„Sanfte Rebellion“ hatte Naghmeh Hosseini ihren Bericht über den Iran in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ überschrieben. Die 53jährige Mutter von zwei Kindern lebt in Teheran. Sanfte Rebellion, Schritt für Schritt verändert sich das Land, sanft, damit es nicht auffällt, niemanden und vor allem die Mullahs nicht erschreckt. So habe ich meinen Bericht über eine zehntägige Rundreise durch den Iran im Frühjahr 2015 angefangen, die Zitate in der „Zeit“ mit meinen Eindrücken vermischt. Und weiter geschrieben: „Nein, das ist kein Umsturz, keine Aktion, die auf Gewalt aus ist, sanft und fröhlich treten sie auf, die jungen Frauen, die das neue Gesicht dieses alten, uralten Landes ausmachen. Das bunte Kopftuch, das eher wie ein Schmuckstück aussieht, ist nach hinten gerutscht, die Frisur wird betont. Und wenn sie ihre Köpfe in die Höhe werfen, zeigen sie ihre Schönheit und ihr Selbstbewusstsein.“
Wir, die Reisenden aus Deutschland, haben uns damals gewundert, was wir gesehen haben im Iran. Wir haben uns gefreut, wie freundlich man uns auf jeder Etappe dieser Reise begegnete, wie zuvorkommend, aber auch mit einigem Stolz. Wie die jungen Frauen, Schülerinnen, auf uns zutraten mit der Bitte, ein Foto von ihnen zu machen, wie sie uns dann in ihre Reihe nahmen für ein Gruppenbild. Sie fragten uns, ob wir das erste Mal im Iran seien und wie es uns gefiele? Und bitte, wir möchten auf jeden Fall wiederkommen.
Unmut über die wirtschaftliche Lage
Diese jungen Damen versteckten sich nicht mehr hinter irgendwelchen Tüchern oder Umhängen oder hinter ihren Männern. Zwei Jahre nach der Ablösung des unsäglichen Achmadineschad und zwei Jahre unter der Regierung von Dr. Hassan Rohani. Das war 2015. Und wenn wir die Gelegenheit hatten, mit dem einen oder anderen Iraner zu sprechen, was angesichts ihrer Offenheit und ihres offensiven Auftritts gar nicht so schwer war, hörte man Unzufriedenheit heraus, ihren Unmut über ihre eigene wirtschaftliche Lage, über die Korruption, darüber, dass die Herrschenden das viele Geld aus der Öl-Produktion für militärische Einmischungen im Irak, in Libanon, Jemen und in Syrien ausgäben, aber nicht für ihre Landsleute.
Der Ärger saß damals schon tief, weil die Menschen in diesem hochentwickelten Land von dem Reichtum des Iran wenig haben. Ja, sie stuften ihre Heimat als um Jahrzehnte zurückgeblieben ein.
Wenn man heute nach den Gründen für die Unruhen und die Demonstranten sucht, kann man sie dort finden. Der Stolz auf ihre alte, uralte Geschichte ist das eine, davon erzählen sie gern. Der Iran ist ein altes Kulturland, im Nationalmuseum in Teheran finden sich Ausgrabungsstücke, die 7000 Jahre alt sind oder älter, darunter ein Besteck. Die Menschen im Iran, man kann auch von Persien sprechen, haben schon mit Messer und Gabel gegessen, als die alten Germanen noch auf den Bäumen saßen. Und heute?
Ein junges Land
Der Iran ist ein junges Land. 60 Prozent der Menschen sind nicht mal 30 Jahre alt, das macht sie stark, die jungen Iraner und Iranerinnen, weil sie die Mehrheit sind. Man sieht das auf den Straßen, im Basar, in den Parks, den Teestuben. Und die Jungen sind anders als die Alten mit ihren schwarzen Umhängen, die sie gelegentlich mit der einen Hand fest um Hals und Gesicht legen, während sie in der anderen Hand die Einkäufe tragen. Jung und Alt, man sieht sie nebeneinander, da fällt es besonders auf.
Die ARD-Korrespondentin im Iran, Natalie Amiri, trägt bei ihren Berichten aus und über das Land und ihre Leute immer Kopftuch, darauf weist die „Süddeutsche Zeitung“ in einem feinen Bericht auf ihrer Medienseite hin. Sie trägt Kopftuch, weil in der islamischen Republik das alle Frauen tragen müssen, unabhängig von Glauben oder Nationalität. Und Natalie Amiri trägt einen Kurzmantel, der wie bei allen Frauen die Hüften bedecken muss. Sie müsse sich an die öffentliche Schleierpflicht halten, zitiert die SZ die Korrespondentin. Diese Schleierpflicht gelte selbst für höchstrangige Staatsgäste. Wenn Angela Merkel den Iran besuche, müsse sie ein Kopftuch aufsetzen. Bei unserer Reise war das ähnlich, aber es wirkte nicht mehr so streng, man zieht das bunte, modische Tuch nach hinten, fast in den Nacken, damit das Gesicht und die Haare frei bleiben, damit Rouge und Lippenstift betont werden können. Und dazu trägt man Jeans und im Sommer offene Schuhe.
Das kann ein Streitpunkt werden. Der Kopftuchzwang begann mit der Islamischen Revolution des Ayatollah Khomeini, Schminke sollte fortan auch nicht mehr aufgetragen und auf das Zeigen von Reizen verzichtet werden. Wer sich weigerte, bekam von den Sittenwächtern eins auf den Kopf oder mehr. Dass das vielen Frauen nicht passt, kann man verstehen und konnte man schon 2015 hören und sehen. „Und wenn wir zu Hause in unseren Wohnungen sind, fliegt das Kopftuch in die Ecke“, so schilderten es damals junge Frauen, die zudem ihren Koran kannten, der das Kopftuch nicht vorschreibe. Und damals konnte man bei Süddeutsche.de lesen, dass sogar die Enkelin des Staatsgründers Khomeini, Sarah Esdragi, sich dafür ausgesprochen habe, die Kleiderordnung abzuschaffen.
Frauen auf der Überholspur
Die Frauen im Iran sind auf der Überholspur, so schrieb ich es 2015 in meinem Bericht über Impressionen einer Reise durch das Land. In der Schule seien sie nicht selten die Besten und ihr Ehrgeiz mache sich auch in den Universitäten spürbar, so deutlich, dass es inzwischen die Männer seien, für die man Quoten schaffe, damit sie ihren führenden Einfluss in der Gesellschaft behalten könnten. Ob die jungen Frauen sich das auf die Dauer gefallen lassen, steht dahin.
Ein altes hochentwickeltes, aber zurückgefallenes Land mit Merkwürdigkeiten, Traditionen, über die wir als Touristen den Kopf geschüttelt haben. In den Bussen des öffentlichen Verkehrs sitzen die Männer vorn und die Frauen hinten, mit einer Ausnahme: Allein reisende Frauen dürfen direkt hinter dem Fahrer Platz nehmen. Es gibt getrennte Strände am Meer, Swimming Pools in Hotels nur für Männer, aber Frauen dürfen inzwischen Fahrrad fahren. Das alles bot sich uns vor knapp drei Jahren. Und wenn wir nach den Gründen fragten, erhielten wir, etwas zurückhaltender und leiser formuliert, die Erklärung: durch die Mullahs hätte der Gottesstaat die natürliche Weiterentwicklung Irans zu einer Industriemacht und einer Touristenhochburg in der Größenordnung der Türkei verhindert. Das Embargo, ausgesprochen nach der Erstürmung der USA-Botschaft in Teheran durch die Revolutionäre und die erfolgte Geiselnahme des Botschafts-Personals durch die iranischen Machthaber, habe das Land zusätzlich isoliert.
Schon damals wurde uns hinter vorgehaltener Hand gesagt, diese Veränderungen dürfe man nicht überziehen und nicht laut bejubeln. Die selbsternannten Sittenwächter seien zwar aus dem Straßenbild verschwunden, aber niemand könne garantieren, dass diese Sittenpolizei nicht erneut hart eingreife und wie früher Frauen einfach festnähme, bedrängte oder mehr, wenn sie weiter gegen die Kleiderordnung verstießen. Und wenn die Frauen demonstrierten? Die Demonstrationsfreiheit ist in der Verfassung garantiert, aber reicht das im Falle von Willkür staatlicher Macht aus?
Tolerant und freundlich
Auf unserer zehntägigen Busreise quer durch das Land haben wir den Iran von seiner toleranten und freundlichen Seite erlebt, von seiner touristischen wie historischen. Nie wurden wir belästigt oder wurde etwas untersagt. Es ist ein vielschichtiges Land, in dem niemand arm sein müsse, hörten wir aus einigen Gesprächen, die darauf schließen ließen, dass das Potential der Armen nicht von der Hand zu weisen ist, obwohl man Arme kaum sieht. Man ist ja vor allem Tourist. Wir sahen ein vielschichtiges Land mit Wüsten und Oasen, mit Landwirtschaft, Gärten voller Nachtigallen, mit Zitronen, Melonen, Datteln, Nüssen und Orangen, Pistazien, hohen Bergen und großen Städten wie kleinen Dörfern, ein Land mit Hochhäusern und Lehmhütten, in dem der Tourist quasi an jeder EckeTeppiche der Extra-Klasse kaufen kann. In den Basaren findet man Rosenöl und Safran und alle erdenklichen Lebensmittel. Es ist ja das Land, durch das die berühmte Seidenstrasse verläuft, mit prächtigen Palästen und ebenso wunderschönen Moscheen, ein Land, das Dichter hervorgebracht hat wie Hafiz, den Johann Wolfgang von Goethe in seinem „West-östlichen Divan“ besungen hat, das Land von Tausendundeiner Nacht mit Karawansereien und und und. Einst ein Weltreich, das bis Ägypten und Indien reichte, mit klingenden Namen wie Darius und Xerxes, ein Land, das oft von fremden Mächten besetzt und bevormundet worden war, was die Iraner heute noch stört.
Das Land gilt als die Wiege der Menschheit, worauf der Iraner gern hinweist. Vor dem Grabmal des Kyros, eines Herrschers aus dem fünften Jahrhundert vor Christus, der einst die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft befreite und die Grundrechte verkündete, hält der Besucher gern inne, hier also wurde die Basis für die Menschenrechte gelegt: Freiheit für die Sklaven, Religionsfreiheit, Rassengleichheit. Es klingt wie aus ferner Zeit, aber immer noch modern. Vor 3000 Jahren empfing der mächtige Perser-König Darius die Delegationen aus 28 Nationen, man kann das im Original besichtigen in Persepolis. Und heute? fragt der kritische Iraner, was haben wir heute? Das an Ressourcen reiche Land ist durch das Embargo der USA und weiter Teile des Westens lange isoliert gewesen, Investoren blieben lange aus, einst prächtige Hotels verkümmerten auf dem Stand der 70er Jahre und wirken heute alt, überholt. Und mit dem Embargo wanderte ein Teil der Intelligenz des Landes aus. In die USA und nach Europa.
Ein reiches und teils armes Land. „Wenn man uns ließe, was wir könnten“, so einer unserer damaligen Gesprächspartner, „wären wir weiter, viel weiter. Wir wären so modern und stark wie Deutschland.“
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