„Sanfte Rebellion“ hat Naghmeh Hosseini ihren Bericht über den Iran in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ überschrieben. Die 53jährige Mutter von zwei Kindern lebt in Teheran. Sanfte Rebellion, Schritt für Schritt verändert sich das Land, sanft, damit es nicht so auffällt, niemanden erschreckt. Nein, das ist kein Umsturz, keine Aktion, die auf Gewalt aus ist, sanft und fröhlich lächelnd treten sie auf, die jungen Frauen, die das neue Gesicht dieses alten, uralten Landes ausmachen. Das bunte Kopftuch, das eher wie ein Schmuckstück aussieht, ist nach hinten gerutscht, die Frisur wird betont und wenn sie ihre Köpfe in die Höhe werfen, zeigen sie ihre Schönheit und ihr Selbstbewusstsein. Sie verstecken sich weder hinter irgendwelchen Tüchern oder Umhängen noch hinter ihren Männern. Iran 2015, zwei Jahre nach der Ablösung von Achmadineschad und zwei Jahre unter der Regierung von Dr. Hassan Rohani.
Der Iran ist ein altes, sehr altes Kulturland, im Nationalmuseum in Teheran finden sich Ausgrabungs-Stücke, die 7000 Jahre und älter sind. Darunter ein Besteck, ja, die Menschen im Iran haben schon mit Messer und Gabel gegessen, als die alten Germanen noch auf den Bäumen saßen. Zugleich ist Iran ein junges Land. 60 Prozent der Menschen sind nicht mal 30 Jahre alt, das macht sie stark, die jungen Iraner und Iranerinnen, weil sie die Mehrheit sind. Man sieht das auf der Straße, im Basar, in den Parks, in den Teestuben. Und die Jungen sind anders als die Alten mit ihren schwarzen Umhängen, die sie gelegentlich mit der einen Hand fest um Hals und Gesicht legen, während sie in der anderen Hand die Einkäufe tragen. Jung und Alt, man sieht sie nebeneinander, da fällt es dann besonders auf.
Im jungen Iran sind die Frauen auf der Überholspur. In der Schule sind sie nicht selten die Besten und ihr Ehrgeiz macht sich auch in den Universitäten spürbar, so deutlich, dass es inzwischen die Männer sind, für die man Quoten schafft, damit sie ihren führenden Platz in der Gesellschaft behalten können. Ob die jungen Frauen sich das später gefallen lassen?
Es gibt noch Traditionen
Noch gibt es sie, die Traditionen, über die wir oft genug den Kopf schütteln. In den Bussen des öffentlichen Verkehrs sitzen die Männer vorn und die Frauen hinten. Ausnahme: Allein reisende Frauen dürfen direkt hinter dem Fahrer Platz nehmen. Es gibt getrennte Strände am Meer, Swimming Pools in Hotels, die nur für die Männer da sind, aber Frauen dürfen inzwischen Fahrrad fahren. Merkwürdigkeiten in einem hoch entwickelten Land, dessen Bewohner aber ihr Land als um Jahrzehnte zurückgeblieben einstufen. Gemeint, nach der Revolution von 1979, nach der Übernahme der Macht durch die Mullahs hätte der Gottesstaat die natürliche Weiterentwicklung Irans zu einer Industriemacht und einer Touristenhochburg in der Größenordnung zum Beispiel der Türkei verhindert. Das Embargo, ausgesprochen nach der Erstürmung der USA-Botschaft durch die Revolutionäre und der erfolgten Geiselnahme des Botschafts-Personals durch die Iraner, hat das Land dann zusätzlich isoliert.
Seit Hassan Rohani regiert, öffnen sich wieder die Türen und Tore zum Westen, fallen Beschränkungen. Die Sittenpolizei ist verschwunden, wie es unser iranischer Gesprächspartner mit einer gewissen Erleichterung erzählt, also jene, teils selbst ernannten Sittenwächter, die Frauen einfach festnahmen oder irgendwie bedrängten und mehr, wenn sie nicht den Kleidervorschriften entsprachen. Manche Willkür ist da passiert. Aber das ist vorbei. Und inzwischen gibt es Meldungen, wonach die Enkelin des Gründers des islamischen Staates Iran, Ajatolla Chomeini, Sarah Esdraghi, sich dafür ausgesprochen habe (so zitiert bei Süddeutsche.de), die Kleiderordnung abzuschaffen. Die Enkelin soll eine Farben-Revolution für alle Frauen planen. Die Sache mit der Farbe ist aber schon in vollem Gange. Mehr noch wird bekannt. So soll selbst der Präsident Rohani nicht nur mit aufgekrempeltem Hemdsärmeln aufgetreten sein, sondern sogar auf der Seite der Enkelin sein, ihm sollen die strengen Kleidungs-Regeln gar missfallen.
Das Land ist in Bewegung
Wir erleben den Iran auf einer zehntägigen Busreise von seiner interessanten, seiner touristischen, seiner historischen und seiner freundlichen, ja toleranten und offenen Seite. Nie hat man uns irgendwo belästigt oder etwas untersagt oder gar mit dem Finger gedroht. Die Frauen unserer Reisegruppe trugen Kopftücher, so war es gewünscht oder gar vorgeschrieben, aber Jeans darunter und offene Schuhe sind offensichtlich kein Verstoß mehr. Alles scheint nicht mehr so ernst genommen zu werden, das Land und die Menschen in Bewegung zu sein. Die Reise beginnt in der Hauptstadt, die wir aber am Nachmittag schon wieder verlassen, weil wir mit dem Flugzeug nach Kermal fliegen.
Doch zunächst Teheran. Auf rund 15 Millionen Einwohner wird die Metropole mit ihren Vororten inzwischen geschätzt. Die Straßen sind voll, es sieht aus wie eine einzige Blech-Lawine, die sich wie eine Schnecke durch die Stadt bewegt, wobei das mit dem Bewegen so eine Sache ist. Auf vier Spuren wird mindestens fünfspurig und gelegentlich auch sechsspurig gefahren. Der Fußgänger sollte eigens für ihn eingezeichnete Fußgängerüberwege nicht überbewerten, die Autofahrer tun es auch nicht und fahren einfach drauflos. In Teheran ist es anders als in Deutschland, im Süden der Stadt wohnen die ärmeren Leute, wer Geld hat, wohnt im Norden und versucht seinen Reichtum hinter meterhohen Mauern und Metallgitterzäunen zu sichern.
Klar, dass im Norden der Stadt auch der einstige Golestan-Palast des damaligen Schah Reza Pahlewi und seiner Familie war, was heute ein Museum ist. Er liegt in einem riesigen und schmucken Park, zugänglich für Jedermann. Wobei auffällt, dass die Schah-Zeit weder abfällig beschrieben noch ausgeblendet wird. Man ist froh, dass die Palast-Anlage mit allen Gebäuden und Einrichtungen nicht in den Wirren der Revolution abgefackelt wurde. Während es unten im Kessel dieser Stadt nach Benzin stinkt und der Verkehr einen Höllenlärm macht, kann man im nahen, über 4500 hohen Gebirge die Reste von Schnee in der Frühlingssonne sehen. Hier kann, wer hat, Skifahren.
Wüsten, Oasen, Hochhäuser, Lehmhütten
Iran oder Persien, ganz wie man will, ist ein vielschichtiges Land, mit Wüsten und Oasen, mit Landwirtschaft, Gärten voller Nachtigallen, mit Zitronen, Melonen, Datteln, Nüssen und Orangen, Granatapfelbäumen, Pistazien, mit hohen Bergen, großen Städten, kleinen Dörfern, ein Land, mit Hochhäusern und Lehmhütten, in dem der Tourist an jeder Ecke im Grunde Teppiche der Extraklasse kaufen kann, die dann so zusammengefaltet und verschnürt werden, dass sie Platz haben in einer Einkaufstasche. In den Basaren findet man Rosenöl und Safran und vieles andere mehr. Der Iraner, heißt es, kaufe hier seine Lebensmittel ein. Es ist das Land, durch das die alte Seidenstraße verläuft, mit prächtigen Palästen und ebenso wunderschönen Moscheen, das Dichter hervorgebracht hat wie Hafiz, den Johann Wolfgang von Goethe in seinem „West-östlichen Divan“ besungen hat, das Land von Tausendundeiner Nacht mit Karawansereien und und und. Ein uraltes Land, einst ein Weltreich, das bis Ägypten und Indien reichte, mit klingenden Namen wie Darius und Xerxes, ein Land, das oft von fremden Mächten besetzt und bevormundet worden war, was die Iraner heute noch stört.
Fährt man durch den Iran, begegnen einem immer wieder die Bilder von Chomeini, dem Staatsgründer, und seinem Nachfolger Chamenei, und auch das Konterfei von Rohani, dem Regierungschef, schaut den Besucher von einer Hausfassade aus an. Die dazu gehörenden Sätze versteht der Europäer nicht, wer kann schon Farsi, Übersetzungen gibt es nicht. Direkt daneben oder dahinter, aber ebenso präsent, fallen die Bilder von anderen Männern auf: Es sind die von den Menschen verehrten Märtyrern, die im Irakisch-Iranischen Krieg gefallen sind. Überall sind sie zu finden, an den Häusern, an Plakatwänden.
Das Land mit großer und alter Vergangenheit, vielleicht die Wiege der Menschheit, ist heute ein Stück weit isoliert durch das Embargo der USA, dem sich aber große Teile des übrigen Westens angeschlossen haben, was die Entwicklung dieses an Ressourcen reichen Landes angehalten hat. Man findet keines der großen Hotelketten mehr, überhaupt haben sich Investoren aus dem Westen seit über 30 Jahren rar gemacht. Also muss das Land alles allein stemmen, was schwierig ist. „Wären wir nicht so reich, so stark, wir wären ein armes Land“, bilanziert unser Gesprächspartner, der das alles bedauert. Er sagt es nicht, aber man spürt es, der Mann hat seinen Stolz wie viele andere auch in diesem großen Land. Will sagen: Wir sind genauso modern wie Ihr Deutschen. Und wenn man uns ließe, was wir könnten, wären wir weiter, viel weiter. Die negative Folge des Embargos ist natürlich gewesen, dass ein Teil der Intelligenz des Landes ausgewandert ist, in die USA und nach Europa.
Windtürme waren die ersten Klimaanlagen
Auf gut ausgebauten Autobahnen durchqueren wir den Iran, der vier- bis fünfmal so groß ist wie Deutschland, und fast so viele Einwohner hat. Wir sehen Rayan, eine alte Lehmstadt, 2000 Jahre alt, wir bewundern den Prinzengarten von Mahan, besichtigen das Grab des Derwisch, eine Moschee, Windtürme, die früher wie eine Klimaanlage dafür gesorgt haben, dass die Häuser am Tag nicht so aufheizten und in der Nacht nicht zu kühl wurden.
Wir fahren nach Yazd, einer Wüstenstadt, und besichtigen eine Moschee aus dem 14. Jahrhundert, sie hat die höchste Eingangspforte. Das Wassermuseum hat ein Kanalsystem, das 500 Jahre vor Christus gebaut wurde, die Feuertempel des Zarathrustra stammen aus der Zeit 500 bis 700 vor Christus. Durch gewaltige Berge, Wüsten und Oasen geht die Fahrt in Richtung Norden, wir stehen vor dem Grabmal des Kyros, eines Herrschers aus dem fünften Jahrhundert vor Christus, der einst die Juden aus ihrer babylonischen Gefangenschaft befreite und Grundrechte verkündete, die man als die Basis für Menschenrechte ansehen kann: Freiheit für die Sklaven, Religionsfreiheit, Rassengleichheit. Es klingt wie aus unserer Zeit, immer noch modern. Wir erreichen Shiraz, die Stadt der Rosen und Nachtigallen, durchqueren das Korantor, um das herum sich an diesem späten Frühlingstag- die Temperatur lag so bei 25 Grad- das Leben abspielt. Alt und Jung, Familien, Touristen, man steht herum, fotografiert, sitzt auf dem Rasen und macht Picknick.
Das Grab von Hafiz, des iranisches Dichterfürsten, liegt in einer wunderschönen grünen und blumenreichen Anlage. Hier versammeln sich die Iraner Jung, weiblich und männlich, Familien, Alte, Schulklassen, sie alle verneigen sich vor dem Werk des großen Dichters, aus dem der Kenner zitiert.
Willkommen in Persien
Eine Spiegelmoschee gehört zu einer solchen Besichtigungsfahrt wie der Besuch einer Koranschule, eine Festung aus dem 18.Jahrhundert, der Botanische Garten von Eram, inzwischen Weltkulturerbe, der Besuch eines Basars, ein Eintopf-Essen mit dem Namen Agusch. Von Syrah geht die Tour dann Richtung Isfahan, doch vorher wartet Persepolis, das zur schönsten Pflichtaufgabe einer solchen Reise zählt, das Tal der Könige mit den Felsgräbern des Darius und Xerxes. Da kann man sehen, wie der mächtige Perser-König die Delegationen von 28 Nationen empfangen hat und welche Geschenke sie ihm gereicht haben. Vor 3000 Jahren. Alles, was man sieht, ist im Original erhalten, es wurde in den 30er Jahren ausgegraben, das Gelände darf nicht bebaut werden, weil dort mindestens noch 20 Paläste vermutet werden.
Paläste und Moscheen, Parkanlagen, der Große Basar, der Meydan Platz, 560 Meter lang und 160 Meter breit, eine Welt für sich, mit Königspalast und Moscheen, Karawanserei, verbunden durch zweigeschossige Arkaden, die Rede ist von der Stadt Isfahan, einer der Höhepunkte einer Reise, die schließlich weiter führt über Kashan, eine Wüstenstadt mit Siedlungshügeln aus der Zeit um 5000 vor Christus, über Qom, wo Chomeini einst zu Hause war, und die schließlich in Teheran endet.
Iran oder Persien, eine zehntägige rund 2100 Kilometer lange Busreise durch ein fremdes Land mit fremder Kultur, alter Historie, mit Menschen, auf die man sich einlassen muss, weil sie gastfreundlich sind und zuvorkommend, freundlich und neugierig, uns kennenzulernen. Welcome to Iran, Willkommen im Iran. Das ist es, was wir erfahren haben. Freundlich. Liebenswert. Archaisch und modern. „Ihr müsst wiederkommen“, meint unser Gesprächspartner. „Es gibt noch so viel zu sehen im Iran“. Er hat Recht.
Bildquelle: Wikipedia, Zereshk, CC BY-SA 3.0