Eine Inflationsrate von über 5 % – das hat es in Deutschland seit ewigen Zeiten nicht mehr gegeben. Die Aufregung über eine derartige Geldentwertung ist entsprechend groß. Über Jahrzehnte hinweg lebten wir doch im Land der Stabilitätsapostel. Die Gralshüter, die noch mit allen geldpolitischen Mitteln über die Stabilität der D-Mark wachten, bezeichneten die Inflation als „Betrug am Sparer“. Als Helmut Schmidt als Bundeskanzler einst verkündete, dass ihm 5 % Inflation lieber seien als 5 % Arbeitslosigkeit, wurde dagegen aus dem Aeropag der Währungshüter im Frankfurter Diebesgrund heftigst protestiert.
Christine Lagarde: Die Königin der Geldentwertung
Inzwischen befinden wir uns in der Eurozone mit 19 Mitgliedsländern, in denen zwei Drittel der EU-Bevölkerung lebt. Über den Euro wacht seit über 20 Jahren schon die Europäische Zentralbank (EZB). An ihrer Spitze steht jetzt Christine Lagarde als EZB-Präsidentin. Es war der französische Präsident Macron, der seiner Landsfrau den Weg dorthin ebnete. Das geschah in enger Abstimmung mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr gestand Macron dafür zu, Ursula von der Leyen auf den Posten der EU-Kommissionspräsidentin zu hieven; dort verfügt sie über wesentlich weniger Macht als Christine Lagarde, die eben mit ihrer Geldpolitik die echte Euro-Herrscherin ist.
Natürlich ist sie nicht die Alleinherrscherin über unsere Währung, jedoch eine „prima inter pares“. Die Präsidenten der Notenbanken aus den 19 Mitgliedsländern der Euro-Zone sind ebenfalls im Zentralbankrat der EZB vertreten; sie werden am 16. Dezember über die weitere Geldpolitik entscheiden. Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Weidmann, der seit längerem vor den Gefahren der inflationären Entwicklung gewarnt hat, verfügt in diesem erlauchten Gremium jedoch nur über eine Stimme. Die Schar seiner Kollegen, die ebenfalls Schritte zur Bekämpfung der Geldentwertung anmahnen, ist recht klein und somit in der Minderheit. In Kürze wird Weidmann aufgeben und aus dem EZB-Rat ausscheiden.
Seit langem hat die EZB mit verschiedenen Programmen die geldpolitischen Schleusen geöffnet und die Eurozone mit Liquidität geradezu überflutet. Staatsanleihen, die über die Banken begeben werden, werden von der EZB angekauft. Im Gegenzug fließen von der EZB Milliarden und Abermilliarden an die Kreditinstitute und somit auf die Finanzmärkte. So wird die Finanzierung der riesigen Defizite in den Staatshaushalten vieler Länder besonders zinsgünstig.
Inzwischen gehen diese Transaktionen gar weit über die Billion-Marke hinaus. Geld ist geradezu im Überfluss verfügbar: Kredite und Hypotheken sind heute so billig wie nie zuvor. Spargelder und andere Einlagen werden inzwischen mit Nullzinsen bedient; für ihre Guthaben müssen Kunden der Banken und Sparkassen Gebühren, Verwahrgelder oder Strafzinsen bezahlen.
Billiges Geld treibt die Preise
Diese Überliquidität ist das gefährliche Biotop, in dem die Inflation bestens gedeiht. Hinzu kommen andere Entwicklungen: Die Preise für Energie – vom Öl über Gas bis hin zur Kohle – sind in den letzten Monaten fast explodiert. Rohstoffe, Metalle, Holz und Nahrungsmittel haben sich ebenfalls sehr stark verteuert. Hinzu kommen Engpässe bei Computerchips, Container- und anderen Transportkapazitäten; das sind Knappheiten, die in große Teuerung führen und die Inflation kräftig anheizen. In Deutschland lag die Preissteigerungsrate im November um exakt 5,2 % höher als vor einem Jahr. In anderen Eurostaaten wie in Litauen (+9,3 %), in Estland (+8,4 %) und in Lettland (+7,4 %) war sie noch höher, in Frankreich (+3,4 %) oder in Italien (+ 4 %) etwas niedriger. Für die gesamte Eurozone ergab sich in diesem November ein Anstieg der Inflationsrate um 4,9 %.
Stabilität noch nicht in Sicht
Ob und wann es hier eine Wende in Richtung mehr Stabilität der Preise geben wird, darüber sind sich die Experten keineswegs einig. Für Deutschland geht die Bundesbank davon aus, dass es im Jahre 2022 eine durchschnittliche Inflationsrate um die 3 %-Marke geben wird. Die Verbraucher spüren die Preiserhöhungen bei den täglichen Konsumgütern, beim Bäcker, an der Tankstelle und insbesondere auf ihrer Rechnung für Strom und Heizung sowie bei den meisten Dienstleistungen. In diesen Tagen erhalten viele Millionen Haushalte die Nachricht von ihren Energieversorgern über die Preisanpassungen zum 1. Januar 2022: Strom und Gas wird im Schnitt um 25 % teurer; das wird nicht wenigen die Stimmung für frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr verderben. Denn insbesondere Bezieher niedriger Einkommen sind von solchen Preisexplosionen betroffen.
Bislang noch keine Preis-Lohn-Spirale
Angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung, die nochmals von der neuen Pandemiewelle ausgebremst werden könnte, beweisen die Gewerkschaften in der Lohn-und Gehaltspolitik eine große Verantwortung. Für rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte der Länder wurde jüngst eine Gehaltserhöhung gerade einmal um 2,8 % ab Dezember 2022 vereinbart. Von einer Preis-Lohn-Spirale kann man da nun wirklich nicht sprechen. Allerdings könnte sich das im Laufe des nächsten Jahres ändern, wenn sich die Inflation weiter fortsetzen sollte und die Realeinkommen der Arbeitnehmer deutlich ins Minus rutschen.
Besser Geldanlagen suchen!
Für die Sparer bleiben die Perspektiven zunächst sehr negativ. Die amerikanische Notenbank könnte im nächsten Jahr als erste auf die geldpolitischen Bremse treten und die Zinsen etwas nach oben treiben. Erst danach sind auch Beschlüsse der EZB zu erwarten, mit denen die Geldflut zumindest etwas eingedämmt wird. Als Zielgröße für die Inflation hat sich die EZB bereits vor einiger Zeit mit „um die 2 %“ festgelegt. Die Entwertung frisst doch einiges von dem sauer verdienten Geld auf der hohen Kante weg. Die Zinsen für die reinen Sparguthaben werden auch 2022 kaum steigen und die Inflationsverluste nicht ausgleichen. Viele Kreditinstitute werden weiterhin Negativzinsen abbuchen, eine Guthabengebühr oder ein Verwahrentgelt von ihren Kunden fordern. Für Sparer, die für ihr Erspartes nicht mehr zur Kasse gebeten werden wollen, gilt es, sich anderen Anlagemöglichkeiten zuzuwenden. Es gibt durchaus Alternativen – etwa Aktien oder Investmentfonds. Allerdings sind hier Renditen stets mit dem Risiko verbunden, dass es an den Wertpapierbörsen Schwankungen nach oben, aber eben auch nach unten gibt. In Zeiten hoher Inflationsraten bleibt jedoch nur die Flucht in Sachwerte, um der schleichenden Enteignung zu entgehen.