Fast 70 % der Bürger in Deutschland sind unzufrieden mit dem Umgang der EU in der Flüchtlingskrise. Der Unmut ist deutlich zu vernehmen, der Wind weht der Kanzlerin heftig ins Gesicht. Ihr wiederholtes „Wir schaffen das“ findet überall Widerspruch – vor allem auch in Kreisen der CDU und insbesondere der CSU. Die wichtigste Herausforderung, die alle gemeinsam schaffen müssen, ist die Integration der Migranten – eine ganz aktuelle Herkulesaufgabe, die jedoch viel Zeit und Geduld verlangt.
Integrationsgipfel bei Angela Merkel
Angela Merkel hat zum 14. September Vertreter aus großen Unternehmen eingeladen, um mit ihnen über die Möglichkeiten der Integration zu sprechen. Bislang haben nur ganz wenige der bedeutenden Aktiengesellschaften besondere Aktivitäten dafür entwickelt.
In der Tat sind es wohl kaum mehr als ein paar hundert Migranten, die Eingang bei den DAX 30-Gesellschaften als Praktikanten, Azubis, Hilfskräfte o. ä. gefunden haben. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis für die Vorstandsbosse, die zwar über corporate social responsibility reden, es indessen an gesellschaftlichem Engagement vielfach fehlen lassen. Dabei müssten gerade sie daran großes Interesse haben, Menschen mit Migrationshintergrund für ihre Betriebe zu gewinnen. Dasselbe gilt auch für die mittelständischen Firmen, die mit ihrem Engagement allerdings die großen Unternehmen deutlich übertreffen.
Immer weniger Lehrlinge zu finden
Landauf, landab wird inzwischen beklagt, dass immer weniger Lehrlinge zu finden sind. Allein im Handwerk sind derzeit über 30.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. In anderen Bereichen der Wirtschaft – im Handel und Gewerbe sowie in der Industrie, in der Pflege und anderen Dienstleistungssektoren fehlt es an allen Ecken und Enden an Personal. Viele hunderttausend Flüchtlinge, die seit 2014 zu uns gekommen sind, wollen einen job und nicht noch viele Monate tatenlos in Lagern und Heimen ihr Dasein fristen. Solche Langeweile ist nicht selten der Grund für andere, oft genug auch kriminelle Aktivitäten und für manche Bereitschaft, sich von dem IS für Terrortaten anlocken zu lassen. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes sprach jüngst von rund 350 Anwerbeversuchen von Salafisten und Islamisten in Flüchtlingsheimen; wahrscheinlich liegt die Zahl jedoch deutlich höher.
Bislang wenig zielführende Konzepte
Deutschland hat sich seit Jahrzehnten schwer getan, Migranten richtig in unsere Gesellschaft und Wirtschaft zu integrieren. Das galt bereits für die erste Generation der Gastarbeiter, die in den 60er Jahren etwa aus der Türkei zu uns gekommen waren. Immer noch leben viele von ihnen inzwischen mit ihren Kindern in Ghettos, sind der deutschen Sprache nicht mächtig, haben zwar die deutsche Staatsangehörigkeit, fühlen sich indessen von uns kaum oder gar nicht angenommen. Die jüngste Großdemonstration mit rund 40.000 Türken in Köln für die Demokratie beweist überdeutlich und erschreckend zugleich, dass sich die Mehrzahl nur für Erdogans Vorstellungen einsetzt und um Lichtjahre von den Grundwerten unserer Demokratie entfernt ist.
Es gibt also großen Nachholbedarf und mit Blick auf die jüngst neu nach Deutschland Geflüchteten sind weitere große Anstrengungen zur Integration notwendig.
Gewinnbringende Investitionen in Migranten
Das neue Integrationsgesetz muss schnell umgesetzt werden. Vor allem soll die soziale Betreuung von Zuwanderern wesentlich verbessert werden. Allerdings wird es noch dauern, bis dafür „Einsatzkräfte“ für die Bereiche „sozialpädagogische Betreuung“ und „Traumatisierung“ ausgebildet und verfügbar sein werden. Denn es gibt hierzulande nur wenige Experten, die praktikable Konzepte mit interkultureller Werteorientierung und Empathie gestalten können. Die Fähigkeit, effektiv mit Menschen, die über andere kulturelle Hintergründe verfügen, umzugehen und zusammenzuarbeiten, wobei die Effektivität auf beiden Seiten als solche empfunden werden sollte, muss sich in der Integrationsarbeit wiederspiegeln. Ein exzellentes Beispiel dafür ist Gül Keskinler, die seit längerem als ehrenamtliche Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußballbundes aktiv ist und in Kooperation mit den Sportvereinen hervorragende Ergebnisse vorweisen kann. Sie setzt sich vor allem für interkulturelle Aktivitäten ein – für Trainer, Spieler und Schiedsrichter sowie Betreuer –, für die Vermittlung von Werten, für ein faires Miteinander auf dem grünen Rasen der Stadien und unserer Gesellschaft: „Konkrete Maßnahmen zur erfolgreichen Integration“, so die Expertin, „bedeutet gleichberechtigte Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben und Übernahme von Verantwortung.“
Zur Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und auch zur Bekämpfung von Fluchtursachen sind im Bundeshaushalt allein für das Jahr insgesamt fast 19 Mrd. € vorgesehen; im gesamten Zeitraum 2017 bis 2020 sind es sogar 77,5 Mrd. €. Geld steht also zur Verfügung.
Gemeinsam Integrationskonzepte umsetzen!
Nun müssen langfristige innovative Konzepte mit Experten aus den Communities realisiert werden, die von Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebern, Kirchen und anderen so umgesetzt werden, dass wir das schaffen, nämlich die Migranten in unsere staatliche Ordnung, in unserer Gesellschaft und Wirtschaft einzugliedern. Gleichzeitig sollten Verbände/Institutionen auch in der eigenen Organisationsentwicklung für interkulturelle Öffnung sorgen. Immer noch sind im Haupt- und Ehrenamt zu wenige Fachkräfte mit Migrationshintergrund eingeschaltet. Wir brauchen für die jüngere Generationen Vorbilder, die sich bereits in den traditionellen deutschen Organisationen etabliert haben.
Einfach ist das gewiss nicht, denn die Erlernung der deutschen Sprache erfordert von den Migranten große Anstrengungen. Wenn wir sie schnell für unseren Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gewinnen, wird es eine echte win-win-Entwicklung geben.
Die Arbeitsagenturen spielen dafür die Schlüsselrolle in enger Kooperation mit Migrations-lotsen und –helfern sowie mit allen Institutionen und Unternehmen. Sie wissen nämlich allzu gut, dass die meisten, die nicht bald in einen Ausbildungsplatz oder einen job gelangen, in der Arbeitslosigkeit landen. Die bereits recht hohe Zahl von Ausländern bei den Langzeit-arbeitslosen sollte Warnung genug sein. Es macht viel Sinn, jetzt Milliarden für die gezielte Integration zu investieren als schon bald noch mehr Milliarden für die Arbeitslosigkeit zu zahlen. Niemand kann übersehen, dass die Zahl der erwerbstätigen Hartz IV-Bezieher aus den wichtigsten nichteuropäischen Asylherkunftsstaaten bereits auf deutlich über 300.000 gestiegen ist. Fast 500.000 Asylanträge sind vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge derzeit noch unbearbeitet. Schließlich wird auch die Akzeptanz unserer Bevölkerung für die Migranten steigen, wenn selbst skeptische Deutsche am Arbeitsplatz mit türkischen, syrischen oder jemenitischen Kollegen gemeinsam schaffen, unser Bruttosozialprodukt und damit unseren Wohlstand erhöhen.
Initiative der Firmen „Wir zusammen“
Allmählich wird das begriffen: Die Zahl der Unternehmen, die sich an der Initiative „Wir zusammen“ beteiligen, liegt inzwischen bei fast 120. Sie haben bislang 450 Flüchtlinge fest angestellt, mehr als 3.200 Praktikumsplätze und über 700 Lehrstellen angeboten. Viele Mitarbeiter dieser Firmen engagieren sich ehrenamtlich, einige als Mentoren oder Paten, die Migranten bei der Sprachförderung oder bei Behördengängen begleiten. Auch dafür sind „Trainer“ und Konzepte erforderlich, damit solches ehrenamtliches Engagement wirklich zum Integrationsziel führt. Obwohl inzwischen Unternehmen wie die Deutsche Bank, die Lufthansa, Siemens und auch VW diese Initiative „Wir zusammen“ unterstützen, wird das nicht ausreichen. Viel mehr Firmen müssen dem guten Beispiel folgen.
Der Willkommens-Kultur des Jahres 2015 sollte umgehend ein neuer breiter Aufbruch für eine „Integrationskultur“, die zu einer positiven Miteinander-Kultur wird, folgen. Sonst drohen hierzulande politische und soziale Brüche sowie ein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft mit negativen politischen Verwerfungen zugunsten jener, die vorgeben, unsere Nation retten zu wollen.
„Integration“, so hat es gerade Bundespräsident Gauck gesagt, „ist auch ein gutes Stück Sicherheitspolitik“. Alle Anstrengungen lohnen also und sind in unser aller Interesse.
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