Peer Steinbrück, ehemaliger Finanzminister in der Regierung Merkel, hat es auf den Punkt gebracht: „Der erklärt wenigstens mal was.“ So lobte der nicht besonders für seine Komplimente bekannte Peer Steinbrück den Landsmann aus dem Norden. Und er fügte hinzu, dass ihm die Aussage von Habeck am Abend des Ampelbruchs am besten gefallen habe. Habeck war am 6. November 2024 derjenige, der noch nicht auf Angriff umgeschaltet hatte, sondern sein Unverständnis darüber ausdrückte, dass die anderen in der Koalition eher den Bruch suchten, anstatt die wenigen Gemeinsamkeiten zu finden, um weiter zu arbeiten. So viel Lob war selten. Und wahrscheinlich ist es inzwischen unter einem Berg von teils unzutreffenden Negativbeschreibungen verschüttet, die der Spitzenkandidat in den vergangenen Wochen des Wahlkampfs ertragen musste. „Kinderbuchautor“ und „schlechtester Wirtschaftsminister aller Zeiten“ sind nur einige der Aussagen, die fast täglich auf ihn einprasseln. Wenn der Spruch „Die Grünen sind schuld“ ein Gesicht hätte, dann wäre es das von Robert Habeck. Es scheint, dass der smarte Flensburger bewusst als Ziel verbaler Angriffe gewählt wird, weil er als sensibel gilt , als ein anderer Typ Politiker. Meist leger gekleidet, trägt er ein T-Shirt unter dem Sakko und wirkt fast verkleidet, wenn er im Bundestag oder zu anderen Gelegenheiten in dunklem Anzug, weißem Hemd, Krawatte und Weste spricht. Während bei Joschka Fischer die Turnschuhe noch ein Statement waren, ist Habecks Stil Ausdruck einer selbstverständlichen Gelassenheit.
Geboren 1969 in Lübeck, wuchs er gemeinsam mit seinem Bruder Hinrich in einer Apothekerfamilie in Heikendorf am Ostufer der Kieler Förde auf. Nach dem Abitur leistete er Zivildienst in einem Spastikerverein in Hamburg, bevor er Germanistik, Philosophie und Philologie in Freiburg, Roskilde und Hamburg studierte und mit dem Magister abschloss. Vier Jahre später folgte die Doktorarbeit. In dieser Zeit entstand auch Habecks Familie. Mit der Schriftstellerin Andrea Paluch ist er verheiratet, und die beiden haben vier Kinder. Nach mehreren Umzügen hat sich die Familie letztlich in Flensburg niedergelassen. Habeck spricht fließend Dänisch.
Zur Politik kam Habeck durch einen fehlenden Radweg in seinem Wohnumfeld. 2002 trat er bei Bündnis 90/Die Grünen ein und wurde schnell Kreisvorsitzender. 2004 folgte der Landesvorsitz, jedoch verpasste er den Sprung in den Bundesvorstand. 2008 wurde er Fraktionsvorsitzender im Kreistag Schleswig-Flensburg und 2009 Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Nach dem Einzug in den Landtag wurde er Fraktionsvorsitzender. 2012 wurde er erneut gewählt, und die Grünen zogen in die Landesregierung ein, wobei Habeck Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume wurde. Auch im ersten Kabinett Günther I blieb er Minister. Politisch erlebte er jedoch eine Niederlage: 2015 trat er für die männliche Spitzenkandidatur der Bundestagswahl an, unterlag aber knapp Cem Özdemir. Er blieb in Kiel und kandidierte nicht für den Bundestag. 2018 gelang ihm dann der Aufstieg zum Bundesvorsitzenden der Grünen. Er gab daraufhin sein Ministeramt auf und konzentrierte sich gemeinsam mit Annalena Baerbock auf die Führung der Partei. Bei der Frage, wer Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2021 werden sollte, ließ Habeck schweren Herzens Baerbock den Vortritt. Doch sie machte einige Fehler, sodass das beste Grüne Ergebnis bei einer Bundestagswahl sich fast wie eine Niederlage anfühlte. Das Ergebnis war jedoch die Grundlage für die Ampelkoalition. Habeck wurde Minister für Wirtschaft und Energie, was sich als Job im Zentrum großer Herausforderungen herausstellte. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stellte binnen kürzester Zeit die gesamte Energieversorgung des Landes auf den Kopf. Habeck war als Manager gefragt. In sehr kurzer Zeit organisierte er alternative Gasquellen, ließ LNG Terminals errichten und bewahrte so die Deutschen vor einem Blackout bei Gas und Strom. Doch das Management der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes ging gehörig schief. Auf die Indiskretion des Referentenentwurfs folgte ein Shitstorm, dem weder Habeck noch die Grünen entkamen. Letztlich trieb vor allem die FDP, aber auch die Medien aus dem Hause Springer, den Minister vor sich her. Der sonst so eloquente Minister wurde einsilbig. Das letztlich verabschiedete Gesetz war dennoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung für die CO2-Reduktion im Gebäudebestand, was aber kaum vermittelt werden konnte. Dass bereits die Merkel-Regierung Gas- und Ölheizungen die Betriebserlaubnis entziehen wollte, ging dabei unter. Von diesem Kommunikationsdesaster erholte sich die Partei nur wenig. Auch das erzwungene Aus der Anreizprämie für den Kauf von Elektroautos tat ein Übriges.
Auch im Grünen-Klientel sanken die Beliebtheitswerte, da es deutlich zu spüren war, dass die Grünen in einer sehr heterogenen Koalition ihre Positionen weniger offensiv vertraten, um einen Bruch der Koalition zu vermeiden. Letztlich konnte auch dieses Verhalten die Fliehkräfte, vor allem der FDP, nicht zähmen. Und die Ampel war zerbrochen. Am Abend des 6. November 2024 wirkten Habeck und die Grünen wirklich bestürzt, dass die Koalitionspartner lieber das Handtuch warfen, anstatt weiter zu arbeiten.
Vor diesem Hintergrund überraschte es viele, wie befreit Habeck dann in den Wahlkampf zog und mit den Küchentischgesprächen ein Format etablierte, das für deutsche Wahlkämpfe ungewöhnlich war. Da war plötzlich jemand, der zuhören wollte. Wer sich die Clips dieser Gespräche ansieht, bekommt das Gefühl, dass er tatsächlich zugehört hat – den Sozialarbeitern aus einem ostdeutschen Jugendzentrum, dem über 90-Jährigen und der Familie. In seinen Reden auf der Deutschlandtour blitzten Fragmente dieser Gespräche immer wieder auf. Diese ganze Kampagne vermittelte den Eindruck eines Menschen, der nahbarer ist als die anderen, der lässiger daherkommt, der die Tonalität wechseln kann, der versteht, was die Menschen bedrückt, und der es schafft, die Gesprächspartner in den Mittelpunkt zu stellen.
Dies setzte sich fort in einer Grünen-Kampagne, die das Wort „Zuversicht“ in den Mittelpunkt stellte. Die Idee flog, die Mitgliederzahlen stiegen rapide, und die Menschen, die Habeck zuhören wollten, waren immer mehr als die Hallen fassen konnten. Er rockte die Säle und sprach anderthalb Stunden lang frei über seine Analyse und Selbstkritik der vergangenen Koalition sowie über die Notwendigkeiten der nächsten Jahre. Doch dann passierten die Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg, und das gerade erarbeitete Momentum war dahin. Die Migration wurde zum alles entscheidenden Thema, und es tauchte wieder auf: „Die Grünen sind schuld.“ Ein Überbietungswettbewerb begann, es ging nur noch darum, wer härter, schneller und konsequenter abschiebt. Differenzierung wurde nicht mehr gefragt, Menschlichkeit und Nachdenklichkeit galten als „out“.
Das Land befindet sich in einer veritablen Wirtschaftskrise, die Klimaziele sind in Gefahr, Infrastruktur, Bildung, Wohnungsmangel und Rentenprobleme werden kaum mehr diskutiert. Stattdessen beschäftigt sich das Land mit den Pirouetten von Friedrich Merz, der seine wenige Monate alten Zusagen bricht, und mit der AfD, die konsequenzlose Beschlüsse durchsetzt. Habeck versucht auch hier, eine Rolle zu finden, beschwört fast als Einziger die Gemeinsamkeit der Demokraten, während die anderen Parteien übereinander herfallen. Er versucht, mit einem 10-Punkte-Plan auch im Thema Migration zu bestehen, doch das gelingt nur mäßig. Die Grüne Jugend reagiert enttäuscht, was von der Springer-Presse genüsslich zitiert wird. Es folgen die Anschläge in München, bei denen ein Afghane tötete und Verdi-Demonstranten verletzte. JD Vance kündigte den europäischen Demokratien die Freundschaft.
Habeck kämpft trotzdem und vertritt glaubwürdig, dass Zuversicht weiterhin nötig ist. Doch es wird deutlich, dass sein Stil der Erklärung und Einordnung in manchen Diskussionsformaten nicht gut ankommt. Bei „Hart aber Fair 360“, einem Format, in dem ihn 25 erklärte politische Gegner löchern und befragen, kommt sein bedächtiger Diskussionsstil nicht gut an. Er wird heftig wegge-buzzert. Doch wie wir Habeck kennengelernt haben, wird er aus all dem lernen. Seine Messe ist noch nicht gelesen.
Bildquelle: Dominik-Butzmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,