Wie kann es gelingen, dass die Städte und Gemeinden in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des sozial-ökologischen Transformationsprozesses hin zur Treibhausgasneutralität leisten können?
Die klimapolitischen Herausforderungen werden in den nächsten Jahren zunehmen. Es geht nicht mehr nur darum, aus der fossilen Stromproduktion auszusteigen oder die Emissionen in der Industrie zu reduzieren. Jede und jeder wird vom sozial-ökologischen Umbau betroffen sein.
Im Verkehrssektor haben wir nicht nur die Antriebswende hin zur E-Mobilität vor uns; es geht auch um intelligente Verkehrsführung, Ausbau und Attraktivität des ÖPNV und Langstreckenbahnreisen und um den Ausbau der Radwegeinfrastruktur. Es wird kaum mehr einen Aspekt des Verkehrs geben, bei dem es nicht zu fundamentalen Veränderungen kommen muss. Vieles davon wird sich ganz konkret vor Ort in den Kommunen entscheiden. Ähnliches gilt für das Heizen unserer Gebäude. Mit dem seit 01. Januar eingeführten CO2-Preis wird nicht nur das Benzin an der Tankstelle teurer, sondern auch das Heizen mit fossilen Energieträgern. In den Kommunen muss es deshalb heißen: Solaranlagen auf Neubauten, modernen Heizanlagen, Fernwärme, Mieterstrommodellen, sowie ambitionierten Renovierungsoffensiven gehört die Zukunft.
Doch selbst wenn es gelingt, das Klima konsequent zu schützen, so erleben wir bereits heute die Folgen des Klimawandels. Extremwetterereignisse wie heiße, trockene Sommer oder plötzliche sintflutartige Regenstürme machen es dringend erforderlich, sich gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen. Die gute Nachricht lautet: Wenn wir heute die passenden Maßnahmen in Angriff nehmen, können wir mit den Folgen des Klimawandels besser umgehen. Klimaanpassungsmaßnahmen wie zum Beispiel eine größere Verschattung auf Spielplätzen der Kitas oder Belüftungsanlagen in Seniorenstätten sind nur zwei von vielen Beispielen, die bereits heute durch Bundesmittel gefördert werden und deren Notwendigkeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen wird. Viele dieser ganz konkreten Bedarfe finden sich in kommunaler Verantwortung.
Es gibt schon heute viele Städte, die Klimaschutz zur Chef- oder Chefinnensache erklärt haben; Kommunen, die mit innovativen Ideen Mieterstromprojekte, Windparks und treibhausgasneutrale Stromversorgung sicherstellen. Ich habe Kommunen erlebt, in denen ganze Quartiere energetisch top saniert werden, ohne dass die Mieter*innen sich anschließend unbezahlbaren Mieten ausgesetzt sehen. Das müssen wir flächendeckend machen. Kommunen müssen dabei unterstützt werden, um so noch stärker zu Treibern der notwendigen Transformation zu werden.
Doch wie schaffen wir es, dass es den größeren Städten trotz vielfältiger Herausforderungen gelingt, den sozialen Zusammenhalt zu sichern und den Bewohner*innen nachhaltige, umweltfreundliche und integrative Nachbarschaften zu bieten? Dass die kleineren Gemeinden und ländlichen Räume ihre Infrastruktur und Versorgung (Ärzte, Schulen, Supermärkte, ÖPNV etc.) erhalten und ausbauen und so eine hochwertige und nachhaltige Lebensqualität sichern können?
Meines Erachtens braucht es dafür mindestens folgende 5 Dinge:
1. Ohne einen starken Staat wird die Transformation nicht gelingen. Jahrzehnte lange Erfahrung lehrt uns, dass es der Markt allein nicht richten wird. Zwar schwenken mittlerweile viele Industriebranchen um und setzen vermehrt auf zukunftsgerichtete, treibhausgasneutrale Technologien – doch das ist zuvorderst auf die ambitionierten Zielsetzungen und damit auch ordnungsrechtliche Rahmengebung des Staates zurückzuführen. Abkommen wie das Pariser Klimaschutzabkommen und daraus resultierende Beschlüsse wie die EU-Klimazielanhebung auf mindestens minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 bringen bessere Planungssicherheit, aber erzeugen eben auch einen gewissen Zugzwang.
Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 und seinem Herzstück, dem Klimaschutzgesetz haben wir in dieser Legislaturperiode nicht nur deutlich vorgelegt, sondern auch einen rechtsicheren Rahmen für die Klimaziele geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil kritisiert, dass für die Zeitspanne 2030 bis 2050 keine ausreichend genauen Vorgaben gemacht wurden. Damit erhält die Bundesregierung den Regelungsauftrag, der von der SPD bereits vorgeschlagen wurde, jedoch gegen den größeren Koalitionspartner CDU/CSU nicht durchzusetzen war. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestärkt mich in der Überzeugung, dass nur ein starker Staat mit Weitsicht und Planungssicherheit den Wandel sinnvoll begleiten kann. Und deshalb bin ich zuversichtlich, dass das von mir vorgelegte neue Klimaschutzgesetz mit höheren Klimazielen jetzt auch im Bundestag beschlossen wird.
2. Die Instrumente des Staates sind dabei vielfältig. Natürlich geht es maßgeblich um Rahmensetzungen, ordnungsrechtliche Vorgaben und Zielfestlegungen. Aber es braucht auch einen breiten Fördermix, der die Kommunen und Unternehmen bei ihren Vorhaben unterstützt. Es ist vollkommen klar, dass kommunaler Klimaschutz keinen „eine Lösung passt für alle“-Ansatz enthalten kann. Die Städte und Gemeinden in Deutschland sind so unterschiedlich, dass es auch nur individuelle Lösungen geben kann. In der einen Kommune gibt es bereits einen Anschluss an einen Windpark, in anderen ist die Gebäudestruktur besonders gut, in der dritten ist ein stromintensives Unternehmen ansässig. Jede dieser Kommunen braucht andere Förderung, um den Klimaschutz weiter voran zu bringen. Deshalb ist es wichtig, dass ein möglichst breiter, flexibler Fördermix angeboten werden kann, aus dem die Kommunen das passende zusammenstellen können. Eine Experimentierklausel sollte dabei obligatorisch sein.
3. Die besten Förderprogramme bringen nichts, wenn sie nicht abgerufen werden. Das sehen wir heute bereits an vielen Programmen. Ich habe häufiger die Rückmeldung bekommen, dass es für Kommunen z.T. wenig attraktiv ist, sich mit ihren knappen Personalressourcen durch die Förderanträge zu wühlen, um auf Seite 15 festzustellen, dass die eigene Kommune bei dem Förderprogramm durch irgendeine Sonderbestimmung gar nicht förderfähig ist. Dass das einerseits frustrierend ist, ist genauso nachvollziehbar wie die Notwendigkeit der genauen Benennung von Förderbestimmungen. Ich bin davon überzeugt, dass jede Stadt und jede Gemeinde bereits heute passende Fördermöglichkeiten zum Schutze des Klimas finden könnte. Aber ich sehe auch, dass dieses Thema häufig nicht auf Priorität eins steht.
Damit die Förderprogramme zielgruppengerecht aufgestellt sind und die Mittel abfließen können, sollten zukünftig noch mehr Kommunen durch kommunale Klimaschutzberater*innen und eine Servicestelle unterstützt werden. Dabei müssen die Gegebenheiten der jeweiligen Kommune im Mittelpunkt der Beratung stehen und jeweils ein passgenauer Mix zusammengestellt werden.
4. Hilfreich sind auch Vorbilder: erfolgreiche Kommunen, die konsequent den Klimaschutz voranbringen. Häufig sind in der öffentlichen Wahrnehmung nur die eher großen und wohlhabenderen Kommunen mit Klimaschutzaktivitäten sichtbar. Um wirklich Schwung in die Bewegung zu bekommen, müssen wir aber auch die kleinen Beiträge zeigen, denn auch die zahlen auf das Konto des Klimaschutzes insgesamt ein – und jede Stadt und Gemeinde, die sich heute als Klimaschutzvorzeigekommune präsentieren kann, hat mal mit einem (kleinen) Vorhaben begonnen. Und je mehr Vorbilder wir generieren, desto mehr werden ihnen folgen.
5. Das alles bringt jedoch nichts ohne den notwendigen gesellschaftlichen Rückenwind. Der sozial-ökologische Umbau wird in den nächsten Jahren das Leben jedes und jeder einzelnen betreffen. Sei es durch den ansteigenden CO2-Preis fürs Heizen, der Ausbau von Radwegen oder notwendige Klimaanpassungsmaßnahmen in der Kita des eigenen Kindes. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass „alles einfach immer teurer wird“. Es muss gelingen, die Veränderungen mit einem mehr an Lebensqualität zu verbinden. Und hierbei sind die Kommunen zentral. Sie sind das Zuhause, hier fühlt man sich wohl und hier erlebt man Veränderungen in der Gemeinschaft. Lassen Sie uns dies gemeinsam zu einem Erfolgsprojekt machen: in Stadt und Gemeinde, Land und Bund.
Link zu Abschlussdokumentation WSW: Zukunftsbild 5, Meilensteine und Lösungswege: https://www.bmu.de/wir-schafft-wunder/zukunftsbild-wohnen/
Zur Gastautorin: Svenja Schulze ist seit dem 14. März 2018 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Vom 15. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2017 war sie Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen.
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