Lange Verletztenlisten, körperlich und mental angeschlagene Spieler sowie ein Spielbetrieb, der wenig Pausen zulässt. Die Diskussion zum Erreichen der Belastungsgrenze unserer Fußballer ist im WM-Jahr gerade in Deutschland wieder neu entfacht und in aller Munde. Gerade „unsere Jungs“, die vor Monaten noch so wacker und kräfteraubend den langen Weg bis ins Finale für uns gegangen sind, scheinen nun dem unerbittlichen Zeitplan von Bundesliga, europäischem Wettbewerb, Pokal und EM-Qualifikation mehr als Tribut zu zollen. Die Vereinsvertreter, Experten und landeseigenen Fußball-Götter schlagen Alarm, die Situation scheint dramatischer denn je, der allseits geliebte Ballsport geht am Stock!
Vertreter anderer Mannschaftssportarten in Deutschland müssen sich angesichts der wieder einmal entfachten Diskussion um die bis zur Grenze der Belastbarkeit ackernden Fußballer das ein oder andere Lächeln wohl derweil verkneifen: Denn wer sich die Mühe macht, Belastungen beim Basketball, Eis- oder Feldhockey einmal genauer anzuschauen, der kann über das große Gejammer der Fußballwelt doch manchmal erstaunt sein.
Ein Ausflug in andere Sportwelten
Franz Beckenbauer monierte schon im WM-Jahr 2002: „Die Belastung ist zu groß. Meisterschaft, Pokal, Champions League, Länderspiele – wer unter der Saison 60 oder 70 Spiele macht, kann keine Top-Leistung mehr bringen, der humpelt und hinkt nur noch über den Platz.“
Wenn es bei dieser Zahl sowieso schon fraglich ist, wie viele der Fußballprofis überhaupt auf diese Maximalzahl an Spielen kommen, und wieviel Spielzeit sie dann in der Realität auf dem Platz verbringen, so zucken Sportler aus anderen Sparten bei solchen Zahlen locker mit der Schulter.
Die Zahlen als Gegenbeispiel lauten folgendermaßen: Basketballer in der NBA-Profiliga kommen pro Saison schon mal auf über 90 Einsätze, wenn die Saison gut läuft. Deutsche Eishockeyprofis kommen auf bis zu 100 Spieleinsätze. Im Feldhockey werden in Spielzeiten vor Olympischen Spielen bis zu 60 Länderspiele bestritten, da ist der normale Ligabetrieb keinesfalls mit einberechnet.
Im Gegensatz zum Fußball kommt man hier jedoch noch nicht mal auf die Idee, nach mehr Regenerationspausen zu fragen. Beim Fußball wird darüber diskutiert, ob 2 Tage Pause wirklich ausreichen, um dem Körper die nötige Regeneration zukommen zu lassen. Beim Basketball oder Feldhockey stehen die Spieler sowohl in der Liga als auch bei internationalen Höhepunkten ohne großes Nachdenken in der Regel am nächsten Tag wieder auf dem Platz.
Fußballer laufen am meisten – aber wie
Bei all der Häme bleibt der Fakt, dass heute in keinem anderen Mannschaftssport längere Strecken zurückgelegt werden als im Fußball. Gut 10 Kilometer in Spieldurchschnitt laufen unsere Bundesligakicker in diesen Tagen über das Grün. Basketballer, Handballer und Feldhockeyspieler schaffen dagegen gerade mal vier bis sechs Kilometer pro Spiel – zieht man allerdings Spieldauer und Einsatzzeiten in diesen Sportarten hinzu (z.B. 90 Minuten Fußball zu 60 Minuten Basketball), dann hinkt der Vergleich. Und neben dem Wieviel ist auch das Wie entscheidend: So werden 3,5 der 10 Kilometer in der Regel mit durchschnittlich 7 km/h im „Volkswandermodus“ zurückgelegt, hinzu kommt ein größerer Anteil an ambitioniertem Jogging (ca. 14 km/h). Nur etwa 3 km pro Partie gehen häufig in die wirklich harte Belastungszone.
Wie bekommen die anderen das hin? – Interchanging heißt die Antwort
Um aber zum Kern der Diskussion und Ernst der Lage zurück zu kommen: Natürlich hat auch die Belastung im Fußball gerade aufgrund der optimalen Vermarktung und immer neuen Wettbewerbsformen ein Maß erreicht, welches die Spieler an Grenzen treibt. Aber anstatt darüber nachzudenken, mehr Pausen zu finden, Spieler als Teilzeitkräfte auszubilden oder gar den DFB-Pokal abzuschaffen, sollte man vielleicht doch einmal endlich über den Tellerrand schauen. Wenn man sich die Frage stellt, wie andere Sportarten diesen Spagat an Belastung und Regeneration meistern, dann springt die Antwort direkt ins Auge: Interchanging ist das Wort was andere Sportarten vereint und den Fußball außen vor lässt. Während dort seit Anbeginn der Zeit ein kleines Wechselkontingent die Belastung im Spiel für einzelne Spieler besonders hochtreibt, finden in anderen Sportarten kontinuierliche Wechsel im Spiel statt, welche hohe Leistungsfähigkeit und regenerative Pausen effektiv vereinbaren. Eine Regel von der sowohl die Spieler als auch das Spiel selbst profitieren. Das Tempo und die Qualität des Sports profitieren von einer höheren Leistungsfähigkeit der einzelnen Beteiligten.
Regeltreue steht neuen Konzepten im Weg
Ob die Einführung von Interchanging die Belastungsproblematik im Fußball endgültig beseitigen würde, kann natürlich auch niemand eindeutig mit ja beantworten. Sie würde die alttraditionelle und allseits beliebte Spielidee des Fußballs auf jeden Fall revolutionieren und genau hierin besteht ein großes Problem: Der Fußball möchte Tradition statt Evolution, und die Einschaltquoten scheinen Recht zu geben. Wo Gedanken um Videobeweis, Torlinientechnik und den Verbesserungen von Abseits- und Handregeln schon so viel Gegenwehr entgegenschlägt, in dieser Funktionärswelt hat eine so tiefgreifende Regeländerung wohl erst Recht keine Chance. Daher wird vermutlich erst einmal weiter „gejammert“.
Quellen:
http://www.pm-magazin.de/a/welcher-sportler-muss-am-meisten-schuften
http://www.transfermarkt.de/voller-fordert-weniger-englische-wochen-in-1-liga/view/news/174101
http://www.rp-online.de/sport/fussball/bayer-04/so-anstrengend-ist-fussball-wirklich-aid-1.4585939