Der Amri-Untersuchungsausschuss des Landtages in Nordrhein-Westfalen brachte geradezu erschreckende Erkenntnisse zutage. Der Terrorist Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 den schweren Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin verübte und dabei 12 Menschen ermordete, konnte über viele Monate hinweg dieses Attentat planen und vorbereiten. Sowohl im innerdeutschen als auch im europäischen behördlichen Informationsaustausch hat es schwere Pannen gegeben.
Überforderung durch Flüchtlingsflut
Bereits im Februar 2016 hatten nordrhein-westfälische Sicherheitsbehörden den Tunesier Anis Amri als islamistischen Gefährder eingestuft. Doch konnte er sich weiterhin frei in Deutschland bewegen und seine mörderische Tat vorbereiten. Der frühere Chef des Bundesamtes für Migranten und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, machte in seinen Ausführungen vor dem NRW-Untersuchungsausschuss nun deutlich, dass die Behörden mit der Flut von Flüchtlingen überfordert waren. Die Erfassungsstrukturen reichten einfach nicht, um etwa Mehrfachregistrierungen von Migranten zu vermeiden. Erst später seien -so Weise- die meisten Bundesländer zu einer zentralen Erfassung übergegangen; Nordrhein-Westfalen machte dies offenbar nicht, obwohl der Bund dieses technische System finanzierte, um so Doppelidentitäten zu vermeiden und Sozialbetrug zu verhindern.
Pannen mit der Datenbank
Bevor Anis Amri im Jahre 2015 illegal nach Deutschland einreiste, hatte der Tunesier schon einige Jahre in Italien wegen Straftaten -Körperverletzung und Brandstiftung- im Gefängnis gesessen. Die Sicherheitsbehörden in der EU-Schengenzone hatten bereits früher vereinbart, dass in der europäischen Datenbank Eurodac Fingerabdrücke gespeichert werden. Damit sollte vor allem verhindert werden, dass ein Asylbewerber gleichzeitig oder nacheinander in mehreren Schengen-Ländern ein Aufnahmeverfahren beantragen kann. Doch bei der Eurodac-Anfrage seitens der deutschen Behörden gab es keinen Treffer.
Das erklärte der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, jetzt vor den NRW-Landtagsabgeordneten damit, schon ein Alias-Name oder auch nur ein Buchstabendreher bei der Eingabe des Nachnamens könnten verhindern, dass etwa das kriminelle Vorleben von Anis Amri den Behörden in Deutschland mitgeteilt wurde.
Verbesserungen dringend erforderlich!
Die Vielzahl der terroristischen Attentate in Frankreich, Belgien, Deutschland und anderen EU-Staaten hätte längst nicht nur aufschrecken, sondern die politisch Verantwortlichen zum Handeln antreiben müssen. Das Informationssystem der Sicherheitsbehörden im Schengen-Raum muss reformiert und vor allem um biometrische Daten ergänzt werden. Die bisherigen Schwachstellen gibt es nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns. Das Inpol-System der deutschen Polizeibehörden gilt seit Jahren als zu „alt und langsam“, so der BKA-Chef. Noch immer gibt es nicht die seit langem geforderte Harmonisierung der Polizeigesetze der Bundesländer. Auch die Methoden zur Einstufung von Gefährdern erfolgt nach unterschiedlichen Standards, wie es der Fall Amri deutlich gezeigt hat. 602 Gefährder sind zur Zeit in Deutschland unterwegs, die Hälfte davon in NRW und Berlin. Sie sind eine Gefahr für unser ganzes Land. Deshalb sollte es in dieser Gefahrengemeinschaft eine Lastenverteilung geben.
Weitere Pannen wurden nun in dem Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages zutage gefördert – etwa Kommunikationsprobleme zwischen dem Innenministerium und dem Kreis Kleve, der in ausländerrechtlichen Fragen für den Terroristen Amri zuständig war. Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden blieben ungeklärt, Meldeauflagen nicht veranlasst, Amri schließlich als Pendler zwischen NRW und Berlin nicht observiert. Das alles ist mehr als erschreckend. Es erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in die wirksame Handlungsfähigkeit des Staates, der für die Sicherheit der Menschen mit allen Mitteln sorgen muss. Es bleibt zu hoffen, dass alle Verantwortlichen so schnell wie möglich die Konsequenzen aus den beschämenden Erkenntnissen des Falls Amri ziehen. Denn die letzten Tage haben eines deutlich gemacht: Ob in Essen, ob in Offenburg – die Gefahren neuer terroristischer Attentate nehmen eher zu denn ab.