Die Freien Wähler in Bayern haben gerade das, was man im Sport einen guten Lauf nennt. Und ihr Chef, Hubert Aiwanger, scheint wegen der in die Höhe schießenden Umfragewerte vor Kraft kaum noch laufen zu können. Also gibt Aiwanger, Wirtschaftsminister und zugleich Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, der „Augsburger Allgemeinen“ ein Interview. In dem Gespräch lässt er erkennen, dass er im Falle eines guten Wahlergebnisses für seine Partei sich ein zusätzliches Ressort, das Landwirtschaftsministerium, wünsche. Das allein ist schon eine Nachricht, zumal man weiß, dass Markus Söder, der CSU-Chef und Ministerpräsident, das Agrarressort in den Händen der CSU halten möchte. In Bayern ein ganz bedeutendes Ministerium. Aber diese Kampfansage an Söder ist nicht das Auffallende an dem Interview, sondern es ist die Tatsache, dass der Interviewte, also Aiwanger, später einige Fragen und Antworten im Kontext mit seiner Flugblattaffäre einfach aus dem Interview streicht. Ein starkes Stück. Die „Augsburger Allgemeine“ aber lässt das Verhalten des Ministers nicht unkommentiert. Und stellt „In eigener Sache“ klar.
Es ist guter Brauch in Deutschland, Interview-Texte dem Interviewten vorzulegen zwecks Autorisierung. Damit wird dem Befragten Gelegenheit gegeben, Antworten zu glätten oder gar zu korrigieren, die sonst falsch verstanden werden könnten. Das Verfahren ist zeitaufwändig, aber es ist fair, besonders dem Gast gegenüber. Im aktuellen Fall ist Aiwanger jedoch übers Ziel hinausgeschossen, was die Redaktion der „Augsburger Allgemeinen“ zu Recht aus journalistischen Grundsätzen nicht zu akzeptieren bereit ist. Der Interviewte habe Fragen streichen wollen, die in dem Gespräch gestellt und beantwortet worden seien, stellte die Zeitung in einem Begleittext „In eigener Sache“ klar. Kurz vor Redaktionsschluss habe Aiwanger das gemacht. Deshalb entschloss sich das Blatt, in diesem speziellen Fall auch „die Fragen zu dokumentieren, die Aiwanger dann entgegen der Absprache doch nicht beantworten wollte.“
„Herablassend gegen mich und die Landbevölkerung“ überschreibt die „Augsburger Allgemeine“ das lesenswerte Interview mit dem Chef der Freien Wähler. Das klingt nach der Märtyrer-Rolle, Aiwanger das Opfer. Der Titel ist die Antwort Aiwangers auf die Frage der AZ: „Sie bleiben dabei, dass da eine Art Hetzkampagne gegen Sie läuft?“. Aiwanger: „Ich habe es als Schmutzkampagne bezeichnet. Pünktlich zur Wahl eine solche Berichterstattung über meine Jugendzeit. Und Sie müssen mal die Berichterstattung dieser Zeitung(gemeint die Süddeutsche) über die vergangenen Jahre verfolgen. Da war vom Schweinezüchter aus Niederbayern die Rede, vom Junggesellen, der noch immer bei den Eltern wohnt, bevor ich eine Familie hatte, und der nicht Hochdeutsch spricht. Also das war schon immer herablassend, gegen mich und die Landbevölkerung“.
Dann attackiert er weiter die angesehene Zeitung aus München. Er glaube, dass das Blatt „schon deutlich länger an der Geschichte dran ist als jetzt behauptet“. Es gebe ja die bezeugte Aussage, dass ein Mitarbeiter aus der CSU-Landesleitung 2008 öffentlich gesagt habe, „wir suchen Unterlagen vom Aiwanger aus der Schule, um den fertigzumachen … Das ist nach meiner Einschätzung schon länger in der Schublade der SZ und wurde zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt platziert“. An einer Stelle spricht er von der Verdachtsberichterstattung der SZ. Warum eigentlich? Die Redakteure haben eine lange Liste von Zeugen genannt. Von Verdacht kann nicht die Rede sein. Dass sein Bruder der Autor des Flugblatts gewesen sein soll, wie Hubert Aiwanger behauptet, ist in den Berichten der SZ nachzulesen.
Aiwanger wird in dem AZ-Interview auf seine mangelnde Erinnerung angesprochen. Er habe selber eingeräumt, dass „der Vorfall ein einschneidendes Erlebnis für mich“ gewesen sei, der „wichtige gedankliche Prozesse angestoßen“ habe. Können Sie nochmal erklären, fragt die AZ, welche gedankliche Prozesse bei ihnen angestoßen worden seien in der Jugend? Diese Frage passt Aiwanger wohl nicht. Im Interview der Zeitung wird das kenntlich gemacht in roter Schrift: „Diese Antwort wurde gestrichen“. Ein paar Zeilen weiter das gleiche Spiel. Frage nach seiner Erinnerung in der Jugend. „Wenn sich so ein Schuldirektor vor einem aufbaut zur Standpauke, das weiß man doch noch“. Erneut in roter Schrift: „Diese Antwort wurde gestrichen“. Nächste Frage: „Ab wann haben Sie denn gewusst, dass Ihr Bruder dieses Flugblatt verfasst hat?“ Erneut in roter Schrift: „Diese Frage wurde gestrichen“. Ein paar Absätze weiter fragte die AZ Aiwanger, ob er, falls die Koalition mit der CSU bestätigt werde, stellvertretender Ministerpräsident bleiben wolle? Und wieder in roter Farbe: „Diese Antwort wurde gestrichen“.
Ich habe ja schon viele Interviews geführt, auch in den Jahren als Bonner Korrespondent der Augsburger Allgemeinen. Da gab es Politiker wie Hans-Jochen Vogel, der meldete sich am Abend kurz vor 19 Uhr übers Autotelefon, um nahezu alle Antworten zu den Fragen, die ich gestellt hatte, zu korrigieren. Die Antworten ließ er gelten. Im Falle von Rita Süssmuth haben wir mal ein interessantes Interview zur Finanzierung der deutschen Einheit unter den Tisch fallen lassen, weil die Präsidentin des Deutschen Bundestages sich offensichtlich nicht in der Lage sah, den vor ihr liegenden Text zu autorisieren. Wir warteten vier Tage und verzichteten dann freiwillig. Spannend war ein Interview mit Prof. Kurt Biedenkopf kurz nach der Wende. Der CDU-Politiker äußerte sich im Interview der AZ zur Währungsunion, zum Zeitpunkt des Gesprächs ein heißes Eisen. Biedenkopf war als Professor in den neuen Ländern bekannt, gefragt, er stand kurz vor einer Vorlesung an einer Hochschule in der ehemaligen DDR. Dass der spätere Ministerpräsident von Sachsen sich für die Währungsunion aussprach, lief am nächsten Morgen durch alle Rundfunknachtrichten. Später hat er mich heftig kritisiert, er habe das so nicht gesagt. Ich habe ihm dann mein Manuskript ins Büro gebracht, darin stand alles schwarz auf weiß. Von ihm autorisiert.
Björn Engholm war Anfang der 90er Jahre einer der Stars der SPD. Der Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein und zugleich Parteichef war auf dem Weg zum Kanzlerkandidaten der SPD gegen Helmut Kohl. Im Interview mit der AZ kündigte er an, er werde das Amt in Kiel aufgeben, um sich ganz auf den Kampf ums Kanzleramt zu konzentrieren. Sein damaliger Pressechef-den Namen habe ich nicht mehr im Kopf- rief mich an, als er den Text auf dem Schreibtisch hatte zwecks Autorisierung. „Herr Kollege“, bedeutete er mir, „die Nachricht streiche ich Ihnen aus dem Interview. Der Björn bleibt Ministerpräsident“. Er hatte ganz offensichtlich den Meinungswandel seines Chefs nicht mitbekommen. Aber weit kam Engholm nicht, weil er im Zusammenhang mit der Barschel-Affäre, die ihn in die Staatskanzlei gehievt hatte, nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Seine hoffnungsvolle Karriere endete jäh.
Noch ein letztes Beispiel eines Interviews, geführt von einem Rundfunk-Journalisten. Mit Martin Bangemann, einem FDP-Politiker, damals Wirtschaftsminister, ein Liberaler mit europäischer Erfahrung. Rundfunk-Interviews werden nachher schriftlich ausgelegt, Wort für Wort. Ich muss in diesem Fall die Methode Aiwanger anwenden, ich kann mich nicht mehr an den Inhalt erinnern, nicht an das Jahr und nicht an den Namen des Kollegen vom Funk. Nur eins ist geblieben: Bangemann wurde in einer Pressekonferenz auf den Inhalt des Interviews angesprochen und er versuchte doch tatsächlich zu dementieren. Dabei lag der ausgedruckte Text seines Gesprächs auf dem Tisch. Wir haben ziemlich gelacht.
Zurück zu Aiwanger. Zu lachen ist das nicht, wie der versucht , mit der Presse umzugehen. Da muss man aufpassen, gegenhalten, stehen. Haltung wäre gut. Damit der merkt, dass es nicht mehr um Opfelsoft geht. Folklore ist vorbei, Herr Aiwanger. Es geht um Demokratie, die wir haben und die Sie nicht zurückholen müssen. Hände weg.
Bildquelle: Screenshots von AZ online vom 14.9.2023