Charlotte Knobloch ist eine große, kleine Frau, eine Jahrhundert-Persönlichkeit, die, weil sie jüdischen Glaubens ist, viel Hass und Leid erleben musste, die ihre geliebte Großmutter im KZ Theresienstadt verlor, sie hat die Nazis in ihrer Heimatstadt München, der Hauptstadt der Bewegung, erlebt, den 9. November 1938. Und dennoch bekennt sie: „“Ich stehe vor Ihnen- als stolze Deutsche.“ Und an anderer Stelle hat sie betont: „Ich bin kein jüdischer Mitbürger. Ich bin Bürger.“ Ich erinnere mich, dass Ignaz Bubis uns Journalisten gelegentlich darauf hinwies, er sei Deutscher jüdischen Glaubens. Trotz allem blieb Charlotte Knobloch in München, hat sie in der bayerischen Metropole ihre Koffer ausgepackt, in denen sie einst, vor Jahrzehnten, mit ihren Habseligkeiten nach Amerika auswandern wollte. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in München und Oberbayern und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland ist längst angekommen im Land der Täter. Trotz allem hat sie Brücken gebaut in diesem schwierigen Land, trotz des wieder auflebenden Antisemitismus, vor dem sie ebenso warnt wie vor der rechtsextremen AfD, die im Bundestag wie in allen Landtagen und im Europa-Parlament sitzt, ist sie eine Versöhnerin. Dass sie lebt, ist wie ein Wunder. So sieht sie es selbst. Gerade ist sie 90 Jahre alte geworden und sie will weiter kämpfen für eine Normalität in Deutschland.
Wer diese Frau einmal erlebt, gehört hat, wenn sie redet oder diskutiert, muss von Charlotte Knobloch beeindruckt sein. Sie hat, weil sie ihr Lachen nicht verlernt hat, eine Ausstrahlung, die einen mitnimmt. „Ich stehe vor Ihnen- als stolze Deutsche.“ So hat sie es gesagt anläßlich einer Gedenkstunde am 27. Januar 2021 im Deutschen Bundestag zu Berlin. Der 27. Januar ist der Tag, an dem 1945 das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde, befreit von der Terrorherrschaft der Nazis, die allein in diesem Konzentrationslager auf polnischem Boden, unweit von Krakau, eine Million Menschen umbrachten, vergifteten, totschlugen, verhungern ließen. Die Nazis töteten Menschen, deren einziges Vergehen war, dass sie Juden waren.
Die Nazis an der Spitze des einstigen Kulturvolks der Deutschen, abgestiegen zu Barbaren. Man vergesse nicht, dass die NSDAP Millionen Mitglieder hatte, so groß war der Zustrom in den 30er Jahren, dass die Partei einen Aufnahmestopp verhängte. Die Deutschen jubelten den Nazis zu- nach dem Krieg wollten sie alle Widerstandskämpfer gewesen sein. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zitiert bei der Geburtstagsfeier das Bekenntnis der stolzen Deutschen Charlotte Knobloch und verneigt sich bei seiner Festrede vor der Frau mit den Worten: „Ich bin zutiefst dankbar für das Geschenk der Versöhnung, das Sie diesem Land und auch mir persönlich gewährt haben. Es ist ein kostbares Geschenk. Ohne Menschen wie Sie wäre auch ich heute ein anderer.“
Als Judenkind ausgeschlossen
„Man kann sich nicht vorstellen, was Menschen Menschen antun.“ Hat sie mal gesagt, als sie ihre Lebensgeschichte erzählte. Ich habe sie am Wochenende noch einmal gehört, an einigen Stellen hat sie etwas gezögert, weil sie offensichtlich bewegt war von der Vergangenheit, als sie über ihre Großmutter sprach, ihren Vater, an dessen Hand sie ging, als sie Nazi-Horden auf der Straße begegnete. Ich habe einige KZ-Gedenkstätten in den 80er und 90er Jahren besucht, Auschwitz, Mauthausen, Maydanek, Dachau, Bergen-Belsen, Theresienstadt. Und mir blieb jedes Mal fast die Luft weg, wenn ich die Bilder der Opfer sah, die Kinderschuhe, die Koffer, die Haare, die Pritschen, wenn ich die Geschichten über das Leben in Auschwitz von einer jungen Polin hörte, die in Auschwitz lebte und Führungen durch diese einstige Hölle leitete.
Dass es einer Frau wie Charlotte Knobloch mehr als nahe geht, darüber zu reden, wie sie als Kind vom Spielen mit anderen Kindern von einem auf den anderen Tag ausgeschlossen war. Weil die Nazis es befohlen hatten, Juden auszugrenzen. Das Kind verstand es nicht, Charlotte war ja gerade mal vier Jahre alt. „Judenkind“ wurde sie genannt, sie wusste nichts damit anzufangen. Sie kann das verschlossene Tor, das ihr plötzlich vor der Nase zugemacht wurde, heute noch sehen. Es ist mitten in München, wo sie aufgewachsen ist. Sie erinnert sich daran, wie in den Nächten Sturm geläutet wurde an ihrer Wohnungstür, die Nazis standen an der Tür, um mitzunehmen, was ihnen gefiel, schöne Vasen, Porzellan, Bilder. Und genau wie die Deutschen nun mal sind, schrieben auch die Braunhemden alles auf Listen, ihr Vater und die Großmutter mussten unterschreiben.
Charlotte Knobloch kam am 29.Oktober 1932 zur Welt, wenige Monate später übernahm Adolf Hitler die Macht, der Nationalsozialismus zerstörte das Glück ihrer Familie, ihr Vater, der Rechtsanwalt Siegfried Neuland, erhielt Berufsverbot, weil er Jude war, ihre Mutter, die zum Judentum konvertiert war, brach unter dem Druck der Nazis mit der Familie, Charlotte wuchs bei der Großmutter auf. Sie war sechs Jahre als, als sie die Pogrome am 9. November erlebte. Ihr Vater hatte eine anonyme Warnung erhalten, er solle an dem Tag nicht in die Kanzlei kommen und auch die Wohnung meiden. Sie hat das in ihrer schon erwähnten Bundestags-Rede vor gut einem Jahr geschildert: „An der Hand meines Vaters irre ich durch die Straßen. Lärm, Geschrei, Rauch qualmt aus den Fenstern der Ohel-Jakob-Synagoge.“ Das Kind sieht, wie zwei NS-Schergen „Opa Rothschild“ aus seinem Haus ziehen. „Blut läuft ihm übers Gesicht. Ich darf nicht stehen bleiben. Nicht stolpern. Nicht weinen. Nur nicht auffallen.“ Da läuft es einem kalt den Rücken runter. Was Menschen Menschen antun. Auch Kindern.
Oma stirbt in Theresienstadt
Dass sie den Holocaust überlebt hat, ist ein Wunder. Oder Glück. Als der Vater erfährt, dass ein Transport mit Kindern und alten Leuten zusammengestellt werden soll, weiß er, was zu tun ist. Die Großmutter Albertine Neuland entscheidet, dass sie zum Transport-Platz gehen werde. Sie ist 77 Jahre alt. Unter Tränen verabschiedet sie sich von ihrer Oma, die 1942 verhaftet wird und im Januar 1944 in Theresienstadt stirbt. Der Vater bringt die Tochter bei der ehemaligen Haushälterin des Onkels in Franken unter. Diese Frau, „Zenzi“ Hummel, 35 Jahre alt, kennt das Kind und stellt es in ihrem kleinen Dorf Arberg als ihr uneheliches Kind dem Ortsbauernführer vor. Der Mann, in Uniform und mit Hakenkreuzbinde, empfängt die beiden mit den Worten: „Jetzt kommst mit deinem Bankert.“(zitiert nach SZ) Laut Duden abwertend für nichteheliches Kind. Aber der Nazi habe Charlotte als Hummels Kind eingetragen und ihr sogar Lebensmittelkarten ausgehändigt. Schadenfreude habe sich im Dorf breit gemacht, schreibt die SZ weiter, weil die fromme Zenzi ein uneheliches Kind habe. Niemand habe Verdacht geschöpft. Zenzi oder mit vollem Namen Kreszentia Hummel wurde später in Yad Vashem mit dem Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ gewürdigt.
Trotz allem ist Charlotte Knobloch die stolze Deutsche, die in München geblieben ist und nicht ausgewandert, die München als ihre Heimat liebt. In München hat sie es geschafft, dass eine neue Synagoge mitten in der Stadt am Jakobsplatz unweit des Viktualienmarktes gebaut wurde, ein richtiges jüdisches Zentrum, eine tolle Leistung dieser Frau. Noch einmal eine Würdigung des Bundespräsidenten: „Welches Bekenntnis einer Frau, die als Kind verfolgt, gedemütigt, terrorisiert wurde, die unendliches Leid erlebt hat. Welche Kraft liegt in diesem Satz. Welcher Mut.“ Und trotz aller Drohungen, die Charlotte Knobloch immer wieder erhalten hat, macht sie weiter, kämpft sie gegen die Hetze und für ein normales Zusammenleben in München und in Deutschland. „Ich werde nicht schweigen, solange ich fähig sein werde, ein Wort zu sagen.“ Und: „Ich gebe nicht nach. Wir müssen Mut haben. Ich möchte, dass meine Kinder und Urenkel ein schönes Leben in einem freien Land haben dürfen.“Es kann noch ein langer Weg werden. Leider.
Münchens OB Dieter Reiter(SPD) versprach, alles zu tun, damit sich Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher fühlen. „Seien Sie versichert, wir werden niemals von Ihrer Seite weichen. Ihr Wohlergehen, Ihre Sicherheit und Ihr Kampf sind die unseren.“ Sie wird bleiben, für immer. Samuel Knobloch, mit dem Charlotte drei Kinder hat, die in Israel leben, ist schon 1990 gestorben. Dass Charlotte Knobloch zu Kindern und Enkeln in Israel ziehen würde? Diese Frage im SWR-Interview hat sie mit „Unsinn“ beantwortet. „Mein Platz ist neben meinem gottseligen Mann, der hier auf dem jüdischen Friedhof beerdigt ist. Und da ist mein Platz bereits reserviert.“
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