Auf die Frage, ob er sich „als Jude an einer Schule mit hohem Anteil an türkisch- oder arabischstämmigen Kindern offen zu (seiner) Religion bekennen“ würde, antwortete Aycan Demirel: „Nein, würde ich nicht. Ich würde mich nicht in Gefahr bringen wollen.“ Demirel hat Anfang des neuen Jahrhunderts die außerordentlich verdienstvolle „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ (KIgA) mitgegründet, deren Direktor er wurde, Frage und Antwort stammen aus einem Gespräch der Jüdischen- Allgemeinen mit ihm. Zeit: November 2006.
Daraus schließe ich, dass sich der neue Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland fest etabliert hat. Antisemitismus, der Zuwanderung und der Vermittlung über Erziehung und Medien in zugewanderten Familien entspringt. Dieser Antisemitismus zeigt Wirkung.
In verschiedenen Städten sind während der vergangenen Tage tausende durch die Straßen gezogen, haben Freiheit für Palästina gerufen, manche haben „Israel Kindermörder“ geschrien und anderes mehr. In Berlin, Stuttgart, Hamburg oder Frankfurt und Gelsenkirchen. Samstagabend, Tagesschau: Die berichtete über „Demonstrationen gegen Eskalation im Nahen Osten“. Viele Demonstrierende verurteilten die Gewalt im Nahen Osten, hieß es. Eine Demonstrantin erklärte, man sei „nicht glücklich über die Raketen“. Und dann hörten die Tageschau-Nutzer kurz darauf Geschrei: „Kindermörder Israel, Frauenmörder Israel“. Ein Hinweis in der Tagesschau auf den antisemitischen Charakter der Demonstrationen in Berlin unterblieb.
Weil die Demonstrierenden in Berlin die Hygieneschutzregeln nicht eingehalten hätten, erläuterte eine Reporterin der Tagesschau, sei die Demonstration aufgelöst worden: „Es kam zu Ausschreitungen.“ Das ist im deutschen Fernsehen immer so: Gerät etwas aus dem Ruder, fliegen Steine, Flaschen, wird Pfefferspray eingesetzt, kommen diese vier Worte zum Einsatz: „Es kam zu Ausschreitungen“. Es kam dazu, es kam über die Leute, es kam etwas von hinten oder von vorn, es kam dazwischen. Die Tätigkeitsworte zündeln, provozieren, angreifen, attackieren, die scheinen plötzlich nicht mehr auffindbar zu sein.
Und die Wirkung reicht bis in Stadtverwaltungen hinein. Beispiel Abhängen einer Israel-Flagge in der Stadt Hagen durch die Verwaltung. Berichterstattung zum Fall durch die Jüdische-Allgemeine: „Zuvor hatte die Kommune auf Bitten der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft vor ihrem Rathaus die israelische Flagge gehisst, um auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 hinzuweisen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten sei das Hissen der Flagge aber von vielen Menschen als einseitige Solidaritätsbekundung aufgefasst worden, hieß es nun seitens der Stadt. In der Verwaltung und bei der Polizei seien am Mittwoch viele Beschwerden eingegangen. Am Mittag habe die Polizei die Kommune dann dringend aufgefordert, die Fahne sofort abzuhängen. Damit habe sich die Stadt Hagen keineswegs in dem aktuellen Konflikt politisch positioniert, betonte der parteilose Oberbürgermeister Erik O. Schulz.“
In der Welt war ergänzend zu erfahren: „Das nordrhein-westfälische Innenministerium widersprach am Abend der Darstellung der Stadt. Ein Sprecher erklärte, dass die Stadtverwaltung die Entscheidung, die Fahne abzuhängen, selbstständig gefällt habe. „Es gab keine Aufforderung dazu seitens der Polizei Hagen.“
Man könnte – angelehnt an die Tagesschau – schreiben: Es kam in Hagen zur Flaggenabhängung.
Aufschlussreich ist in der Darstellung der Stadt Hagen der Satz: Das Hissen der Flagge (sei) aber „von vielen Menschen als einseitige Solidaritätsbekundung aufgefasst worden“. Was mag nach Ansicht der Stadt eine einseitige von einer „zweiseitigen Solidaritätsbekundung“ unterscheiden? Eine für Alexei Nawalny und daneben eine für Wladimir Putin? Hatte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier dieser Tage nicht „uneingeschränkte Solidarität“ mit den Menschen in Israel gefordert? Hatte sich das bis Hagen nicht herumgesprochen?
Steinmeier hatte zudem gesagt, dass Leute, die den Davidstern verbrennen würden und antisemitische Parolen brüllten, Straftaten verüben, die geahndet werden müssten. Kann es sein, dass die Tagesschau– Redaktion das nicht mitbekommen hat und die Stadtverwaltung Hagens von der Außenwelt abgeschnitten war? In Würzburg wurde vor dem Landratsamt nachts eine Israel-Flagge heruntergerissen. Am nächsten Tag hat der Landrat eine neue aufhängen lassen.
Über Ansichten und Vorstellungen der antisemitischen Demonstrationen und Anschläge erfährt Mensch wenig. Offensichtlich ist man unter Berichterstattern bemüht, niemanden zu diskriminieren und wie es heute heißt: zu „stigmatisieren“.
Das muss man vielleicht heute erklären. Das Wort stammt aus dem alt- griechischen, es bedeutet Zeichen. In der erzkatholischen Vorstellungswelt gibt es Menschen, an deren Körper sich Wunden auftun, die denen ähneln, die der Überlieferung nach Jesus Christus gegen Ende seines Lebens auf dem Körper trug: Wunden an Händen und Füßen, an der Seite und auf dem Kopf – resultierend aus einer gewaltsam aufgesetzten Dornenkrone. Man fürchtet heute eine „Stigmatisierung“ bereits, wenn behauptet wird, Menschen aus Zuwanderer-Familien neigten dazu, Impfen gegen das Corona-Virus zu vernachlässigen.
Einen Hinweis auf die Gefahren, die aus antisemitischen Aufmärschen resultieren, gab dieser Tage der FAZ-Redakteur Thomas Thiel („Die beschwiegene Quelle des Judenhasses. Die Polizeistatistik zum Antisemitismus ist verzerrt, Innenminister Seehofer gibt das schiefe Bild weiter“)
Nach seiner Recherche ist die Zahl der von Islamisten begangenen Gewalttaten wesentlich höher als offiziell angegeben. Viele Taten würden in der Statistik Rechtsextremisten zugeordnet. Thiel schrieb: Um Missverständnissen vorzeugen – „dass vom Rechtsextremismus eine sehr große Gefahr für Juden ausgeht, ist völlig unumstritten.“ So übten sich bekanntermaßen Hitzbullah-Anhänger auf ihren Al Quds- Märschen im Hitler-Gruß, was in der offiziellen Statistik regelmäßig als rechtsradikale Straftat gewertet werde. Da gib es wohl so oder so einiges aufzuklären.
Der Begriff Antisemitismus ist irreführend und ahistorisch und gegen „Anti…“ sowieso! Zutreffend wäre „Judenhass“.
Ebenso finde es richtig, von nationalistischem Massenmord in Deutschland zu reden und zu schreiben, denn Holocaust und Shoah sind religiöse Begriffe, die noch dazu einen ewigen Opfermythos beschwören und damit die deutschen Verbrechen exculpieren.
Sehr geehrte Frau Dr. Bäumler, ich nehme an, dass Sie Ihre Bemerkungen über den neuen Antisemitismus aus sehr, sich überstürzender emotionaler Verärgerung geschrieben haben.
Das Wort „Antisemitismus“ ist weder ahistorisch noch irreführend. Antisemitismus ist das Wort in unserer gemeinsamen Sprache, das eine angebliche Ungleichheit der Juden und auch eine Unfähigkeit der Juden für eine deutsche Nation zum Ausdruck bringen soll. Kann man, sofern man das will, beim alten Johann Gottlieb Fichte nachlesen. Ahistorisch? Der Antisemitismus hat sich „im Gleichschritt“ mit Nation und Rassen-Gequatsche entwickelt, für das man das Wort „Rassentheorie“ benutzte. Besonders „fruchtbar“ in Deutschland. Die beiden Worte Holocaust und Shoáh sind historisch gewachsen. Der Holocaust ist seit Anfang des vorigen Jahrhunderts eingeführt als Begriff für Massenwort an Ethnien. Die Shoáh ist eine eigene Bezeichnung von Überlebenden des Genocids an den europäischen Juden, entlehnt Jesaja 10,3: „Was wollt ihr tun am Tage der Heimsuchung und des Unglücks, das von fern kommt? Zu wem wollt ihr fliehen um Hilfe?“ Warum sollten wir heutigen das ändern?
Ich halte Ihren Hinweis auf die Beschwörung eines „ewigen Opfermythos“ in diesem Zusammenhang für missraten. Gestrige lassen sich nicht durch den Verzicht auf das Wort Holocaust von ihrem Schwachsinn abhalten. Gleiches gilt für die Behauptung, so entstünde die Gefahr des Exkulpierens der deutschen Verbrechen, also der Entledigung von Schuld.
Ich komme nach mal auf den ollen Fichte et ceteri zurück. Hätten Sie Recht, wäre die Existenz von Juden Begründung für Nation und Rasse. Es war aber genau andersherum.
Klaus Vater