Wir leben in düsteren Zeiten. Das lesen wir nicht nur aus einer Meinungsumfrage des renommierten Allensbach-Instituts, das gerade in der FAZ veröffentlicht wurde. Seit 2 Jahren quält uns das Corona-Virus, es macht uns krank, tötet, es schränkt unser Leben ein, es lässt manche Kneipe, die wir doch bräuchten, um mit anderen Trübsal zu blasen und einen drauf zu trinken, eingehen, es hat den Theaterbetrieb getroffen. Und dann überfällt noch Wladimir Putin die Ukraine, das sogenannte Bruderland der Russen. Seit vier Wochen tobt der Krieg, versucht der Kreml-Diktator das Nachbarland, mit dem sich man früher verwandt und befreundet fühlte, zu unterjochen, es zu zerbomben, mürbe zu machen, es zur Kapitulation zu zwingen. Aber der gelernte Schauspieler Selenskij wird zum Helden seines Volkes, das sich aufbäumt und der einstigen Weltmacht die Stirn bietet.
Im deutschen Bundestag in Berlin liefern sich Regierung und Opposition eine muntere Debatte, keine Schlacht, das Wort sollten wir den Kriegern überlassen. Unions-Chef Friedrich Merz nutzt die Gelegenheit in der Haushaltsdebatte zur Generalabrechnung mit dem Kanzler Olaf Scholz. Das gehört sich so, das ist nichts Sensationelles. Immerhin bietet Merz der Ampel-Regierung die Hilfe der Union an, knüpft aber diese Unterstützung an Bedingungen. Auch das ist natürlich. 100 Milliarden Euro als Sondervermögen, also per Kredit, für die Bundeswehr, das geht nicht so einfach, dafür muss das Grundgesetz geändert werden, was nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit funktioniert. Die Stimmung draußen ist nicht die beste, klar bei den Spritpreisen, die ins Geld gehen.
Wir sind abhängig vom russischen Gas und Öl, wir wollen das verändern, um Putins Krieg nicht weiter zu finanzieren, aber wie lösen wir dieses Knäuel auf? Mit Hilfe von Gas und Öl aus Katar zum Beispiel, so hat es Wirtschaftsminister Robert Habeck gesagt und hinzugefügt, dass wir den Energie-Engpass nicht nur mit Energielieferungen aus Demokratien lösen können. Da hat er Recht. Und ehrlich ist das Wort auch. Katar, da wird doch Ende des Jahres die Fußball-WM ausgespielt, ausgerechnet in einem Land, das nicht für Menschenrechte steht, das Arbeiter ausbeutet, auch wenn der Franz Beckenbauer dies bei seiner Stippvisite vor Jahr und Tag nicht beobachtet hat. In Belgien werden die Kernkraftwerke länger am Netz bleiben, auch wenn das den Deutschen in der Nachbarschaft nicht gefällt. Gerade die belgischen Atommeiler gelten nicht als die besten ihrer Art. Und bei uns? Die Kohlekraftwerke sollen länger laufen, wenn es nötig wird. Und was wird mit Atom? Keine einfache Debatte für eine Regierungspartei wie die Grünen, die ja als Atom-Gegner im Herzen ihres Programms das politische Spielfeld betraten und nunmehr Fragen beantworten müssen: Wie schließen wir Versorgungslücken, vor allem dann, wenn wir, was geboten wäre, um Putin zu treffen, möglichst schnell auf russisches Gas und Öl komplett verzichten?
Furcht vor Weltkrieg
Zurück zu Allensbach, das einst von Prof. Noelle-Neumann gegründet und bundesweit zur Marke gebracht wurde. Man nannte sie die Pythia vom Bodensee, die Elisabeth Noelle-Neumann, 2010 im Alter von 93 Jahren verstorben. Nie war der Zukunfts-Optimismus der Deutschen auf einem tieferen Punkt als jetzt, orakelt das Institut. Drei von vier Deutschen fühlten sich von Putin persönlich bedroht, jeder Dritte befürchtet einen Weltkrieg, 90 Prozent sind in Sorge um Energie-Versorgungsengpässe wegen des Kriegs. Der russische Aggressor hat die Stimmung im Lande drastisch verdüstert. (Kleiner Einschub: der Kanzler Scholz kommt in dieser Umfrage ziemlich gut weg. Und das bei Allensbach.)
Und weil das so ist mit Putin, rechnet US-Präsident Joe Biden im Falle von Putin mit allem. So hat es ein Journalist, der Biden auf dem Flug von Washington zum Nato-Gipfel begleitet, kommentiert. Die Nato trifft sich, die G-7-Staaten konferieren wie die EU-Staaten. Alles wegen Putin. Biden will den Westen einschwören auf eine geschlossene Front gegen Russland. Das hat Putin mit seinem brutalen Vorgehen, bei dem er fast die ganze Welt belogen hatte, erreicht: Niemand glaubt ihm mehr, jeder traut ihm alles erdenklich Böse zu, sogar einen Atomschlag, er ist ein Geächteter geworden, gegen den es gelte, die Demokratien in der Welt zu verteidigen, unsere Freiheiten. Denn, und da sind sie sich alle einig, Putin greift nicht nur nach der Ukraine, seine Sehnsucht nach einem Comback der sowjetischen Weltmacht richtet sich gegen den Westen, gegen Polen vielleicht, die baltischen Staaten, gegen unsere Art zu leben, in Frieden und Freiheit. Ein Wortpaar, das in der Vergangenheit fast vergessen worden war und das plötzlich wieder brandaktuell geworden ist.
Der Westen rüstet auf, schickt mehr Soldaten an die Ostflanken der Allianz im Baltikum, nach Polen, Bulgarien, Rumänien, er verstärkt die Luftverteidigung und die Seestreitkräfte. Vor diesem Hintergrund ist die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, gehalten kurz nach Kriegsbeginn, heute aktueller denn je. 100 Milliarden Euro als Sondervermögen, um die fast kaputt gesparte Bundeswehr zu modernisieren, sie flott zu machen, damit einer wie Putin sie wieder ernstnimmt. 100 Milliarden Euro, da hat Friedrich Merz in der Debatte eingehakt: Man stimme zu, aber das Geld müsse komplett für die Bundeswehr eingesetzt werden und nur für die Bundeswehr und nicht für andere Geschenke an Wählerinnen und Wähler. Die Union will hier genau informiert, eingebunden werden, sie werde aber nicht der Lückenbüßer sein, wenn die Ampel bei einer Abstimmung nicht geschlossen alle Stimmen von SPD, den Grünen und der FDP aufbringe. Und das Zwei-Prozent-Ziel des Verteidigungsetats müsse dauerhaft gelten, jedes Jahr. Eine gewaltige Summe von jährlich rund 20 Milliarden Euro mehr. Das kann noch lustig werden für Scholz, aber auch für die Grünen. Wer soll das bezahlen?
Lupenreiner Demokrat?
Putin, immer wieder Putin, in den wir uns alle getäuscht haben, Politiker und Journalisten. Vielleicht weil wir es uns so erträumt hatten. Das mit der Friedens-Dividende war ja auch schön, die gesparten Gelder, die man sonst für Panzer und anderes militärisches modernes Gerät hätte ausgeben müssen, konnte man in andere Etats stecken. Und einer wie Gerhard Schröder, immerhin Bundeskanzler und SPD-Chef, hatte Putin im Überschwang einen „lupenreinen Demokraten“ gelobt. Wenn ich hier dagegen halte, was die frühere Leiterin des ARD-Studios in Moskau, Sonia Mikich, kürzlich in einem kritischen Beitrag in der SZ dazu geschrieben hat, dann haben wir Putin nicht richtig zugehört, „wollten wir nicht allzu viel wissen, als Putin vor gut zwei Jahrzehnten die Bühne betrat“. Zu keiner Zeit, schreibt die einstige WDR-Chefredakteurin Mikich, „zu keiner Stunde, davon bin ich überzeugt, hatte der Ex-Geheimdienstchef Putin Menschenrechte, individuelle Freiheit und Widerspruchsfähigkeit akzeptiert“. Viel mehr als das Näherrücken der Nato habe den Russen die „Zeitenwende in Kiew provoziert, wo Präsidenten einfach abgewählt oder fortgejagt wurden und Menschen sich Freiheiten nahmen, nicht unähnlich den frühen 90er-Jahren in Moskau.“
Sonia Mikich zufolge gibt es ein anderes Russland, seien nicht alle „putinbesoffen“, wünschten Zehntausende von Russen Putin weg. Putin, das prophezeit die Journalistin im Ruhestand dem Kreml-Kriegstreiber, werde dem „besetzten Bruderland nur eine Friedhofsruhe aufzwingen. Versöhnung? Undenkbar“. Manche in Deutschland hätten sie gefragt, wo denn der gute Putin geblieben sei, der doch diese Rede im Bundestag gehalten habe und dann noch auf deutsch, der mit Partnerschaft und unkomplizierten Wirtschaftsbeziehungen gelockt habe? Nun ja, antwortet Sonia Mikich, „gleichzeitig machte der böse Putin aus Grosny ein zweites Stalingrad, tote Zivilisten, Trümmerlandschaft, Massenflucht inklusive“. Putin habe hoffnungsfrohe Worte gesagt, aber „kein einziges Wort des Beileids oder Trostes für die Opfer des Tschetschenien-Feldzugs, auch nicht für die russischen.“ Der gute Putin, schreibt die Journalistin weiter, habe für die Gleichschaltung der Medien im Land gesorgt. Wie passt eigentlich ein guter Putin zur Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja und der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa, des Demokraten Boris Nemzow? Sie zählt weiter auf Putins Verhalten nach dem Untergang des Atom-U-Boots Kursk im Jahr 2000, sie vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass der gute Putin unter Reformen Verfassungsänderungen verstanden habe, die seine ewige Herrschaft bedeuten sollen.
Es falle ihr schwer, räumt sie in dem SZ-Beitrag ein, nicht zynisch zu werden angesichts einer deutschen Öffentlichkeit, die erst in den letzten Wochen darüber gestaunt habe, was aus dem Mann im Kreml geworden sei, wie er sich so verändern konnte. „Die Ukraine zahlt das Blutgeld für unsere Kunst der Verdrängung“, betont sie scharf. „Mir, der optimistischen Zeitzeugin von damals, hat dieser Kriegspräsident die Hoffnung auf ein freies Russland genommen. Ich werde es nicht mehr erleben, wie trostlos.“
Bittere Anklage
Eine bittere Anklage gegen uns alle, eine Abrechnung mit dem Westen, der sich nun aufrappelt gegen Putin, den Feind im Osten. Deutschland wird der Ukraine helfen, so weit das möglich ist, hat der Bundeskanzler in seiner Rede im Bundestag direkt Präsident Selenskij angesprochen, ein wenig verspätet reagiert auf dessen Rede per Video vor ein paar Tagen. Hilfe mit Waffen, mit Geld, mit Worten, mit Vermittlungsversuchen. Telefonaten mit Putin, um ihn zum Waffenstillstand zu bewegen. Aber, das stellte Scholz auch klar, er höre zwar die Forderungen nach einem militärischen Eingreifen, man werde dem aber nicht nachgeben. Eine direkte Beteiligung Deutschlands oder der Nato am Krieg schloss Scholz aus. „Die Nato wird nicht Kriegspartei.“ Bleibt die Forderung, raus aus der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Und zwar sofort, auch wenn uns das wirtschaftlich einiges abverlangt.
Wenn ich die täglichen Bilder von der Zerstörung des Landes, von Bombeneinschlägen in Kiew, In Mariupol, in Charkiw sehe, wenn ich die Trümmer sehe, die ängstlichen Gesichter, wenn ich darüber nachdenke, dass schon über drei Millionen Menschen aus der Ukraine das Land fluchtartig verlassen haben, von denen einige Hunderttausend in Deutschland Unterschlupf gefunden haben, wenn ich das alle sehe, kommen mir Zweifel, ob wir richtig liegen, wenn wir dem Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer unsere verhältnismäßig kleinen Sorgen um unsere Lebensumstände, die warme Wohnung, das teure Benzin, die teurer werdenden Brötchen gegenüberstelle. Ein letztes Wort zu Merz: Es ist Ihre Aufgabe, Herr Merz, den Bundeskanzler anzugreifen und ihm Fehler anzukreiden. Aber das mit der feministischen Außenpolitik war daneben. Im übrigen macht die Außenministerin Annalena Baerbock einen guten Job.