sie jedoch von der Mehrheitsgesellschaft ausgegangen und richteten sich gegen all jene, die gesellschaftlichen Normen nicht entsprachen oder als „fremd“ kategorisiert wurden. Die aktuelle Trans*feindlichkeit, die nicht nur die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch weite Teile feministischer und queerer Bewegungen durchzieht, ist nichts, was es in der Form immer genau so gegeben hat. Trans*feindliche Narrative werden oft als etwas „Unvermeidbares“ oder „Natürliches“ innerhalb dieser Bewegungen dargestellt, da es zu große Unterschiede zwischen den Identitäten und Positionen gäbe, dabei hat sich das Verständnis von Geschlecht, Identität und Queerness historisch stark gewandelt. Historisch gab es eine viel stärkere Verflechtung dieser Begriffe.
Begibt man sich auf die Suche nach Biografien, die dies widerspiegeln, wird man schnell fündig. Dieser Artikel ist das Ergebnis einer polnisch-deutschen Kooperation und Recherche und skizziert nicht nur die historischen Verflechtungen unterschiedlicher queerer Identitäten, sondern auch jene kulturellen zwischen Polen und Deutschland von der Weimarer Republik bis heute.
Queeres Leben in Polen im 19. Jahrhundert und Maria Rodziewiczówna
In Polen, dessen Gebiete vor 1914 innerhalb der Grenzen Deutschlands, Russlands und Österreichs lagen, sah queeres Leben im 19. Jahrhundert – je nach Region – ganz unterschiedlich aus.
„Die polnische Geschichte, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, ist äußerst komplex.“, erklärt Historikerin Joanna Ostrowska. „In Poznań hatten sie zum Beispiel Deutsch in der Schule, weil das die einzige Option war, es war der deutsche Teil. Für einen schwulen Mann oder eine trans* Person war das beispielsweise ein perfektes Werkzeug, welches einen Zugang zur umfangreichen queeren deutschen Berliner oder Hamburger Welt eröffnete. Für diese Person stellte sich die Lebenssituation damit völlig anders dar, als für eine Person, die im selben Jahr in Warschau geboren wurde – im russischen Teil. Auch die Gesetze waren ganz unterschiedlich. Bis 1932, also nicht nur während der Teilungszeit, sondern auch nach dem Ersten Weltkrieg, wurden schwule Männer in Warschau oder in Poznań verfolgt. In Krakau wurden auch lesbische Frauen verfolgt, denn in Krakau galten österreichische Gesetze, in Warschau russische und in Poznań preußische. Polnische Geschichte ist daher regional ganz unterschiedlich. Dieser Kontext ist extrem wichtig“.
Die Geschichten und Zeugnisse aus dieser Zeit zeichnen ein komplexes Bild des Wandels von Identitäten und sozialen Beziehungen.
Eine Person, die die Normen von Geschlecht und Sexualität herausforderte, war die Schriftstellerin Maria Rodziewiczówna. Sie wurde 1863 in dem Dorf Pieniuha im Russischen Reich in einer patriotischen polnischen Familie geboren und lebte den größten Teil ihres Lebens inmitten eines Waldes in einem Herrenhaus an der Grenze zu Weißrussland. Dieses Haus wurde, zusammen mit der umgebenden Natur, wie ihre Biografin Emilia Padol schreibt, „zum Fundament ihrer geistigen Welt“. Da sie nie geheiratet hatte, übernahm sie nach dem Tod ihres Vaters die Leitung des Gutes Hruszowa, hielt aber gleichzeitig den Kontakt zum polnischen literarischen Leben aufrecht und erlangte allmählich große Bekanntheit in literarischen Kreisen.
Jan Widacki, ein Nachkomme von Rodziewiczównas Nachbarn, erinnert sich: „In der älteren Generation meiner Familie war Rodziewiczównas Lesbischsein offensichtlich. Es wurde gescherzt, dass sie mit ihrer Frau zusammenlebte. Bei all der Prüderie und dem Konservatismus der damaligen Zeit hat das aber wahrscheinlich niemanden überrascht oder verärgert, obwohl es Anlass zu allerlei Häme und Witzen war.“
Rodziewiczówna liebte und lebte mit Frauen zusammen zunächst mit Helena Weychert, die wie Rodziewiczówna als „männlicher Typ“ beschrieben wurde, und dann mit Jadwiga Skirmunttna, die später stark selbstzensierte Memoiren über Rodziewiczówna verfasste. Für ihre enge und liebevolle Beziehung – sie lebten zusammen und bewirtschafteten einen Bauernhof, auf dem Jadwiga die Position der „Herrin des Hauses“ einnahm und Rodziewiczówna sich um die Geschäfte kümmerte – gab es im Polnischen kein Wort; man musste es in einer Fremdsprache suchen. Skirmunttna beschrieb ihre Beziehung mit dem deutschen Wort Wahlverwandtschaft.
Rodziewiczówna hat ihre geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung nie definiert. Sie könnte eine heterosexuelle trans* Person, nicht-binär oder eine Lesbe gewesen sein. Oder, so könnte man hinzufügen, eine Performerin weiblich-männlicher Identität im Sinne von Jack Halberstam: „eine lebendige und dramatische Inszenierung von hybridem Geschlecht“ in der prä-lesbischen und prä-trans Zeit.
Queere Subkulturen und Sexualwissenschaften im Berlin der Weimarer Republik
Während die schwule Subkultur in Deutschland schon vor dem Ersten Weltkrieg ausgeprägt war, bildete sich die lesbische, und damit einhergehend ein größeres wissenschaftliches Interesse an weiblicher Homosexualität, erst nach dem Ersten Weltkrieg stärker aus. Für die Formung und Entwicklung homosexueller Identitäten, spielte die Wissenschaft in dieser Zeit eine wichtige Rolle. 1897 gründete der Arzt Magnus Hirschfeld Das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee in Berlin, dessen Ziel es war, die Öffentlichkeit über Homosexualität aufzuklären und gegen den Paragraphen 175 zu mobilisieren. Der Paragraph stellte von 1871 bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Personen des männlichen Geschlechts unter Strafe und war die Grundlage für die Verfolgung Homosexueller, auch in der NS-Zeit. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft, welches nicht nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Homosexualität, sondern auch die homosexuellen Emanzipationsbewegungen jener Zeit, voranbringen sollte. Das Institut wurde schnell zur Anlaufstelle vieler queerer Menschen und unterschiedlicher Identitäten. Während der Fokus des Instituts zunächst auf der Behandlung von Geschlechtskrankheiten lag, ging es nach und nach mehr um sexuelle Bildung und die Unterstützung politischer und individueller Anliegen. So gehörte Hirschfeld zu den wenigen Wissenschaftler*innen, die sich auch mit Inter- und Transgeschlechtlichkeit auseinandersetzten. Das Institut stellte für trans* Personen die ersten Ergänzungsausweise, sogenannte Transvestitenscheine, aus. Diese erlaubten das Tragen von Kleidung, die mit der Geschlechtlichen Identität übereinstimmte. Auch eine der ersten geschlechtsangleichenden Operationen wurde unter Mitwirkung des Instituts an der dänischen Malerin Lili Elbe durchgeführt. Doch obwohl Magnus Hirschfeld wichtige und grundlegende Arbeit für queere Menschen leistete, waren seine wissenschaftlichen Theorien auch stark von Biologismus und Eugenik geprägt.
Lotte Hahm, der Damenklub Violetta und Die Freundin
Während die Wissenschaft in dieser Zeit eine wichtige Rolle bei der Herausbildung und Entwicklung homosexueller Identitäten spielte, entstanden neben dem Fortschritt des medizinischen Wissens über queere Menschen auch zahlreiche Vereine, Treffpunkte und diverse Medien, die sich ausschließlich an die queere Communities richteten. Dieser Prozess wurde durch die Entwicklung der populären Massenkultur noch verstärkt. Innerhalb dieser Kreise schufen Frauen ihre eigene sichtbare Subkultur: Allein in Berlin gab es fast 50 Clubs und Bars ausschließlich für queere Frauen, deren Stammgäste auch unterschiedliche soziale und materielle Hintergründe hatten.
Teil der wachsenden queeren Subkultur in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg war auch die Aktivistin Lotte Hahm. Ihr Engagement war sowohl für Lesben als auch trans* Personen von großer Bedeutung. 1926 gründete sie den Damenklub Violetta, welcher schnell zu einer wichtigen Instanz der Berliner lesbischen Subkultur wurde. Der Damenklub – die Begriffe Dame und Freundin waren damals geläufige Codes für Lesbe – war nicht nur Ort des Vergnügens, sondern auch der Vernetzung und politischen Mobilisierung. Lotte Hahm versuchte früh, ein größeres unterstützendes Netzwerk aufzubauen. Sie etablierte eine Kontaktbörse, half deutschlandweit bei der Gründung neuer Gruppen für Lesben und trans* Personen (damals wurde der Begriff Transvesiten verwendet), wirkte bei Zeitschriften mit und schaffte Arbeitsplätze. Neben dem Damenklub Violetta gründete sie – teils gemeinsam mit ihrer Partnerin Käthe Fleischmann – mehrere weitere Lokale, wie die Monokel-Bude oder die Manuela-Bar. Das Programm der Lokale richtete sich nicht nur an lesbische Frauen, sondern umfasste auch sogenannte Transvestitenabende. Die Mobilisierung und Vernetzung von trans* Personen war Lotte Hahm ein wichtiges Anliegen. Ihr Aktivismus förderte vermutlich die Gründung der Vereinigung D’Eon für Transvestiten am Berliner Institut für Sexualwissenschaft 1930.

Auch in der bedeutendsten lesbischen Zeitschrift Die Freundin gab es regelmäßig Beilagen oder Sonderteile, die sich vor allem mit trans* Anliegen beschäftigten und der Verständigung zwischen unterschiedlichen queeren Positionen und Identitäten diente. So schreibt eine Leserin, die sich „Ca, eine Schwester an des Reiches Westgrenze“ nennt, in einer Ausgabe 1929:
„Und gerade Toleranz muß uns auszeichnen, wenn wir verlangen, daß man auch uns gegenüber tolerant ist. Das ist ja das Ziel unseres Kampfes und der Zweck‘ des Zusammenschlusses, daß auch uns ein Platz an der Sonne gegönnt wird, daß uns das Recht eingeräumt wird, nach unserer vom Schöpfer gegebenen Art zu leben, ohne deshalb gesellschaftlich und polizeilich geächtet zu werden. Sind wir nicht auch Menschen? Oder hat der Herrgott mit uns sein „Gesellenstück“ verbaut? Heißt es nicht das ganze weibliche Geschlecht verachten, wenn man uns, die wir innerlich Frauen sind (wenn auch in falscher Hülle) zu den Minderwertigen zählt.“
In den Worten wird nicht nur ein Bestreben um gegenseitiges Verständnis und Toleranz deutlich, sondern auch zeitgenössische Vorstellungen von trans* oder genderqueeren Identitäten.
Auf die Frage nach den Unterschieden zwischen den queeren Lebenswelten im Vorkriegs-Polen und in Deutschland sagt die Historikerin Joanna Ostrowska:
„Der Hauptunterschied, den ich zwischen Deutschland und Polen sehe, und das gilt nicht nur für die Zeit vor dem Krieg, sondern für das gesamte 20. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre, ist, dass die queere Geschichte Polens, um ehrlich zu sein, eine Geschichte des Vergnügens ist. Es ging nicht darum, eine Organisation zu gründen, es ging um das Zusammensein. Es ging um Sex, Spaß haben, Party machen. Undercover natürlich. Es war extrem sexy. Es war anders als in Deutschland, wo es eher hieß: Okay, lasst uns Sex und ein bisschen Spaß haben, aber dann lasst uns eine Organisation gründen oder eine Art Zeitung aufbauen.“
Sexuelle Umkehrung
Die Theorie der sexuellen Inversion war nicht nur eine gängige Theorie in den Sexualwissenschaften, sondern wurde auch von vielen queeren Menschen persönlich vertreten und anerkannt. Sie beschreibt Menschen, deren Wahrnehmung ihres inneren Geschlechts nicht mit ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen übereinstimmt und dass es eine angeborene sexuelle Umkehrung gibt. Es wurde von Männern ausgegangen, deren inneres Geschlecht weiblich ist und von Frauen, deren inneres Geschlecht männlich ist. Dies wurde oft mit einer männlichen oder weiblichen Seele in Verbindung gebracht. Mit dieser Theorie erklärten Wissenschaftler*innen und queere Menschen jedoch nicht nur trans* Identitäten, sondern auch sexuelle Orientierungen. Lesbische oder schwule sogenannte Invertiten wurden im Zuge dieser Theorie deshalb teilweise als latent heterosexuell bezeichnet, da die Sexualität nur aufgrund der Abweichung von innerer und äußerer Geschlechtswahrnehmung umgekehrt sei. Lesbische Frauen wurden häufig auch als conträrsexuelle Frauen bezeichnet. Das sexuelle Begehren anderer Frauen, der Wunsch nach Bildung, politischer Teilhabe oder körperlichen Betätigung wurde mit einem männlichen Geschlechtscharakter oder einer männlichen Seele verbunden.
Historisch finden sich viele queere Menschen, die ein ähnliches Verständnis ihrer eigenen Queerness äußerten – Anne Lister, Radclyffe Hall, Gertrude Stein und womöglich auch Lotte Hahm. Für viele ging mit dieser Selbstsicht auch ein Experimentieren mit Geschlechtsausdruck, Rollenvorstellungen und geltenden Kleider- und Frisurenvorschriften einher. Es verdeutlicht, dass unterschiedliche geschlechtliche Identitäten, sexuelle Orientierungen und der individuelle Geschlechtsausdruck teilweise zusammen und in ihren Überschneidungen gedacht wurden. Während die Wissenschaft jedoch in einem streng binären Geschlechterdenken blieb, beschrieben queere Menschen selbst ihre Identität oder sexuelle Orientierung häufig als viel fluider.
Historikerin Joanna Ostrowska hat viele queere Biografien recherchiert und Bücher über die Verfolgung queerer Menschen durch die Nazis geschrieben und erklärt: „Was ich sagen kann, ist, dass die Fluidität für viele der Protagonist*innen, die ich recherchiert habe, am wichtigsten war. Ja, manchmal hatten sie nicht die Kraft oder die Energie, oder sie wollten sich nicht festlegen bzw. festlegen lassen, oder sie benutzten zum Beispiel das Etikett homosexuell, weil dies die einzige Bezeichnung war, die sie kannten. Aber es gibt viele Quellen – von den Protagonist*innen selbst, nicht von den Täter*innen – in denen sie ihre Identität auf eine fließende Art und Weise ausdrücken. Zum Beispiel haben sie ihre Pronomen gewechselt, als sie in einem Tagebuch über sich selbst schrieben.“

Eine von Joanna Ostrowskas historischen Protagonist*innen, die ebenfalls über ihre fluide Geschlechtsidentität geschrieben hat, ist Krystyna Modrzewska: „Krystyna hat zahlreiche Bücher geschrieben. Es ist verrückt. Ich habe so viele Beispiele. Ich hatte noch nie die Situation, dass ich so viel über die Identität von jemandem weiß, nicht nur über die Geschlechtsidentität. Manchmal benutzte sie männliche Pronomen und einen männlichen Spitznamen und manchmal Sie-Pronomen. Und bis zum Ende benutzte sie Krystyna als ihren Namen. Die Fluidität war extrem präsent.“
Der Aufstieg der NSDAP und die Verfolgung von Homosexuellen in Nazi-Deutschland
Unmittelbar nach der politischen Machtübernahme der NSDAP im Jahr 1933 zerschlugen die Nationalsozialisten die queere Subkultur der Weimarer Republik. Das von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualforschung wurde durchsucht, seine Archive zerstört und seine Bücher verbrannt. Seit seiner Gründung im Jahr 1919 hatte das Institut mit seiner Arbeit einen wesentlichen Beitrag zu mehr Toleranz gegenüber Homosexualität und Transidentität geleistet. Unter den Nationalsozialisten waren die Regelungen zum Transvestitenschein unterschiedlich. Manchen Menschen wurde der Transvestitenschein entzogen, anderen wurde er nicht neu ausgestellt, mancherorts wurde er verlängert. Das zeigt, wie unterschiedlich trans* Menschen die NS-Zeit in Deutschland erlebt haben und wie sehr sie von der Gunst der Menschen in ihrem Umfeld abhängig waren.
Hertha Wind wurde 1897 in Ludwigshafen, Deutschland, geboren. Erst nachdem sie während des Ersten Weltkriegs bei der Marine gedient, geheiratet und zwei Söhne bekommen hatte, konnte sie akzeptieren, dass sie trans* war. Im Jahr 1930 suchte sie Magnus Hirschfeld auf, der ihr half und sie an Ärzte verwies. 1931 unterzog sie sich in Frankfurt ihrer ersten Geschlechtsumwandlung. Im Sommer 1933 wurde sie für ein Jahr in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und gezwungen, als Mann zu leben. Nach ihrer Entlassung unterzog sie sich in den Jahren 1939 und 1940 weiteren Operationen in Deutschland. Sie starb in Armut im Alter von 75 Jahren in Mannheim.
Es gab jedoch trans* Personen, die noch stärker von der Verfolgung durch die Nazis betroffen waren. Einige wurden in Konzentrationslager deportiert, zum Beispiel nach Paragraph 175, oder als sogenannte Asoziale oder Berufsverbrecher. In Hamburg wurden 1933 die Polizeibehörden angewiesen, „auf Transvestiten besonders zu achten und sie nötigenfalls in das Konzentrationslager zu überführen“. Liddy Bacroff, die sich selbst als Transvestit bezeichnete und ihren Lebensunterhalt als Sexarbeiterin verdiente, wurde dort im Sommer 1938 wegen „gewerbsmäßiger widernatürlicher Unzucht“ verurteilt. Nachdem sie ihre Strafe in einem Männergefängnis verbüßt hatte, wurde sie in das Konzentrationslager Mauthausen-Gusen gebracht, wo sie am 6. Januar 1943 im Alter von 34 Jahren ermordet wurde.
Kategorien und Labels in der historischen Forschung
Erst in den letzten Jahren hat sich die historische Forschung bemüht, das Leben von Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm und der Geschlechterbinarität entsprachen, während der NS-Zeit darzustellen. Joanna Ostrowska spricht von einem „Ozean von Quellen“, der noch nicht erforscht ist. Sie selbst findet es schwierig, diese Biografien im Rückblick mit heutigen Kategorien und queeren Labels zu betrachten:
„Was ich gelernt habe, ist, dass der sicherste Weg, den Protagonist*innen nicht zu schaden, darin besteht, keine Labels zu verwenden. Als Historikerin ist es meine Verantwortung, Menschen nicht zu schaden, indem ich ihnen Labels aufdrücke. Ich versuche immer, Quellen von ihnen selbst zu finden, nicht nur von Täter*innen. Und manchmal brauche ich viel Zeit, um zu begreifen, was da vor sich geht. Und ich spreche von sexueller Orientierung, ich spreche von Geschlechtsidentität, aber ich spreche auch von anderen Kategorien. Ich spreche von Nationalität, von Klasse, von all dem.“
Lesbische Identitäten und die Neue Frauenbewegung
Im Zuge der Neuen Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre bildete sich in der BRD eine starke kollektive lesbische Identität und Kultur heraus. Wie schon in der Vorkriegszeit wird Lesbischsein eine politische Dimension zugesprochen und als widerständig, teilweise sogar als Lösung gegen patriarchale Unterdrückung, gesehen. Eine der ersten lesbischen Gruppen, die sich im Rahmen der Neuen Frauenbewegung gründete, war die Homosexuelle Frauen Aktion Köln (HFA) 1972. Kurz darauf, nach einer Vorführung des Films Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt von Rosa von Praunheim, gründete sich die Homosexuellen Aktion Westberlin-Frauengruppe (HAW). Sie bezeichneten sich als schwule Frauen, organisierten Protestaktionen und solidarisierten sich mit den Kämpfen der Frauenbewegung.
Kaum Lesben in der DDR?
Während sich frauenliebende Frauen in der BRD immer selbstbewusster Lesben und schwule Frauen nannten, war die Lage in der DDR eine andere. Historiker*innen wie Ulrike Froböse gehen davon aus, dass sich die lesbische „Wir-Identität“ in der DDR weniger ausbildete, obwohl Frauen in der DDR in vielen Bereichen emanzipierter waren als in der BRD. Dies lag vor allem daran, dass sich die individuellen Identitäten von Frauen und Männern innerhalb der kollektiven sozialistischen Identität formten. Sie hatten es sowohl schwieriger in der individuellen Identitätsfindung als lesbische Frauen als auch, sich zu vernetzen und zusammenzufinden als Lesben. Dies und die Angst vor Repressionen führte dazu, dass sich nur wenig frauenliebende Frauen offen als lesbisch in der DDR bezeichneten. Die erste eigenständige Lesbengruppe der DDR war Lesben in der Kirche, die sich 1982 bildete. Auch hier definierte sich die Gruppe vor allem mehr über ihre gemeinsame politische Arbeit gegen Diskriminierung von sexuellen Minderheiten. Auch aus diesem Grund wurden ihre Mitglieder durch die Stasi überwacht.
Da es keine öffentlichen queeren Treffpunkte gab, trafen sich viele in Privatwohnungen zu Partys, kulturellem Programm oder politischem Austausch. Eine dieser Partywohnungen gehörte Rita „Tommy“ Thomas. Tommy fiel schon in der Jugend durch einen androgynen Kleidungsstil und allgemeine Unangepasstheit auf. Auch ging Tommy mit der Liebe zu Frauen immer sehr offen um und wohnte von 1950 bis zum Tode mit Lebenspartnerin Helli zusammen. In den 1970er Jahren wurde Tommy Mitglied der Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin (HIB) bei, dem ersten Zusammenschluss von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans* Personen in Ost-Berlin.
Trans* sein in der DDR
Die Sichtbarkeit von trans* Personen war in der DDR noch eingeschränkter als die Sichtbarkeit von Lesben. Obwohl in der DDR vier Jahre vor dem „Transsexuellengesetz“ in der BRD 1980 eine „Verordnung über die Geschlechtsumwandlung von Transsexuellen“ erlassen wurde, wurde sie nicht veröffentlicht und war daher der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt.

Die Schriftstellerin Jayne-Ann Igel wuchs in der DDR auf und erfuhr erst 1989 von dem Erlass. Als trans* Frau hatte sie lange Zeit keinen Begriff für ihre Identität und keine Möglichkeiten, sich mit anderen auszutauschen. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer hatten viele trans* Menschen in Deutschland die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu vernetzen. In der Folge war nicht nur der Austausch zwischen trans* oder genderqueeren Menschen jahrzehntelang stark eingeschränkt, sondern auch zwischen queeren Menschen mit unterschiedlichen Identitäten im Allgemeinen, zum Beispiel trans* Personen und Lesben.
Lesbische Sichtbarkeit und queere Solidarität heute
Heute besteht die lesbische Szene aus vielen verschiedenen Blasen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie alle von der zunehmenden Queerfeinlichkeit betroffen sind. Einerseits gibt es gesellschaftlich eine wachsende Akzeptanz durch Fernsehformate wie die lesbische Dating-Show „Princess Charming“ und die Tatsache, dass sich viele Spielerinnen der Fußballnationalmannschaft geoutet haben. Andererseits spiegelt sich der gesellschaftliche Rechtsruck auch darin wider, dass Teilnehmer*innen von CDS in den letzten Jahren vermehrt angegriffen wurden.
Um strukturelle Diskriminierung, aber auch den Anstieg von Trans*feindlichkeit weltweit zu bekämpfen, ist es wichtig, die Solidarität zwischen queeren Gemeinschaften zu stärken. Die Beschäftigung mit queerer Geschichte kann uns helfen, die Verbindungen und Solidarität auch in Zukunft aufrecht zu halten.
Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von n-ost veröffentlicht und in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.
Bildquellen:
Titelbild: Pixabay
Bild 1: Illustration: Jona Wendel, oben rechts: Krystyna Modrzewska, fotografia [lata 40. XX w.], Archiwum Fotografii Ośrodka „Brama Grodzka – Teatr NN” w Lublinie, unten links: Gert Liehr and his uncle _Gehse. Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Berlin, Magnus Hirschfeld, Geschlechtskunde. Bildteil, p. 326, © qualitatively reworked by Clara Hartmann.
Bild 2: Illustration: Jona Wendel, Fotografie: Petra Gall, Karamba SchlosserinnenKollektiv 1985 K1 N1, Schwules Museum Berlin, Inventarnummer:F-NL-PGA-2-613
Bild 3: Illustration Jona Wendel, Die Freundin 1929 – Ausgabe 1, Archiv des Forum Queeres Archiv München