Im Kampf gegen den Hunger macht die internationale Gemeinschaft immer neue Versprechungen. Nennenswerte Erfolge bleiben aus. Im Gegenteil: in Zeiten der Krise wächst die Zahl der Hungernden dramatisch. Jede Minute verhungern der Hilfsorganisation Oxfam zufolge elf Menschen. Kriege, Klimawandel und nun auch Corona seien die Ursachen. Strenggenommen sind es auch anhaltende Gleichgültigkeit und Profitgier des satten Nordens.
Selten sind sich die Länder der Erde so einig wie bei den großen Versprechungen für eine bessere Welt. Im Jahr 2000 verkündeten sie mit hehrem Pathos die Millennium-Entwicklungsziele, 2015 dann die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals/SDG), allesamt einstimmig feierlich in New York verabschiedet, allesamt richtig und notwendig für mehr globale Gerechtigkeit, und dennoch weiter denn je von der Erfüllung entfernt.
Weltweit leben 155 Millionen Menschen in extremer Nahrungsmittelunsicherheit. Das sind 20 Millionen mehr als im Jahr zuvor und fast doppelt so viele wie die gesamte Bevölkerung Deutschlands. Mehr als eine halbe Million Menschen sind von akuten Hungersnöten betroffen. Seit Beginn der Corona-Pandemie habe sich die Zahl auf 520.000 versechsfacht, berichtet Oxfam und warnt vor einer dramatischen Zunahme von Hungersnöten in der Welt.
Demnach versechsfachte sich die Zahl der Menschen, die von einer Hungersnot betroffen sind, seit Beginn der Pandemie auf weltweit rund 520 000 Menschen. Aktuelles Zentrum der Zuspitzung ist der Tigray-Konflikt in Äthiopien, wo sich der Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed zum Totengräber zu wandeln scheint. Weitere Krisengebiete liegen im Jemen, im Südsudan, auf Madagaskar, in Afghanistan, wo in diesen Tagen nach zwei Jahrzehnten die westlichen Truppen abziehen, und in Syrien, für das der Weltsicherheitsrat gerade einen einzigen Zugang für internationale Hilfslieferungen bestätigt hat. Auch aus dem isolierten Nordkorea sind wieder Berichte von Nahrungsmittelknappheit zu hören.
Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bangt um das Leben von mehr als einer Millionen Kinder im Südsudan. Eindringlich bittet Unicef die Regierungen der wohlhabenden Länder, den Hilferuf nicht zu überhören. Doch die zurückliegenden Jahrzehnte zeugen von einer ausgeprägten Fähigkeit sich taub zu stellen; ebenso wie die Corona-Pandemie zeigt, wie wenig von der vielbeschworenen weltweiten Solidarität tatsächlich zu halten ist. Im Wettlauf um COVID-19-Impfstoffe bleiben die armen Länder auf Almosen angewiesen. Das, obwohl die Pandemie nur zu besiegen ist, wenn sie weltweit erfolgreich bekämpft wird; doch der kurzsichtige nationale Egoismus triumphiert.
Die Parallelen zur Agenda 2030 und den SDG sind augenfällig. Der Weg zu einer Welt des Friedens, des Wohlstands und der Chancen auf einem gesunden Planeten funktioniert nur, wenn er für alle Menschen gilt. „Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erfordern schlichtweg eine Transformation der finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Systeme unserer heutigen Gesellschaften, um die Menschenrechte aller Menschen zu garantieren“, heißt es im aktuelle Bericht der Vereinten Nationen. „Dazu bedarf es immensen politischen Willens“, führt UN-Generalsekretär Antonio Guterres aus und mahnt, die bisherigen Anstrengungen reichten nicht aus. „Dies gefährdet die Erfüllung des Versprechens der Agenda für die heutigen und die kommenden Generationen.“
Guterres beklagt mehr Rückschritte als Fortschritt. Mehr Menschen leiden unter Ernährungsunsicherheit, die Zerstörung der natürlichen Umwelt setzt sich bestürzend rasch fort, in allen Regionen herrscht weiter enorme Ungleichheit. „Weder das Tempo noch der Umfang der Veränderungen waren ausreichend.“ Corona habe die bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten aufgedeckt und verschärft. Hochentwickelte Volkswirtschaften verzeichneten bei marginalisierten Gruppen die höchste Sterblichkeit. In den Entwicklungsländern seien die verwundbarsten Menschen, darunter die in der Schattenwirtschaft Beschäftigten, ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen, Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge, noch stärker gefährdet.
Weltweit treffe die Pandemie junge Menschen unverhältnismäßig hart, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. „Frauen und Mädchen sehen sich neuen Barrieren und Gefahren gegenüber, die von einer Schattenpandemie der Gewalt zu zusätzlicher Belastung durch unbezahlte Pflegearbeit reichen.“ Corona stelle die Nachhaltigkeitsziele nicht in Frage, vielmehr unterstreiche die Pandemie die Dringlichkeit ihrer Umsetzung.
Guterres ruft zur „Erneuerung der Ambitionen, zu Mobilisierung, Führungsstärke und kollektivem Handeln auf – nicht nur um COVID-19 zu besiegen, sondern um gemeinsam stärker aus der Krise hervorzugehen“. Dazu müssen wir, so sein Appell, das Rennen gegen den Klimawandel gewinnen, entschieden gegen Armut und Ungleichheit vorgehen, alle Frauen und Mädchen zu echter Selbstbestimmung befähigen und überall inklusivere und gerechtere Gesellschaften schaffen.
Was Guterres nicht sagt, ist ebenso wichtig: Wir müssen teilen lernen und darauf verzichten, Profit auf Kosten der Ärmeren zu machen. Der globale Süden hat zur menschengemachten Klimakatastrophe den geringsten Beitrag geleistet, trägt aber schon jetzt die massivsten Folgen. Der reiche Norden hingegen, mittlerweile auch China und Indien plündern unverdrossen die Ressourcen, zerstören lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen, graben den Menschen Wasser ab und kaufen im großen Stil Land auf, das die Bevölkerung ernähren könnte. Hochtrabende Versprechungen machen nicht satt.
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