Caterina Massai, die gebürtige Italienerin, lebt seit vielen Jahren in Bonn. Die längst eingebürgerte Deutsche sieht die Entwicklung in ihrem Heimatland aus deutscher wie natürlich auch aus italienischer Sicht. Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust, wie könnte es anders sein. Das gescheiterte Referendum von Ministerpräsident Renzi und dessen folgender Rücktritt hat sie kommen sehen. „Es war falsch, die Abstimmung über eine wichtige Verfassungsänderung mit seinem Amt zu verbinden und für den Fall der Ablehnung mit der Demission zu drohen“, erklärt Caterina, die die Dinge auf dem Stiefel mit Sorgen betrachtet. Die Stimmung in Italien sei insgesamt nicht gut, die Skepsis gegenüber Europa und auch gegenüber der dominierenden Rolle Deutschlands wachse, schildert sie ihre Erfahrungen, die sie bei ihren häufigen Reisen in die Heimat macht, die sie aber auch in Bonn sammelt durch das Lesen von Zeitungen, durchs Fernsehen, durch Gespräche mit Deutschen wie mit Italienern.
Europa ohne Italien, das ist nicht nur „eigentlich“ gar nicht vorstellbar, das geht gar nicht, nicht nur in den Augen einer Frau wie der Deutsch-Italienerin Caterina, einer studierten Archäologin, die als Dozentin bei der VHS arbeitet und Italienisch-Kurse gibt, die aber auch einführt in Opern wie gerade in Mozarts Don Giovanni. Und die dabei ist, bei der Industrie- und Handelskammer ihren staatlich geprüften Übersetzer zu machen.
Es begann mit den Römischen Verträgen
Da muss man nur kurz erwähnen, dass die EU damals vor Jahrzenten mit der Gründung der EWG und den Römischen Verträgen ihren Anfang nahm, damals waren es sechs Kernländer, die sich zusammenschlossen, um nach all den verheerenden Kriegen endlich Frieden zu sichern in einem Erdteil, der von Kanonen und Panzern umgewühlt worden war. Man vergisst leicht, auch in Deutschland, dass allein im Zweiten Weltkrieg über 70 Millionen Menschen ums Leben kamen, dass weite Teile Europas zerstört waren. Nicht nur, aber auch deshalb ist die EU dringend nötig, darf es ein Auseinanderbrechen nicht geben, darf der Brexit in England zum Modell werden.
Caterina Massai beklagt das Scheitern des Politikers Renzi, weil der zu viel auf einmal gewollt habe und sich damit den Unmut vieler Italiener zugezogen habe. Die gültige Verfassung habe nun einmal in ihrem Heimatland eine große Bedeutung, sie gelte in manchen Kreisen als fast heilig, als etwas, das man nicht leichtfertig verändert. So hätten von Anfang an Vereine und Stiftungen davor gewarnt, Hand an die Verfassung zu legen. Im Deutschen hätte man Renzi gewarnt: Hände weg!
Die Partisanen haben Renzi gewarnt
So habe die ANPI, ein Verein der alten Partisanen- ja, der Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg, dem auch Caterinas Opa und indirekterweise Vater im Kampf gegen die Faschisten angehört hat und dem viele junge Leute beigetreten sind, um Berlusconis Irrwege zu bekämpfen- zwar Sympathien für Renzi gehabt, aber in der Frage des Referendums habe der ANPI früh dem Regierungschef die gelbe Karte gezeigt und vor einem Nein gewarnt. Entscheidender Punkt sei hier auch der Reformansatz gewesen, die Zahl der Überhangmandate zu reduzieren, was am Ende den Wahlsieger noch gestärkt und Minderheiten benachteiligt hätte. Gerade vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen, die man in Italien mit einem Politiker wie Berlusconi gemacht habe, hätten Gegner diese Wahlgesetzgebung als gefährlich bezeichnet. Wenn die Falschen an die Macht kommen…
Renzis Politik habe gewiß auch gute Seiten gehabt, die das Land liberaler gemacht hätten, betont Caterina. Sie stellt vor allem die finanziellen Hilfen an Italiener mit geringem Einkommen heraus, zum Beispiel an Familien mit Kindern, die ein jährliches Einkommen bis 25.000 € haben*. Auch die Anerkennung der Homo-Ehen , von eingetragenen Partnerschaften sei ein Verdienst von Renzis Politik. Aber vor dem Referendum sei das in einem ziemlich schmutzigen Wahlkampf vergessen und verdrängt worden, auch weil verschiedene Gruppen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun hätten, mit Parolen die Debatten beherrscht hätten.
Das Problem der Banken
Ein weiteres Problem, das der Banken, dürfe nicht vergessen werden. Italienische Banken litten unter sogenannten faulen Krediten. Davon betroffen sei die älteste Bank der Welt, die Banca Monte dei Paschi di Siena (BMPS). Die EZB habe dem Geldhaus den beantragten Aufschub für eine Kapitalerhöhung verweigert, es geht um drei Wochen. Die Folge: Der Kurs der Aktien sauste um mehr als zehn Prozent in den Keller. Auch hier sorgte das gescheitere Referendum zur Verfassungsreform für Unsicherheiten. Die Bank will durch eine Kapitalerhöhung bis zu fünf Milliarden Euro frisches Geld in die Kasse bekommen. Zum Rettungsplan der Banker gehört ferner die Idee, faule Kredite über 28 Milliarden Euro auszulagern, 2600 Jobs zu streichen und ein Viertel der 2000 Filialen dicht zu machen. Ein Riesen-Problem, das die Stimmung in Italien nicht gerade aufhellt, vor allem wenn man in Rom daran denkt, dass auch deutsche Geldinstitute faule Kredite hätten, die aber ausgelagert seien und somit eher dem Ausland Sorgen bereiteten.
Der Nachfolger von Renzi, Gentiloni, ist ein alter Vertrauter des zurückgetretenen, er gilt als erfahren, kompetent. Aber ob der Außenminister als Regierungschef den italienischen Karren flott kriegt, ist sehr die Frage. Gentiloni soll für Kontinuität sorgen, was auch bedeutet, dass Neuwahl erstmal nicht ins Haus stehen, sondern dass er versuchen wird, die Lage im Lande zu beruhigen, die Gemüter zu besänftigen. Möglich, dass es Gentiloni bis zum Ende der Legislaturperiode schafft, indem er in der Zwischenzeit eine gewisse Stabilität in der Wirtschaft und bei Finanzfragen erreicht.
Wenn Deutschland weniges abgäbe…
Und dann? Caterina Massai sieht ihre alten Landsleute ziemlich verunsichert. „Wenn ich mit meinen italienischen Freunden und Bekannten rede, höre ich immer wieder heraus, dass sie sich nicht richtig vertreten fühlen in der EU“, erläutert sie. Hier spiele auch eine wichtige Rolle, dass Deutschland zu stark geworden sei. Richtig daran ist sicher, dass die EU und damit auch Deutschland Italien eine ganze Reihe von Jahren in der Flüchtlingspolitik allein gelassen hat. Das Problem Lampedusa hat Italien allein stemmen müssen, erst durch die Zehntausenden von Flüchtlingen im letzten Jahr ist dieses Problem auch von den anderen EU-Staaten erfahren worden, vor allem von Deutschland. Ein weiteres Problem sieht sie in der Finanzpolitik Deutschlands, weil Italien mit Deutschland nicht Schritt halten könne. Ein bisschen mehr Rücksicht auf die Nachbarn könnte hilfreich sei, überhaupt sei mehr Solidarität in der EU nötig, gerade jetzt, wo der künftige USA-Präsident seine Politik auf Amerika beschränken und Europa sich selbst überlassen wolle, müsse Europa zusammen wachsen. Ein erster Schritt wäre: „Wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble nur ein kleines Stückchen Torte von diesem europäischen Kuchen abgeben würden, hätten viele was davon.“
Ja, es ist falsch, wenn Jeder seinen Weg allein geht. Jeder für sich allein ist viel zu schwach. Das gilt nicht nur für Italien, sondern auch für Deutschland, Frankreich und all die anderen. Wir brauchen mehr Europa. Nur ein Europa, das den Namen verdient, ist ein Schwergewicht mit seinen 550 Millionen Menschen und all seinen Werten, Möglichkeiten und seinem Können.
Caterina Massai ist in Florenz geboren, dort aufgewachsen, machte in der Hauptstadt der Toskana ihr Abitur, studierte in München. Sie arbeitete dann einige Jahre in Rom als Übersetzerin und lebt seit acht Jahren in Bonn. Caterina Massai hat sich als Autorin des Blogs mehrfach zu Italien, aber auch zu gesellschaftlichen Themen in Deutschland geäußert. In der Beethovenstadt arbeitet sie als Dozentin für die VHS, leitet Italienisch-Kurse, führt in Opern ein und erläutert die Kultur ihrer Heimat.
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