Auf Einladung der Kanzlerin waren zum ersten Integrationsgipfel, im Juli 2006, maßgebliche Akteure der Integrationsarbeit in Deutschland zusammengekommen. Es wurde beschlossen, einen Nationalen Integrationsplan (NIP) zu erstellen. Ein Jahr später wurde durch den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz im Juni 2007 eine Verbindlichkeit darüber erlangt. Die Bundesländer verpflichteten sich auf gemeinsame integrationspolitische Leitlinien und zu einem koordinierten Vorgehen bei ihren Maßnahmen. Als Kernaufgaben wurden u.a. Integrationskurse und deren qualitative wie quantitative Verbesserung benannt, bei Neuzuwanderern stand das Erlernen der deutschen Sprache im Vordergrund. Außerdem sollten Bildungs- und Ausbildungswege geebnet und die Arbeitsmarktchancen im Ganzen verbessert werden.
Es war damals ein Paradigmenwechsel. Plötzlich sprachen die Vertreterinnen und Vertreter der Ministerien nicht mehr nur über Migranten, sondern auch mit ihnen. Die Migrantenorganisationen wurden nun sukzessive auch selbst mit Projekten betraut, die zu einem besseren Miteinander hinleiten sollten. Das alles ist erst 10 Jahre her. Doch die Veränderungsprozesse brauchen viel Zeit und vor allem gut vernetzte und kluge Konzepte sowie eine tragfähige Finanzierung zur Umsetzung. Mittlerweile haben sich die gesellschaftlichen Voraussetzungen auch grundlegend verändert – Integration ist heute wichtiger als jemals zuvor. Und was 2006 noch ein relativ weiches Thema war, hat sich inzwischen zu einer hoch politischen Primäraufgabe entwickelt, mit der Frieden und Freiheit in Europa und den angrenzenden Weltregionen aufs Engste verknüpft sind.
Bildung, Qualifizierung, berufliche Integration in der Vielfalt
Der Datenreport von Mai 2016 des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sagt aus, dass 65 % der 15- bis 64-Jährigen mit Migrationshintergrund im Jahr 2014 erwerbstätig waren. Dies waren 11 % weniger als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (76 %), wobei der Anteil von Personen ohne berufsqualifizierenden Abschluss beinahe gleich war: In der Bevölkerung mit Migrationshintergrund lag er bei 10 %, ohne Migrationshintergrund bei 11 %, wobei Migranten mit 35,4 Jahren im Schnitt deutlich jünger sind als Menschen ohne Migrationshintergrund (46,8 Jahre).
Die Fakten weisen also einen signifikanten Unterschied auf. In Anbetracht der verschiedenen Altersgruppen wird auch deutlich, dass der Fokus integrativer Arbeit deshalb insbesondere auf junge Bildungsverlierer gelegt werden muss, die sich immer wieder aus denselben ethnischen Gruppen rekrutieren, wie z.B. junge Deutschtürken, die die Schullaufbahn nicht immer erfolgreich beenden: Jeder Fünfte hat keinen Abschluss.
Entscheidend für den sozialen Frieden und das dauerhafte Ankommen in unserer Gesellschaft mitsamt ihrer Wertewelt ist es deshalb, den Jugendlichen gangbare Wege in ein erfolgreiches Berufs- und Privatleben aufzuzeigen. Experten plädieren für „theorieentlastete zweijährige Ausbildungsberufe“ sowie für Teilqualifizierungen, um den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern und um so einen Aufstand der Abgehängten zu verhindern.
Bildungsangebote für Migranten schaffen!
Migranten und ihre Nachkommen nehmen in unterschiedlicher Weise am gesellschaftlichen Leben teil und dies stets in Abhängigkeit der jeweiligen Rahmenbedingungen. Außerdem ist soziale Teilhabe eng an die Durchlässigkeit der Mehrheitsgesellschaft gekoppelt. Integration darf deshalb nicht als ein einseitiger Prozess betrachtet werden. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und zahlreicher Terrorakte in einen blinden Aktionismus zu verfallen, ist keine gute Idee. Die Aufgabe politischer Bildung ist es stattdessen, qualitativ hochwertige Förderprogramme mit erfahrungsspezifischem Bodensatz schneller zu erkennen und noch intensiver zu fördern. Es gilt auch, die in Teilen der Mehrheitsgesellschaft herrschenden Vorurteile gegen Flüchtlinge/Migranten abzubauen.
Fakt ist, dass Integration ohne ein freies „Aufeinanderzugehen“ ein Plastikwort ohne Inhalt bleibt. In Deutschland gibt es mittlerweile viele Optionen und Orte, an denen ernsthafte Entwicklungsprozesse stattfinden und gelebt werden: Dazu zählen Kultureinrichtungen, Migrantenorganisationen, Jugendinitiativen und viele andere Akteure. Interkulturelle Öffnung setzt das Engagement vieler Mitspieler voraus. Es geht um Respekt, die gegenseitige Akzeptanz anderer Lebensformen und Glaubensrichtungen, schlicht um das Erkennen der Möglichkeiten und Notwendigkeiten des menschlichen Miteinanders.
Das neue Integrationsgesetz: Ein Schritt in die richtige Richtung
Bisher waren die meisten Fördermaßnahmen auf Asylbewerber mit hoher Schutzquote beschränkt (Eritrea, Irak, Iran und Syrien). Es werden aber auch Flüchtlinge aus vielen anderen Ländern länger in Deutschland bleiben. Sie brauchen auch niederschwellige Einstiegsangebote mit einem Auffangcharakter. Das neue Integrationsgesetz reagiert auf die Lage lebensnah: Die Teilnahmeberechtigung für Integrationskurse sowie für verschiedenartige beschäftigungsfördernde Maßnahmen wird seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Juli 2016 auch auf Asylsuchende ausgeweitet, die bereits vor mehr als neun Monaten einen Asylantrag gestellt haben. So soll vermieden werden, dass eine große Gruppe Langzeitgeduldeter entsteht, die zu einem späteren Zeitpunkt und nur unter einem erheblichen Mehraufwand in den Arbeitsmarkt integriert werden kann. Gewährleistet wird das Bleiberecht während einer Ausbildung, was für Auszubildende wie auch für Ausbilder eine verbesserte Planungssicherheit nach sich zieht. Eine vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg für rechtmäßig erklärte temporäre Wohnsitzauflage für Flüchtlinge ist als ein Primärinstrument zu betrachten, das darauf abstellt, die Kapazitäten von Kommunen zu respektieren und Parallelwelten zu vermeiden.
Werte unserer Demokratie vermitteln!
Um die bildungs- und Arbeitsmarktchancen ohne deutsche Sprachkenntnisse zu erhöhen und erfolgreiche Integrationsbiographien
generieren zu können, müssen die Flüchtlinge in ihren Herkunftssprachen von interkulturell geschulten Dozenten zu ihrer Persönlichkeit, Bildung und Arbeitserfahrungen abgefragt werden. Es sollte auf die vorhandenen und „mitgebrachten“ Qualifikationen aufgebaut werden. Wichtig ist, dass ihnen die Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Muttersprache, in der emotionalen Sprache,erklärt und nahe gebracht werden. Viele von ihnen müssen die Werte der Demokratie nicht nur kennen, sondern auch respektieren lernen.
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