Als Johannes Rau 1999 zum Bundespräsidenten gewählt worden war, bedankte er sich beim Wahlkonvent mit wenigen Worten und erinnerte an das Grundgesetz, Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. “ Dann fügte Rau erläuternd hinzu, im Grundgesetz heiße es ausdrücklich, die Würde des Menschen und nicht nur die Würde der Deutschen. Eine Selbstverständlichkeit, oder? Das neue Staatsoberhaupt löste jedoch mit diesen Worten Gemurmel auf der Unionsseite aus, eine leise Unruhe, die eindeutig signalisierte, dass ein Teil der Wahlfrauen und Wahlmänner mit dieser Auslegung nicht einverstanden war. Mich hat es mehr als gewundert, weil nichts an den Worten Raus war anstößig oder hätte als anstößig empfunden werden können. Die Würde des Menschen, ist unantastbar. Punkt. Das gilt für jeden hier lebenden Menschen, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion. Die Menschenwürde gehört zu den höchsten Werten unserer Verfassung. Und wenn dieser Wert von einer politischen Partei verachtet wird, verhöhnt, wenn diese Partei Feindschaft sät, Hass, Rassismus, dann müssen wir als Demokraten diese Partei bekämpfen. Weil sie keine demokratische Partei ist. Weil sie unsere Grundwerte zerstören will. So ist das mit der AfD. Die längst keine Professoren-Partei mehr ist, keine, die nur den Euro verhindern wollte.
Zu den Werten unseres Gemeinwesens gehört die Toleranz, die wir üben gegenüber Minderheiten, Behinderten, Ausländern. Aber diese Toleranz hat ihre Grenze dort, wo sie von den Feinden missbraucht wird. Einer der großen Sozialdemokraten, Prof. Carlo Schmid, der zu den 61 Vätern des Grundgesetzes gehörte, sagte: „Mut zur Intoleranz denen gegenüber, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“ Mut zur Intoleranz. Daran hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck vor ein paar Wochen bei einem Festakt in Bonn anlässlich des Beginns der Arbeit des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 erinnert. „Es liegt an uns“, betonte Gauck. Demokratie brauche den „Bürger, der den Staat nicht nur als Fürsorgeinstitution begreift, der ihn gegen möglichst alle Risiken im Leben absichert, sondern der sich selbst zum Mitgestalter des Gemeinwesens erklärt“. Gauck zitierte den oben erwähnten Satz von Carlo Schmid und forderte von allen Bürgerinnen und Bürgern Engagement und plädierte für eine wehrhafte Demokratie.
Erfolgsgeschichte
Das hatte mehrfach der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefordert. Weil nichts selbstverständlich ist und nichts von Dauer, wenn man nicht darauf achtet, dafür kämpft, damit es erhalten bleibe. Ja, es stimmt, wir rühmen die Erfolgsgeschichte des einstigen Provisoriums Grundgesetz, das auf den Trümmern des Nazi-Reiches entstanden ist und längst Grundlage der demokratischen Bundesrepublik geworden ist, ein Land, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind, es Presse- und Meinungsfreiheit gibt, Versammlungsfreiheit, ein allgemeines und geheimes Wahlrecht, überhaupt Freiheit herrscht. Aber, warnte Gauck, „die Freiheit kann aus der Freiheit heraus abgeschafft werden. Demokratie kann sich selbst auf quasi-demokratische Weise zerstören.“
Die beste Demokratie, die wir in Deutschland je hatten. So hat es Bundeskanzler Olaf Scholz gesagt, so würden es auch Friedrich Merz(CDU) und Markus Söder(CSU) sagen. Aber eine solche Demokratie muss auch verteidigt werden, weil sie Feinde hat. Die Präsidentin des Bundestages, Bärbel Bas, mahnte, es gebe keinen Anlass, selbstgerecht zu sein. Man müsse zusammenstehen gegen jene, „die ein Land wollen, in dem die Würde des Menschen eben nicht unantastbar ist.“ Die freiheitliche Demokratie müsse sich gegen ihre Feinde verteidigen, „notfalls auch mit Waffen und unter Opfern wie in der Ukraine.“
Verächter der Menschenwürde
Demokratie darf man nicht denen ausliefern, die sie beseitigen wollen. Und doch wählen viele, viel zu viele eine in weiten Teilen neonazistische Partei wie die AfD. Protestwahl nennen das dann Experten und es wird so getan, als könne man die Schuld den sogenannten Altparteien-so der Sprech der Rechten- zuschieben, wahlweise dem Ukraine-Krieg, Corona, der Asylpolitik, der Klima-Politik, der Bildungspolitik. Quasi als Entschuldigung. Die aber gibt es dafür nicht, sie darf es nicht geben, weil die AfD keine demokratische Partei ist. Man lese nach, was Heribert Prantl gerade in seiner SZ-Kolumne dazu geschrieben hat unter dem Titel „Drohworte“. Und Prantl fordert wie einst Carlo Schmid den Mut zur Intoleranz, „gerade dann, wenn die Verächter der Menschenwürde in die Parlamente gewählt worden sind.“ Eine gute Demokratie sei „nicht wertneutral“ und zu den Freiheiten der Demokratie gehöre „nicht die Freiheit, die Demokratie und ihre Grundwerte umzubringen.“ Grundrechte, Grundwerte, Zivilgesellschaft, Sozialstaat, dafür stehen Parteien, die die Werte kräftigen, wenn auch mit Fehlern, dafür stehen nicht Parteien, die „diese Werte verächtlich machen und den alten Nazi-Parolen eine neue braune Heimat geben.“ (Prantl)
Eine Partei, in der die Nazi-Verbrechen verharmlost werden-Gauland sprach von Vogelschiss- kann keine demokratische Partei sein. In der die Rede ist von Umvolkung, eine Partei, die deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland verdrängen will, die fremde Kulturen ausgrenzen will, die die Europäische Union zerstören will. Ich zitiere noch einmal Heribert Prantl. „Die AfD ist keine demokratische Partei.“ Und die demokratischen Parteien sollten nicht den Fehler machen, ihre Migrationspolitik an der AfD auszurichten, sondern mehr am Grundgesetz.
Die Würde des Menschen gilt für alle. Wir sollten nicht der AfD auf den Leim gehen, ihrer Hetze und ihrem Hass nicht folgen, sie predigen Angstszenarien, nichts anderes haben sie zu bieten. Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, kein Gerede von der Migration als der Mutter aller Probleme. Ein Satz, der aus dem Mund des CSU-Politikers Horst Seehofer stammt, der sich mal als Sozialpolitiker einen Ruf erworben hatte. Lange her. Merkels „Wir schaffen das“ ist mir lieber. Weil es nach vorn gerichtet ist, weil es lösen will, nicht zerstören. Vergessen wir die Debatte aus den 60er Jahren nicht, als Millionen Gastarbeiter kamen, weil sie auf den Zechen, bei VW, Opel und Daimler gebraucht wurden. Sie schufen mit das Wirtschaftswunder und wurden nicht immer menschlich behandelt. Viele sind geblieben, sind integriert, anerkannt. Heute suchen wir wieder Zuwanderer, weil wir Arbeitskräfte brauchen. Und wieder werden Menschen zu uns kommen.
Kanzler ist gefordert
Nein, wir haben keine Weimarer Verhältnisse, die Zeiten sind andere, zugegeben es gibt Krisen und Kriege, die alles andere überlagern. Russlands Überfall verlangt uns vieles ab, Deutschland, den Europäern, den Ukrainern. Putin, der Aggressor, darf den Krieg nicht gewinnen, hat Scholz gesagt. Ein richtiges Wort, das nicht demütigen will. Der Nahost-Konflikt darf nicht zu einem Weltenbrand werden. Schlimm genug, dass sich im Land der Täter wieder der ekelige Antisemitismus breit macht. Da wird Führung gebraucht, Orientierung, Ruhe, kühle Überlegung, keine Hysterie. Im übrigen ist von der viel gescholtenen Ampel-Regierung vieles geleistet worden, wir haben die Pandemie hinter uns, die Energie-Probleme durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die verhängten Sanktionen haben bei uns weder die Lichter noch die Heizungen ausgehen lassen. Und der bevorstehende Winter wird ähnlich gelöst. Jammern hilft nur der Partei, die mit ihrer zersetzenden Politik die Gesellschaft spalten will. Der Kanzler ist gefordert, mehr denn je. Gerade auch zur Frage der Migration, dazu, dass aus Kommunen Klagen kommen, sie schafften es nicht. Er muss seine Politik, die ja in Teilen erfolgreich war und ist, erklären, damit der Bürger sie versteht. Es wird zu Zumutungen kommen, um die Klimaprobleme zu meistern, die starken Schultern werden mehr tragen müssen, Armut darf nicht zur Regel werden in dem immer noch reichen Land. Scholz muss raus zu den Menschen, sie haben ein Recht, von ihrem Kanzler zu hören, wie es weitergeht. Wie die Zukunft aussieht. Er darf das nicht den Rechtsradikalen der AfD überlassen. Die wollen ein anderes Land. Aber sie sind nicht das Volk, das sind wir. Die Demokraten. Wir werden das schaffen. Mit Würde und Haltung.