Ich gebe es zu: Ich habe mich getäuscht: Am Freitag habe ich im Blog vorausgesagt: Nur der BVB wird Meister. Und habe das natürlich auch, wie ich fand, gut begründet. Nur leider hielten sich die Borussen nicht dran, auch die Mainzer nicht, die Bayern und die Kölner auch nicht. Also habe ich, dem schlechten Gewissen folgend, nach dem Ende der Fußballspiele in der Bundesliga, eine Ergänzung an den Text angehängt: Wie man sich täuschen kann. Ja, man soll als Journalist sich an die Fakten halten und sich nicht als Bescheidwisser hinstellen.
In der Sonntagausgabe des Berliner „Tagesspiegel“ stieß ich auf eine Geschichte, die mir zeigte, dass ich mit meiner falschen Prognose in ziemlich guter Gesellschaft bin. Tagesspiegel-Autor Sebastian Leber hat recherchiert und aufgeschrieben, wer so alles was prognostizierte und damit daneben lag. Und schlimmer noch, die Fehler nicht zugab. Da wäre, folgt man dem feinen Text von Leber, Richard David Precht zu nennen. Ein Philosoph, der oft im Fernsehen klug daherredet, die Welt erklärt, der Bücher schreibt, die zu lesen nicht ganz einfach ist. Leber nennt Precht den „Archetyp des Besserwissers, der ständig irrt“.
Atemberaubende Liste
Dann folgt eine „atemberaubende Liste falscher Vorhersagen“. So habe Precht prophezeit, dass Ursula von der Leyen Nachfolgerin von Angela Merkel werde. Das ist natürlich Olaf Scholz als Kanzler und als CDU-Chef ist es Friedrich Merz. Aber kann passieren, als Journalist haben wir in Bonn wie in Berlin gern über Personalien spekuliert, hin und wieder lagen wir richtig. Des Irrtums zweiter Fall bei Precht: Er glaubte an die Wiederwahl von Donald Trump. Joe Biden hat ihn widerlegt. Aber knapp war´s, andererseits gilt: knapp vorbei ist auch daneben. Precht zufolge, so hat es Leber aufgeschrieben, werde der smarte Sebastian Kurz länger regieren als Fidel Castro sein Kuba. Mancher Leser wird sich fragen: Kurz wer? Der Abiturient aus Österreich, der längst weg ist vom Fenster.
Richard David Precht liebt offensichtlich Vorhersagen. Also legte er sich fest, dass die nächste Bundesregierung eine schwarz-grüne sein werde. Pech gehabt, Herr Philosoph, hier wie mit der nächsten Weissagung: die deutschen Sozialdemokraten würden sich im übrigen nicht auf eine Ampel-Koalition einlassen. Im März 2020, so hat Leber herausgefunden, habe Precht gewusst, dass das Corona-Virus „etwas vergleichsweise Harmloses“ sei, so gefährlich wie eine Grippe. Irrtum, Herr Precht. Leider, muss ich hinzufügen. Hätte er Recht behalten, wäre uns und vielen manches erspart geblieben. Dann mischte sich der kluge Mann in die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine ein und in den Krieg, den Russland führte. Im Februar 2022 habe er erklärt, Waffenlieferungen an Kiew machten keinen Sinn, weil Russland die Ukraine in vier Tagen einnehmen werde, im Falle von Waffenlieferungen werde es einen Tag länger dauern. Einen Monat später war Precht sicher, die Ukraine habe keine Chance, den Angriff abzuwehren, also müsse sie sich ergeben. Die Ukraine werde den Krieg verlieren, sagte er im Juni 2022 voraus. Seinem Image als weiser Ratgeber hätten die falschen Vorhersagen nicht geschadet, so das Urteil vom Kollegen Leber im „Tagesspiegel“.
Den zweiten Fall als Bescheidwisser/in hängt der Autor an der Linken-Politikerin, der Lafontaine-Gattin Sahra Wagenknecht auf. Diese habe im Februar 2022 erklärt, die Ukraine müsse Russland nicht fürchten. Putin habe überhaupt kein Interesse, ins Nachbarland einzumarschieren. Allerdings muss ich da einräumen, dass Frau Wagenknecht hier in großer Gesellschaft war, viele Politiker und Journalisten teilten diese Annahme, ich im übrigen auch. Die Linken-Politikerin, die wie Precht oft auf dem Bildschirm zu sehen ist, in vielen Talkshows ihre Meinungen vertritt, warnte vor Panikmache und kritisierte, ein russischer Einmarsch werde vom Westen „geradezu herbeigeredet“. Drei Tage später passierte es, in den frühen Morgenstunden begann die Invasion auf Befehl des Präsidenten Putin.
Ungeachtet der nun wirklich nicht treffsicheren Vorhersagen blieb Wagenknecht Russland-Expertin, schreibt Leber. So habe Wagenknecht erklärt, warum die Ukraine endlich in Verhandlungen eintreten müsse.
Kein Abwägen, keine Zweifel
Die Bescheidwisser seien-Ausnahme Wagenknecht- meist Männer, die kein Abwägen mögen, keine Zweifel äußern und keine Selbstreflexion. Sie seien immer sicher, dass etwas so komme, wie sie es vorhersagen. Ihre Diktion sei nie „Ich vermute, dass..“, sondern „Auf jeden Fall kommt es so“. Und sie dächten auch nicht daran, im Nachhinein, wenn ihre Fehler bekannt geworden seien, offenzulegen, warum sie sich geirrt hätten. In meinem Fall habe ich das am Anfang schon eingestanden: der Fehler war, dass Dortmund nicht gewonnen, die Bayern nicht verloren haben, so ungefähr. Und ja, der Fehler war, dass ich die Meisterschaft für den BVB kalt geschrieben habe, einen Tag vorher. Ich hätte warten sollen bis zum Schlusspfiff. Aber ich war mir doch so sicher, zumal die Bayern zerstritten waren und es immer noch sind, die Chemie im Verein nicht stimmt, Kahn und Brazzo sind gefeuert, wie vermutet. Und doch haben sie gewonnen.
Fall drei in der Bescheidwisser-Story von Leber ist Welt-Chef Ulf Poschardt. Leber schreibt ihm „bemerkenswerte Prechtigkeit“ zu. „So unbeirrbar, wie er mit der Geste des Obercheckers, der die großen Zusammenhänge des Politikbetriebes durchschaut, dann auch famos daneben liegt und trotzdem immer wieder aufs Neue alles weiß- das macht ihm keiner nach“. Im August 2021 sei sich Poschardt sicher gewesen: „Nur mal so: Es wird keine Ampel geben.“ Mitte September sei ihm klar gewesen. „Es wird keine Ampel geben.“ Und wenige Tage später habe er diese Prognose für den letzten Unwissenden wiederholt: „Es wird keine Ampel geben“.
Als sie dann doch kam die Ampel-Koalition, habe er von der Koalition geschrieben, „die vor einem halben Jahr noch eher undenkbar“ gewesen sei. „Die eigene Fehleinschätzung nachträglich als logische Überzeugung aller zu verkaufen, das hat besonderen Charme“, urteilt Sebastian Leber. Und er stellt sich die Frage: Wie lange man mit so einer Haltung als Bescheidwisser durchkomme? Und Leber erinnert an die Welt-Untergangs-Prognosen der Zeugen Jehovas- 1874, 1914, 1925, 1975-, die dann doch nicht eintraten, wie alle Welt weiß. Was die Zeugen Jehovas aber nicht davon abhielt, den Weltuntergang als solchen für die Zukunft vorherzusagen, ohne sich auf ein Jahr festzulegen.
Das letzte Wort in dem Leber-Stück über die Bescheidwisser hat Philosoph Richard David Precht. Der habe 2017 prognostiziert, dass es binnen zehn Jahren keine Busfahrer und auch keine Taxen mehr geben werde. Falsch liegt er jedenfalls damit bisher nicht. Und bis 2027 kann der BVB ja auch Meister werden oder Schalke. Ich lege mich aber nicht fest.